Jesuiten 2016-2

Kurz oder lang? Kurze Predigten haben Vorteile Eine zeitlich begrenzte Ansprache trägt dem veränderten Erfassungsverhalten des modernen Menschen Rechnung. Durch die Fülle der Informationsangebote und der weit verbreiteten Reizflut hat der Mensch von heute eine neue Art entwickelt, die Dinge wahr- und aufzunehmen. Das Erfassungsvermögen unserer Zeitgenossen hat sich nicht – wie oft behauptet – verringert, es hat sich diversifiziert. Aus diesem Grund müssen Lehrende von heute viel Energie in die Methodenvielfalt des Unterrichtes legen. Diese Methodenvielfalt steht dem Prediger in aller Regel – und aus meiner Sicht: Gott sei Dank – nicht zur Verfügung. Deshalb könnte eine kurz gehaltene Predigt eine wichtige Anpassung der Verkündigung an die veränderte Wirklichkeit der Menschen sein. Die knapp gehaltene Verkündigung ist auch für den Prediger ein Gewinn. Eine gekürzte Redezeit zwingt ihn zur Prägnanz, thematisch wie rhetorisch, was nicht selten mehr Vorbereitungszeit benötigt. Die thematische Prägnanz ist notwendig, weil die Kurzansprache nur Zeit für einen Gedanken lässt. Gemäß Lk 10,42 (Maria-Martha-Erzählung) muss derjenige, der nur wenige Minuten hat, das „eine Notwendige“ identifizieren und benennen, was jetzt zu verkündigen ist. Die minimierte Zeit setzt voraus, dass ich das gewählte Thema wirklich zu Ende gedacht und durchmeditiert habe. Nur, was ich klar habe, kann ich auch klar benennen. Rhetorische Prägnanz wiederum ist gefordert, weil es gilt, in der Kürze das Entscheidende auch sprachlich auf den Punkt zu bringen. Die kurze Predigt lebt von einer Methode, die den scherzhaften Namen „Bikini-Methode“ trägt: Sie ist kurz, knapp und deckt das Wesentliche ab. Diese Reduzierung führt zu einer Verknappung der Aspekte und zu Verkürzungen. Das ist der zu zahlende, aber sich lohnende Preis der kurzen Predigt. Schließlich hat von einer kurzen und prägnanten Predigt, die einen Gedanken markant herausarbeitet, auch der einzelne Zuhörer etwas. Ihm wird etwas vorgelegt, was in ihm – gerade durch die verkürzende und einseitige Darstellung – eine Regung auslöst, egal ob Zustimmung, Skepsis oder Ablehnung. Diese Regung ist der Türöffner für das eigene Weiterbedenken. Das ist eine Chance. Denn bekanntlich „sättigt nicht das Vielwissen die Seele, sondern das Verkosten der Dinge von innen“ (Ignatius von Loyola). Eine solche Sättigung der Seele ist ein bedeutender Bestandteil einer guten Verkündigung. Gregor Giele 14 SCHWERPUNKT JESUITEN n JUNI 2016 n PREDIGEN

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