Jesuiten 2019-4

21 Der Ewigkeit einen Alltag geben Liebe Frau Dr. Thurmair, schon lange wollte ich Ihnen einmal schrei‑ ben. Das ist ungewöhnlich, bestimmt, nicht zuletzt deshalb, weil ich eine sehr unverdächtige Bewunderin Ihrer Arbeit bin. Sie müssen wissen: mit Kirchenmusik werde ich mich vermutlich nie anfreunden. Doch für eine bestimmte Form von Kirchenmusik sind Sie bekannt. Viele Ihrer Liedtexte sind heute fester Bestandteil der Liedauswahl in den Gemeinden. Leider bleibt mir diese Form der gemeinschaftlichen Spiritualität fremd. Aber wenn ich Ihren Lebenslauf lese, stockt mir der Atem. In den Wirren des Ersten Weltkriegs mit Ihrer Familie aus Südtirol vertrieben. Eine Promotion als Frau zu einer Zeit, in der das alles andere als selbstverständlich war. Eine politische Geradlinigkeit gegenüber dem Nationalsozialismus, die unbequem und gefährlich war. Natürlich berührt mich auch die gemeinsame Lebens- und Wirkungsgeschichte mit Ihrem Mann. Eine Heirat mitten im Krieg. Eine Ehe, die über 40 Jahre hält. Dazu sechs Kinder und eine rege berufliche Tätigkeit. Alles nicht selbstverständlich. Jedenfalls nicht in dieser Kombination – trauriger Weise bis heute nicht. Sie waren geschätzte Vordenkerin und anerkannte Gesprächspartnerin für viele konkrete Umsetzungsfragen nach der Liturgiereform des 2. Vatikanischen Konzils. Auch vor unbequemen Themen wie der Ökumene und der Rolle der Frau hatten Sie (natürlich!) keine Angst. Und Sie haben auf ihrer Schreibmaschine (Lied-)Texte geschrieben – einen um den anderen. Ich bewundere sehr, dass es Ihnen dabei gelang, Ihre Person hinter Ihre Arbeit und den Sinn, den Sie in ihr sahen, zu stellen. Das ist vielleicht ein typischer Wesenszug von Frauen, aber gleichermaßen einfach wohltuend. Gerade im Jahr 2019. Schließlich haben Sie in und mit Ihren Texten mehr von sich erzählt, als es Titel, Biographien und Ehrungen je könnten. Was vielleicht damit zu tun hat und mich auch nicht loslässt, ist die – im besten Sinne des Wortes – Banalität Ihrer Sprache. Denn sie zeigt, wie sehr Ihre Poesie Theologie ist. Sie muss sich am Gesprochenen und Unausgesprochenen unseres Lebens orientieren, sonst gilt sie nicht. In der Einfachheit und dem Gewöhnlichen etwas Heiliges entdecken. Von der Kreativität eines Gottes erzählen, der in Jesus Christus seiner Ewigkeit einen Alltag gab. Für all dieses Vordenken, Vorleben und Vorarbeiten bin ich Ihnen dankbar – und sicherlich werde ich an all das denken, wenn ich wieder Ihren Namen unter einem Liedtext lesen werde. Ihre Maria Herrmann JESUITEN n DEZEMBER 2019 n THEO:POESIE

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