Jesuiten 2016-3

Gott – mein Feind Zwei, die miteinander ringen, sind sich sehr nah, ob sie das wollen oder nicht. Auf vielerlei Weise nimmt mich die – wenn auch ungewollte – Beziehung zu einem, der mein Feind ist, in Beschlag. Eine Feindschaft zu ‚pflegen‘, kostet viel Kraft und Energie, körperlich und mental. Im Alten Testament wird von einem Ringkampf erzählt, in dem Jakob eine ganze Nacht lang mit einem Mann ringt, den er später als Gott selbst identifiziert. Diese Begegnung, diese ausgetragene Feindschaft, verändert Jakob sehr stark. So stark, dass der, mit dem er ringt, ihm einen neuen Namen, eine neue Identität gibt: Israel, Gottesstreiter. Das Streiten mit Gott wird zum Identitätskennzeichen. Und damit ist letztlich auch die Gottesbeziehung des Israel bezeichnet. Wenn ich mit jemandem eine Feindschaft austrage, dann bin ich mit ihm in Beziehung. Ich stelle mich ihm und fliehe nicht. Ein Grund dafür, mich einer Beziehung nicht zu stellen, sondern die Flucht zu ergreifen, kann die urmenschliche Empfindung der Scham sein. Es ist das Gefühl des ‚Ich bin nicht gut genug‘. Es ist die Angst, es nicht wert zu sein, geliebt zu werden, mit Anderen verbunden zu sein, dazuzugehören. Und zwar weil ich etwas getan habe oder nicht geschafft habe zu tun, weil ich ein Ideal verfehlt habe, ein Ziel nicht erreicht habe. Gott kann dann zum Feind werden, wenn ich mich wegen falscher religiöser Ideale in dem Scham-Netz verfange, das mein Denken und Fühlen womöglich schon seit Kindheitstagen beherrscht. Wenn meine alten SchamBotschaften, die ich einmal gelernt und internalisiert habe, sich auf meine Gottesbeziehung stürzen und sie mir kaputt reden: „Du hast es nicht verdient, dass Gott dich liebt. Du gehörst nicht zu denen, die eine Berufung haben. Das bist Du nicht wert.“ Was bleibt einem da anderes als die Flucht vor Gott? Wenn ich mich aus der Beziehung zu Gott zurückziehe und mit niemandem über das rede, was mich beschämt, dann verstärkt das die Scham. Sie isoliert mich, und so wird meine Angst, es nicht wert zu sein, in Beziehung zu stehen, bestätigt. Scham ist ein soziales Geschehen. Sie entsteht in Beziehungen. Und so heilt sie auch am besten in Beziehung. Indem ich darüber rede. Mit mir selbst, wenn ich darauf reflektiere, was passiert ist. Mit vertrauten Menschen, von denen ich weiß, dass sie mir mit Empathie begegnen. Und mit Gott. Und sei es zuerst in Feindseligkeit und mit dem Schmerz ringend. So wie Jakob, der am Ende des Ringens mit Gott sagt: „Ich lasse Dich nicht los, wenn Du mich nicht segnest.“ Gunnar Bauer SJ 19 JESUITEN n SEPTEMBER 2016 n MEIN FEIND

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