Jesuiten 2016-3

4 Da lauert am Eingang die Sünde Kain und die Urpsychologie der Feindschaft Das Buch Genesis erzählt scheinbar einfache Geschichten, die sich jedoch in komplexen Metaphern tief verborgenen Lebensrealitäten nähern. Nach der Erschaffung des Menschen als Mann und Frau und nach ihrer Vertreibung aus dem Paradies erkennt Adam, „Mensch“, Eva, „Leben“, und sie gebiert Kain und Abel. Die ersten Zeugungen der Menschheit enden in der ersten Tötung. Der erste Tod in der Bibel ist gewaltsam, noch dazu zwischen Brüdern, von gleichem Bein und Fleisch. Von der Einheit zwischen Mann und Frau zur Entzweiung zwischen Mann und Mann. Das Thema zwischenmenschlicher Verfeindung betritt die Bühne der Bibel dort, wo es am meisten schmerzt: zwischen Menschen, die einander vom Mutterleib her nahe sind. Das Thema bleibt aber noch bescheiden, hintergründig. Die Worte „Feind“ oder „hassen“ finden sich nicht. Es genügt die Emotion („es entbrannte ihm“) und die Tat („er erschlug ihn“). Dazwischen steht eine dicht metaphorische Psychologie der Gewalttat. Auf Kains „Entbrennen“ hin versucht die göttliche Stimme eine therapeutische Intervention. Gott verbalisiert Kains Emotionen: „Für was entbrennt es dir, und warum fällt dein Gesicht?“ Die Spannung zwischen dem inneren Entbrennen und dem äußerlich verfallenen, gesenkten Gesicht, das sich dem Ausdruck verschließt, birgt Dynamit. Das hebräische Fragewort „für was“ (lamma) fragt janusgesichtig sowohl nach der Ursache („warum?“), über die Kain nachdenken soll, als auch nach der letzten Konsequenz („wozu?“), die bald tragisch deutlich werden wird. Die Gottesstimme schürft in hebräischer Knappheit noch tiefer, hier ausdeutend paraphrasiert: Ist es etwa nicht so? Wenn du gut handelst, kann sich dein Gesicht erheben, kommunizierst du offen und frei. Wenn du jedoch nicht gut handelst, dann wartet am Eingang, an der Öffnung, am Ventil deiner zum Bersten geladenen inneren Spannung, die Sünde. Sie will dich begierig verschlingen. Du bist in Gefahr! Du musst sie beherrschen! Kain antwortet nicht. Sein Gesicht bleibt zum Boden hin begraben. Kain nimmt Abel mit aufs Feld und erschlägt ihn. Abel heißt „Hauch“. Kaum hat er die Bühne der Geschichte der Menschheit betreten, da ist sein Leben schon ausgeatmet. Zu Lebzeiten hatten wir kein Wort aus seinem Mund gehört, erst die Stimme seines Blutes schreit zu Gott vom Boden her. Das Urbild der Opfer von Gewalttat wurde tückisch in die Zone der Unhörbarkeit entführt. Der Ackerboden der Menschheit wird erstmals zur kontaminierten Landschaft, deren stummer Schrei das Unterbewusstsein der Menschheit quält. SCHWERPUNKT JESUITEN n SEPTEMBER 2016 n MEIN FEIND

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