Jesuiten 2017-2

Meine Wurzeln: Wer bin ich? Man hielt ihn für den Sohn Josefs (Lk 3,23) Wer bin ich? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Und das aus vielerlei Gründen. Wir alle tragen einen Kosmos aus Erfahrungen, Eigenschaften, Ängsten und ungeahnten Wünschen in uns, weshalb es schwierig ist, all das in einem Satz oder etwa einer ganzen Autobiografie zu beantworten. Wer bin ich? Die Frage ist auch deshalb schwierig, weil sie eine innere Spaltung voraussetzt. Denn ich muss „außer mir“ sein, mir selbst gegenüber treten, wenn ich Auskunft über mich erhalten möchte. Doch diese notwendige Trennung macht es unmöglich, meine Identität unmittelbar zu bestimmen. Wer bin ich? Das ist auch deswegen eine enorme Frage, weil sie uferlos ist. Mich gibt es nicht ohne die Beziehungen, die mein Leben ausmachen: die Menschen, aus denen ich hervorging, von denen ich Leben, Sprache, Anschauungen und Gewohnheiten übernommen habe. „Im Anfang ist die Beziehung“, schreibt Martin Buber in „Ich und Du“. Es gibt mich also nicht als isoliertes Individuum inmitten anderer Monaden, sondern nur als Knotenpunkt im Geflecht von Beziehungen aller Art. Wo höre ich auf – und wo fängst du an? Die Luft, die eben noch tief in meinen Lungen war, ist bereits in dir. Wer bin ich? Diese Frage stellte sich Jesus von Nazareth sicher auch immer wieder. Und die Bibel versucht uns vielfältige Antworten darauf zu geben. „Man hielt ihn für den Sohn Josefs“, heißt es bei Lukas im 3. Kapitel. Und dann folgt ein Stammbaum, der aufzeigt, dass Jesu Vorfahren via Josef, David und Abraham auf Adam selbst zurückgehen. „Jakob war der Vater von Josef, dem Mann Marias; von ihr wurde Jesus geboren, der der Christus genannt wird.“ (Mt 1,16) So endet der Stammbaum bei Matthäus, wo Jesus ein zweites Mal in die Reihe von Abraham, David und Josef gestellt wird. Ganz unabhängig von der Tatsache, dass die beiden Stammbäume im Detail voneinander abweichen, stellt sich die Frage, was mit ihnen überhaupt ausgesagt werden kann. Denn Josef gilt ja nicht als Jesu leiblicher Vater. Und gemäß jüdischer Rechtsvorstellungen behält ein Kind nach einer Adoption den Status seiner biologischen Eltern. Damit wäre also ohnehin keine Ahnenfolge über Josef herstellbar – es sei denn, man sieht Josef eben doch als Jesu leiblichen Vater. An der Stelle ruft allerdings die Stimme aus dem Himmel: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden.“ (Lk 3,22) Auch wenn unsere Verwandtschaftsverhältnisse nicht ganz so kompliziert sein mögen wie bei Jesus Christus: die Frage nach unseren biografischen Wurzeln ist in jedem Fall komplex. Wir sind Kinder ei- 2 SCHWERPUNKT JESUITEN n JUNI 2017 n JOSEF

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