Jesuiten 2016-3

Feindbilder Feinde können bedrohlich sein. Feindbilder hingegen machen das Leben leichter. Einige Feindbilder haben Konjunktur: „der Islam“, „die Flüchtlinge“. Sie leugnen Vielfalt und verzerren die Wirklichkeit radikal: Völlig unterschiedliche Menschen werden in einen Topf geworfen, als „anders“ gekennzeichnet und mit negativen Bewertungen versehen. Unter dem Schlagwort „der Islam“ finden sich dann alle Muslime wieder – ob Schia, Sunna, liberal, konservativ – sowie alle, deren Name „irgendwie so klingt“ oder die „irgendwie so aussehen“, zusammen mit internationalen Terrorbrigaden. Dass viele von ihnen in Deutschland aufgewachsen sind, Christen oder aufrechte Atheisten sein mögen, oder vor eben solchen Terroristen geflüchtet sind, tut nichts zur Sache: Fakten und Differenzierungen kommen gegen Gruppenkonstruktionen kaum an. Dabei wissen die meisten Menschen aus Erfahrung, dass Vorurteile – sogar positive – kränkend sind: Wir wollen als Individuum wahrgenommen werden. Die Überzeugung von der Einzigartigkeit und dem Wert jedes Menschen ist in den Menschenrechten wie auch im christlichen Glauben verankert. Dem widerspricht es, Menschen pauschal auf eine Gruppenzugehörigkeit zu reduzieren. Alter, Bildung, Einkommen, politische Einstellung, Humor: Unterschiede innerhalb einer Gruppe und Gemeinsamkeiten zwischen Gruppen werden ignoriert. Dabei mag eine Berliner Frauenrechtlerin mit einer Anwältin aus Teheran spontan mehr Gemeinsamkeiten finden als mit einem Formel-Eins-Fan aus der sächsischen Schweiz. Eine niederbayerische Mutter hat sofort einen Draht zu einem jungen Afghanen gefunden, der auch aus einem Dorf in den Bergen stammt. Unsere Kategorien des „Fremden“ sind flexibel, ja willkürlich. Auch ohne Dämonisierung birgt die Fixierung auf „die Anderen“ für alle eine Gefährdung. Nachrichten über ein Prozent der Bevölkerung – die angekommenen Asylsuchenden im Jahr 2015 – und diejenigen, die gegen sie Stimmung machen, haben andere Themen in den Hintergrund gedrängt: die Schere zwischen Arm und Reich, Finanzkrise, Globalisierung, sexualisierte Gewalt in Familien oder den Hass auf Homosexuelle in manchen christlichen Kreisen, deutsche Waffenexporte und die Jugendarbeitslosigkeit in der EU. Stimmen da die Maßstäbe noch, was für die Gesellschaft als Ganzes wirklich wichtig ist? Schusswaffeneinsatz gegenüber Flüchtlingen wird diskutiert, Empathie als emotionale Erpressung gebrandmarkt, die rassistische Beleidigung eines gebürtigen Berliners und Nationalspielers wird mit Einladungen in Talkshows honoriert. Dieses Diskussionsklima ermutigt jene zur Gewalt, die sich als „Vollstrecker“ einer schweigenden, aber vermeintlich zu- 16 SCHWERPUNKT JESUITEN n SEPTEMBER 2016 n MEIN FEIND

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