Jesuiten 2015-4

Sehnsucht und Bedürfnisse junger Menschen Als Jugendlicher hat mich ein Satz aus Goethes Faust gepackt, der mich lange, im Grunde bis heute, nicht mehr loslassen sollte. Vielleicht, weil er präzise das trifft, was ich selber so oft empfunden habe. Die Szene spielt im Studierzimmer des Faust, und er ist im Begriff, diese so berühmte Wette gegen den Mephistopheles zu schließen, bevor er sagt: „Werde ich zum Augenblicke sagen ‚Verweile doch, du bist so, schön‘, dann magst Du mich in Fesseln schlagen, dann will ich gern zugrunde gehen.“ Könnte ich den schönen Augenblick doch zum Verweilen bewegen, ihn festhalten. Aber dann ist schon wieder das Nächste im Anmarsch, der Alltag, die Hast. Ist es das, wonach die Jugend sich sehnt: Den Augenblick festhalten zu können? Zu verallgemeinern ist dies nicht und jede/r einzelne hat seine und ihre Sehnsüchte, die an die Biografie und die lebensweltliche Wirklichkeit gebunden und mit den persönlichen Erfahrungen in Beziehung zu setzen sind – in Abhängigkeit zu diesen stehen. Gleichwohl kann der Blick in die Jugendliteratur oder zeitgenössische Pop-Musik vielleicht auf einen gemeinsamen Nenner hinsichtlich der Sehnsucht im Menschen hinweisen. Viele Jugendliche lassen sich fesseln von Büchern, die von Liebe, Partnerschaft und einem Begehren handeln, dessen geliebtes Gegenüber zuweilen diffus und in unerreichbarer Ferne bleibt. Alleine diese Reaktion auf den Inhalt dieser Literatur mag den vorsichtigen Schluss zulassen, dass es im Seelenleben der jungen Leserinnen und Leser ein tiefes Sehnen, ein Begehren geben mag. Erfährt dieses Begehren keine Erwiderung, tut sich eine unruhige Leere in der Seele auf, die gefüllt werden will. In der Klinik bin ich jungen Menschen begegnet, die wirklich süchtig waren, ganz egal, um welche Sucht es sich handelte: Alkoholsucht, Sucht nach illegalen Drogen, Sexsucht, Spielsucht am Computer, Fresssucht, Sucht nach Anerkennung. In der direkten Begegnung war für mich so schmerzlich erfahrbar: Da war eine Leere in der Seele, die danach suchte, gefüllt zu werden. Womit? Vor einigen Tagen hörte ich einige Reihen hinter mir im Bus, wie vier oder fünf jugendliche Schülerinnen leise, jedoch deutlich vernehmbar, das Lied vom „Lieblingsmenschen“ sangen, bei dem man ich sein kann, verträumt und verrückt. Der Lieblingsmensch, bei dem die Last des Alltags aufgehoben und leicht wird, mit dem Streit möglich ist und der dennoch bleibt, ein Mensch, der den Augenblick ausweitet und ihn mit Bedeutung füllt. Bei allem Respekt vor den individuellen Sehnsüchten könnte hier der gemeinsame Nenner oder das Gemeinsame in den Sehnsüchten liegen. Es könnte die Sehnsucht nach „Jemandem“, einem konkreten 10 Schwerpunkt Jesuiten n November 2015 n Junger Glaube

RkJQdWJsaXNoZXIy MjIwOTIwOQ==