Jesuiten 2017-2

Geflüchtet Da stand Josef in der Nacht und floh mit dem Kind und dessen Mutter nach Ägypten (Mt 2,14) 15. April Ich mache meine Augen auf. Die Bilder der Nacht begleiten mich. Ich rufe: „Mama, Vater!“ Niemand antwortet. Wo bin ich? In Syrien? Nein! Die Decke, der Raum, der Schrank … – alles ist seit einem Jahr und fünf Monaten gleich. Nichts hat sich verändert. Mir wird klar: Ich bin in Berlin. Jeden Morgen wiederholt sich der Ablauf. Eine Tasse Kaffee vorbereitet, eine Zigarette geraucht … Ich gehe auf Facebook. Da, Achmed … Er hat einen Aufenthalt für ein Jahr bekommen. Und Sami, eine Duldung für drei Jahre … Und Omar, sein Ablehnungsbescheid ist gekommen. Er muss Deutschland verlassen. Nach all dem fühle ich mich müde und leer. Ich muss raus aus meinem Zimmer. Mein Zimmer in Syrien war sehr schön und gemütlich. Aber mein jetziges ist kahl und kalt. Niemand ist da. Ich bin alleine. Nichts rührt sich. Stillstand. Ich verlasse die Hochhaustür. Plötzlich erinnere ich mich. Seit einem Monat habe ich meinen Briefkasten nicht geleert. Er ist voll Zeitungen und Post. Ich habe keine Lust, die Briefe zu öffnen, aber ich muss. Ein Termin beim LaGeSo. Er war in der vergangenen Woche. Ein anderer Brief mahnt, dass ich meinen Strom nicht bezahlt habe. Und ein neues Schreiben vom Bundesamt. Morgen … ein neuer Termin. Ich laufe zur Bushaltestelle. Die Stadt wirkt fremd. Ich habe Lust auf ein syrisches Café. Die Straße, wo ich aussteige, ist voll Läden. Sie dürfen Geld verdienen. Und ich? Ich gehe in ein kleines Café. Ich bestelle einen Kaffee und blicke auf die belebte Straße. Die Menschen gehen auf dem Bürgersteig schnell. Ich sehe sie gut. Aber sehen sie mich? Ich fühle mich müde. Das Café bleibt leer. Nur ich und der Kellner. Dieses Café ist nicht wie in meiner Heimat. Dort war es voll Freunde. Hier ist es leer und wirkt verlassen. Immer wieder vergleiche ich die Dinge hier mit denen in meiner Heimat. Aber viele gibt es nicht mehr. Der verdammte Krieg hat sie gefressen. Ich will nicht mehr warten. Ich vermisse meine Familie, meine Stadt, seine Freunde. Auch die Erde, über die ich laufe. Eine Familie mit fünf Personen überquert die Straße. Sie fassen sich an der Hand. Sie sind wie meine Familie. Es ist schön, wenn du in einer Familie lebst. Es ist schwer, in Einsamkeit zu leben. Einsamkeit ist nicht leicht, wie viele Menschen denken. Kennst Du das Gefühl? 14 SCHWERPUNKT JESUITEN n JUNI 2017 n JOSEF

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