Jesuiten 2019-4

JESUITEN n DEZEMBER 2019 n THEO:POESIE Staunen Vielleicht kennen Sie die Stelle aus dem Lukasevangelium, an der die Jünger die Kinder nicht zu Jesus vorlassen. Jesus reagiert darauf mit den folgenden Worten: „Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Reich Gottes.“ (Lk 18,16). Was macht Kinder aus, dass ihnen das Reich Gottes gehört? Nun, man könnte sicherlich einiges dazu aufzählen, ich will mich mit einer Eigenschaft begnügen: dem Staunen. Kinder haben – viel mehr als Erwachsene – die Fähigkeit zum Staunen. Das lässt sich gerade jetzt um Weihnachten überall beobachten. Wenn Sie beispielsweise in der Citykirche Sankt Michael in Göttingen die Kinder beobachten, die dort die große Innenhof-Krippe besuchen, dann erleben Sie ein ständiges Staunen der Kinder: über die lebensgroßen Schafe und die vielen Tannenbäume, über das Stroh, die Kerzen und Sterne, die den Weg zur Krippe weisen, und natürlich über die Krippe selbst mit all ihren Figuren, Engeln, Tieren und Landschaften. Noch dazu verändern sich Krippenszene und -landschaft immer wieder, so dass es bei jedem Besuch Neues zu entdecken gibt und die Geburt Jesu in verschiedenen Etappen erlebbar gemacht wird. Ich habe selten so viele staunende Kinderaugen gesehen wie während der weihnachtlichen Zeit bei den unzähligen kleinen Besuchern dieser Krippe. Und das Staunen der Kinder ist ansteckend! Sie führen einen mit dem Finger zu ihren Entdeckungen und lassen einen an dem teilhaben, was ihre Aufmerksamkeit gebannt und ihr Herz zum Staunen gebracht hat. So ein staunendes Herz ist etwas, das bei Erwachsenen oftmals abhandengekommen ist, sei es durch die Mühlen und Mühen des Alltags, durch Erfahrungen, die nicht zum Staunen, sondern zum Fürchten waren, oder durch eine durchoptimierte und abgeklärte Einstellung zu den Dingen. Dabei ist Weihnachten doch eine wunderbare Möglichkeit, sich wieder zum Staunen führen zu lassen. Gott wird Mensch. Der allmächtige Weltenschöpfer wird selbst Geschöpf. In einem Stall, irgendwo am Ende der Welt. Er lässt sich ein auf diese Welt, in der so viel gebrochen, zerstört und mühsam ist, er tut es sich an, ohne dass er es müsste. Einfach nur, weil er bei uns sein will, weil er uns liebt und uns seine Liebe mitteilen möchte. Er wird sein ganzes irdisches Leben lang keiner Sorge oder Not aus dem Weg gehen und mit unendlicher Geduld trösten, heilen, segnen und zuhören. Er will uns erfüllen mit seiner schöp22 GEISTLICHER IMPULS

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