Jesuiten 2019-1

14 JESUITEN n MÄRZ 2019 n ABERGEISTER SCHWERPUNKT Besessen oder psychisch krank? Mit dem Begriff „Abergeister“ übersetzt der Theologe Fridolin Stier das Wort „Dämonen“, das wir in den synoptischen Evangelien lesen. Die Dämonen wissen, dass Jesus der Menschensohn ist und widersetzen sich seiner heilenden Macht. Sie bewirken Unordnung, sozialen Ausschluss, auffälliges Verhalten; wie im Fall des Besessenen von Gerasa (Mk 5), den Jesus von den quälenden Abergeistern, „unreinen Geistern“ befreit. Dämonische Besessenheit ist ein Zustand widergöttlicher Unordnung, dessen Überwindung die göttliche Vollmacht Jesu zeigt. Die Abergeister gehören zum biblischen Weltbild; heute würden wir ihre Auswirkungen eher als Verhaltensstörung, in manchen Fällen auch als Epilepsie beschreiben. Spuren dieser biblischen Auffassung von Besessenheit zeigen sich in der Taufliturgie, wenn um den Schutz vor der Macht Satans gebetet wird und der Täufling bzw. die Eltern und Paten vor dem Glaubensbekenntnis allem Widergöttlichen widersagen. Unsere moderne Sicht vom Menschen betont die Autonomie und Abgegrenztheit der Persönlichkeit, erklärt Störungen des Erlebens und Verhaltens im Allgemeinen nicht mehr durch Dämonen, sondern durch Krankheiten oder Vergiftungserscheinungen. Aber auch heute gibt es Menschen, die sich selbst für besessen halten oder die andere so beschreiben. Die Internationale Klassifikation der Krankheiten nennt als Kriterien für Trance- und Besessenheitszustände: Solche Zustände treten im Alltagskontext außerhalb von religiösen oder kulturell akzeptierten Situationen auf. Es liegt ein zeitweiliger Verlust der persönlichen Identität und der vollständigen Wahrnehmung der Umgebung vor. Die Herbeiführung dieser Zustände ist ungewollt und unfreiwillig. Ein weiteres (optionales) Kriterium ist die Überzeugung, fremdbeherrscht zu werden (z.B. durch einen Geist, durch Gott, durch eine andere Kraft/Person). Durch diese Definitionen der Weltgesundheitsorganisation wird klar: „Besessenheit“ ist auch heute für manche Menschen ein Krankheitsmodell, allerdings mit erheblichen regionalen Unterschieden und abhängig vom jeweiligen kulturellen und religiös-spirituellen Hintergrund. Sowohl die biblischen Berichte von Abergeistern, als auch seelische Krankheiten in unserem Umfeld, die z.B. mit Entfremdungserlebnissen einhergehen, mit dem Verlust der Einheit des Erlebens (Dissoziation) oder mit Halluzinationen (Stimmenhören) erinnern uns an unsere eigene Brüchigkeit und Verletzlichkeit. Die Wirkung von Abergeistern besteht darin, dass sie ein Erschrecken vor der Fremdheit des Anderen auslösen und den „normalen“ Menschen dazu bringen, sich abzugrenzen, das auffällige Fremde im Anderen auszugrenzen. In dieser Hinsicht ist Jesus ein Modell: Er geht auf die Abergeister zu, spricht sie an, vor allem aber spricht er die Besessenen an, holt sie in die Gemeinschaft zurück: „Geh

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