Jesuiten 2015-2

Die Unterscheidung der Zeitgeister Ein Dienst der Kirche an der Welt Die Praxis der Unterscheidung der „Zeichen der Zeit“ bzw. der „Zeitgeister“ kann auf eine lange christliche Tradition verweisen, deren Wurzeln bis in die Bibel selbst zurückreichen (z.B. Lk 12,54-57). Angesichts dieses Befunds kann es schon fast selbst als ein Zeichen der Zeit gelten, dass bei Einführungen in die Spiritualität der „Unterscheidung der Geister“ („Unterscheidung“) diese soziale und politische Dimension christlichen Gebetslebens oft wie selbstverständlich unter den Tisch fällt. Es stellt eine Verkürzung christlicher Existenz dar, wenn man z.B. meint, dass eine „Unterscheidung“ etwas rein nach innen Gerichtetes und ganz „Privates“ ist, das am besten in Stille und größtmöglicher Abgeschiedenheit von der Welt geschieht. Natürlich teilt sich Gott auch in den verschiedenen Regungen und Bewegungen des eigenen Seelenlebens mit. Doch für Ignatius von Loyola ist eine Sache glasklar: Eine genuin christliche „Unterscheidung“ ist eingebettet in den konkreten Sozialraum der Kirche und fragt danach, wie und wo man als Mitglied dieser Gemeinschaft sie am besten in ihrer Aufgabe unterstützen kann, den Heilswillen Gottes in und für diese Welt in der Geschichte gegenwärtig zu machen. Die Zeitgeister adäquat unterscheiden kann man also nur, wenn man zunächst die Augen aufmacht und die gesellschaftlichen Realitäten betrachtet, in denen man lebt. Sodann gehört zur Unterscheidung die Bereitschaft, diese Kultur darauf hin zu bewerten, wie sie sich zum kirchlichen Auftrag der Verkündigung und Realisierung der Herrschaft Gottes auf Erden verhält (z.B. im Rückgriff auf die Kriterien und Normen, die in der katholischen Soziallehre entwickelt worden sind). Wie geht nun eine solche Unterscheidung der Zeitgeister praktisch? Sie funktioniert analog zu einer Unterscheidung der Geister im eigenen Seelenleben und kann in zwei Schritten beschrieben werden: Zunächst gilt es zu fragen, ob die sich anbietenden gesellschaftlichen oder politischen Handlungsoptionen überhaupt wählbar sind. Nehmen wir z.B. die aktuelle Flüchtlingsproblematik. Aus dem Bereich möglicher politischer Antworten auf dieses Problem scheiden z.B. klar jene Optionen aus, die rassistische Implikationen haben oder ein generelles Menschenrecht auf Asyl in Frage stellen. Heute erscheint uns das 18 Schwerpunkt Jesuiten n Juni 2015 n Gott will es? Unterscheiden! © Fotolia/picturegarden Mit offenen Augen auf die gesellschaftlichen Realitäten schauen.

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