Jesuiten 2015-2

Wie schmeckt’s? In meiner Kommunität in Brüssel war regelmäßiges Kochen Pflichtprogramm, sonst hätte es schlichtweg kein Abendessen für uns gegeben. Ein schönes Hauptgericht und eine Vorspeise dazu, zum Beispiel. Und trotzdem habe ich mich gerne für zwei bis drei Stunden an den Herd gestellt: Ich fand es faszinierend zu beobachten, wie sich der Geschmack entwickelt. Ein Gericht hat viele Untertöne, genau wie der Alltag. Die ändern sich immer wieder und sind für einen neugierigen Menschen wie mich sehr interessant. Ich habe schon zu Beginn eine Vorstellung davon, wie es am Ende schmecken sollte. Nur dann kann’s so richtig losgehen mit den Vorbereitungen. Und hier setzt auch schon der Bruch mit meinem Alltag ein: Geschmack kann man nicht denken, man muss ihn spüren. Nach einem langen Tag im Büro braucht es plötzlich eine andere Art der Wahrnehmung. Die Gerüche setzen sich langsam zusammen zu einem Duft. Die Farben des Gerichts entstehen; nichts ist schlimmer als braune Brühe. Die Konsistenz entwickelt sich, so dass ich irgendwann mit Lust hineinbeißen kann. Kochen ist eine sensible Tätigkeit, aufmerksame Sinnlichkeit. Während des Kochens erinnere ich mich oft an Erlebnisse des vergangenen Tages, fast wie von selbst. Nicht nur: Was war heute? Sondern: Was hat mir gutgetan? Wie hat es mich angeregt? Wo bin ich ganz und gar darin vorgekommen? Wo war die gleiche Kreativität da wie jetzt? Welche Dinge passen zusammen, weil sie einen guten Geschmack ergeben — und wie war der? Und wovor wäre ich am liebsten davongelaufen? Es geht um das Gespür im Alltag und darum, wo ich mich hinbewege. Kochen gibt mir Zeit dafür. Irgendwann kommt dann der Moment, in dem das Gericht fertig ist, und die Frage: „Wie schmeckt’s?“ Na ja, hoffentlich gut. Aber ich frage die Leute gerne, was sie herausschmecken, wie sie das Gericht empfinden, was es ihnen sagt. Ich selbst freue mich und empfinde das Essen als gelungen, wenn sich am Ende eine Harmonie einstellt. Diese kann jedoch ganz unterschiedlich sein: aufregend und fast brennend; ausgewogen, voll und still; oder puristisch, auf die wenigen essentiellen Elemente beschränkt. Wie ich gerade koche, sagt oft etwas über meine Befindlichkeit in diesem Moment aus. Und wenn es gelingt, dann stellt sich mit dieser Befindlichkeit beim Essen eine ruhige Zufriedenheit ein, bei der es genügt, in dem Moment zu schmecken, zu riechen, zu schauen. Ich freue mich über einen schöpferischen Prozess, der zu einem guten Ende gekommen ist, weil er uns für etwas öffnet. Am schönsten ist es am Ende, das mit anderen zu teilen. Michael Schöpf SJ 6 Schwerpunkt Jesuiten n Juni 2015 n Gott will es? Unterscheiden!

RkJQdWJsaXNoZXIy MjIwOTIwOQ==