Jesuiten 2017-1

Ökumene in Berlin Als Kind habe ich lange nicht verstanden, warum meine Mutter, eine Lutheranerin, nicht mit uns zur Kommunion ging. Hatte unser katholischer Pfarrer sie nicht mehrfach freundlich eingeladen? Später fügte er auf seine schelmische Art an: „Hast Deinen Buben so erzogen, dass er Pfarrer geworden ist. Warum solltest ausgerechnet Du nicht dazu gehören?“ Mutter fürchtete aber, weil sie ihn mochte, dass ihm Schwierigkeiten entstehen könnten. Menschen lebten noch immer im Kampfmodus des RechtHabens und machten ausgerechnet den Gottesdienst zum Schauplatz von Bespitzelung. Die eigenen Reihen geschlossen halten und den wahren Glauben vor den Feinden, vor allem den inneren Feinden bewahren – Deformationen des blutigen, konfessionellen Zeitalters, das uns mitteleuropäischen Christen in den Knochen steckt. Luthers Thesenanschlag begründete zunächst eben keine Kirche der Freiheit, weder auf der einen noch auf der anderen Seite des Grabens, auch wenn die Auseinandersetzungen des konfessionellen Zeitalters unabdingbar gewesen sein mögen, damit uns Europäern am Ende der Auseinandersetzungen Glaubens- und Meinungsfreiheit als Kernbestand menschlicher Würde und Freiheit aufging. Im Blick auf das Reformationsjubiläum ist offenbar kollektiv beschlossen worden, die unschönen Seiten im gemeinsamen Familienalbum geschlossen zu halten. Vielleicht kommt bisher ja keine rechte Feierlaune auf, weil Versöhnung nie am Schmerz vorbei vorankommt? Mein Gedenken kreist in diesem Jahr also mehr um die Menschen, die für mich am Ausgang des konfessionellen Zeitalters stehen. Ich feiere jeden Sonntag Eucharistie in der Gedenkkirche Maria Regina Martyrum. Sie wurde in Erinnerung an Christen errichtet, die über die Grenzen der Konfessionen hinweg gemeinsam Widerstand gegen den Nationalsozialismus leisteten. Die Erfahrung des gemeinsamen Widerstandes führte sie zu einer tieferen konfessionsübergreifenden Identität als Christen in einer geteilten Verantwortung für eine humane, offene Gesellschaft. Wenigstens im Todestrakt des Gefängnisses in Tegel durften sie diese Verbindung im gemeinsamen Abendmahl feiern. Was bedeutet mir das heute? In Berlin gehöre ich als einer von gerade einmal 9% Katholiken zu den unter 50% der Bevölkerung, die sich überhaupt noch als religiös bezeichnen. Angesichts des- 2 SCHWERPUNKT JESUITEN n MÄRZ 2017 n ÖKUMENE? Konfessionsübergreifende Verantwortung für eine humane, offene Gesellschaft

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