Jesuiten 2017-2

nes durch Jahrtausende gewobenen Netzwerks genealogischer Zusammenhänge. Und auch wir sind Kinder unseres Vaters im Himmel. Mit all diesen Überlegungen möchte ich Sie nicht entmutigen, sich mit der Frage nach Ihrer Identität zu beschäftigen. Ganz im Gegenteil: im Bewusstsein darüber, wie vielschichtig die Angelegenheit ist, empfehle ich dringend, dass Sie sich ihrer Biografie annähern. Und das auf mehreren Ebenen. Deshalb noch einmal: Wer bin ich? Mit Verweis auf die DNS könnte man sagen, dass wir die Mischung aus Mischungen des genetischen Erbguts ungezählter Vorfahren sind. Doch selbst die Biologie macht es uns mittlerweile nicht mehr so einfach und gesellt der Genetik die Epigenetik bei – also jener wissenschaftlichen Disziplin, die erforscht, wodurch erbliche Veränderungen an Chromosomen hervorgerufen werden. Dabei wurde herausgefunden, dass Erfahrungen eines Vorfahren sich im Leben eines Nachfahren wiederspiegeln. Demnach ist unser Leben selbst auf biologischer Ebene nicht nur durch Gene bestimmt. Auch konkrete Erfahrungen unserer Vorfahren prägen unser Dasein heute. Klingt nach Science-Fiction, ist jedoch ernstzunehmende Biologie. Wer sich mit sich selbst beschäftigt, kommt also an Ahnenforschung nicht vorbei. Das hat auch der Begründer der Systemtherapie, Murray Bowen, zum Grundsatz seines therapeutischen Ansatzes gemacht. Jeder Familienstammbaum kennt genuine Verhaltensmuster, die sich auf die einzelnen Elemente dieses Systems auswirken – und das häufig negativ. Wer diese Dynamiken kennt, kann sich davon distanzieren, anstatt unbewusst von ihnen bestimmt zu werden – so die Überzeugung der Systemtherapie. Gnóthi sautón – Erkenne dich selbst. Das stand über dem Orakel in Delphi. Auch nach 2.500 Jahren ist das ein aktuelles Lebensprogramm. Im Bewusstsein darüber, dass es mich nicht isoliert gibt, wende ich mich vertrauensvoll an jenes Du, das es wissen muss: „Ob ich gehe oder ruhe, es ist dir bekannt; du bist vertraut mit all meinen Wegen. Denn du hast mein Inneres geschaffen, mich gewoben im Schoß meiner Mutter.“ (Ps 139) Simon Lochbrunner SJ 3 JESUITEN n JUNI 2017 n JOSEF Die Frage nach unseren biografischen Wurzeln ist in jedem Fall komplex.

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