Jesuiten 2019-3

SCHWERPUNKT 4 JESUITEN n SEPTEMBER 2019 n WISSENSCHAFTLER Denken lernen – ein Weg für das Leben Es war eine sehr spannende Zeit, die ich am Institut für Philosophie und Leadership der Hochschule für Philosophie in München verbringen durfte. Neben meiner Promotion besuchte ich an der Hochschule im Laufe der drei Jahre verschiedene Seminare und Vorlesungen, die mir eine ganz neue Sicht der Philosophie vermittelten. Die meisten Veranstaltungen werden auch heute von Jesuitenprofessoren gehalten. Am Eingang der Hochschule wurde ich täglich mit dem Motto konfrontiert: „Denken lernen!“, der auf der Wand zu lesen war. Die Jesuiten, die ich an der Hochschule im Rahmen akademischer Veranstaltungen kennenlernen und erleben durfte, vermitteln genau diese Art und Weise, sich mit wissenschaftlichen Themen auseinanderzusetzen. Die lange Tradition der Jesuiten in der Wissenschaft geht zurück bis zur Gründung des Ordens im Jahre 1540, denn seine Gründung stimmt zeitlich und kulturell mit der Geburt der modernen Wissenschaft überein. Die Gesellschaft Jesu legte sich vom Anfang an die herausfordernde Aufgabe ans Herz, die Bildung des Menschen in allen ihrer Facetten zu fördern und zu verbreiten. Mithilfe der finanziellen Unterstützung der jeweiligen Fürsten wurden – allein in Europa – mehr als 600 Kollegien und Universitäten im Laufe der Jahrhunderte gegründet. Die besondere Eigenschaft ihrer „Sendung“ ist ihre Verbindung mit der tiefen Spiritualität des Ignatius von Loyola, der eine ganz persönliche Ausrichtung auf Gott lebte und sie anderen durch seine Exerzitien vermittelte. Diese Spiritualität ist von der wissenschaftlichen Arbeit der Jesuiten nicht zu trennen. Einer der Kerngedanken der ignatianischen Spiritualität, „Gott in allen Dingen zu finden“, verstand Ignatius als Einladung für alle Bereiche des Lebens, auch die Wissenschaft. Diese tiefe Verwurzelung in der Spiritualität bedeutet wiederum nicht, dass Jesuiten in einer einseitig theologischen Sichtweise ihre wissenschaftliche Arbeit betreiben und die nötige Sachlichkeit verlieren. Ganz im Gegenteil: „Denken lernen“ und die Verwurzelung in der Spiritualität ermöglichen es, einen klaren Blick zu bewahren und die Sachlichkeit nicht zu verlieren. Für die Studierenden bedeutet das, dass man dabei begleitet wird, sich seiner eigenen Verwurzelung und Perspektive bewusst zu werden, die Themen in ihrem Gehalt voll zu durchdringen und auf dieser Basis eigene Argumente entwickeln zu können. Wie vor über 450 Jahren geht es auch heute noch im jesuitischen Wissenschaftsbetrieb darum, „Denken zu lernen“ und so die Persönlichkeit als Ganze zu bilden. Arianna Torricelli

RkJQdWJsaXNoZXIy MjIwOTIwOQ==