Jesuiten 2019-4

Es ist, als ob die Mysterien des Christentums neu und frisch aufleuchteten. 6 SCHWERPUNKT JESUITEN n DEZEMBER 2019 n THEO:POESIE Poetische Dogmatik Eine Verheißung aus tausend Erinnerungen Dem ‚Morgen‘ widmete Alex Stock (19372016) sein letztes Buch. Dort finden sich noch einmal alle Motive seines Werkes auf knappem Raum vereint. Biblische und liturgische Texte, Gebete, Poesien, Erzählungen, Bilder aus allen Zeiten, um dem Schöpfungs-, Auferstehungs- und Lebensmorgen Gottes wie der Menschen Kontur, Resonanz wie theologische Weite und Dichte zu geben. ‚Poetische Dogmatik‘, der Titel war die leise Fanfare seines Lebensprogramms. Nämlich in der Kunst- und Kulturgeschichte wie der Liturgie Spuren zu sammeln, in denen sich das Licht der Mysterien des Christentums spiegelte und indirekt vergegenwärtigte. Und umgekehrt, von den Glaubenssymbolen her, Texte und Bilder der Kulturgeschichte, aber auch die Hymnen und Gebete der Liturgie, sogar das ‚Dies irae‘, neu zu lesen. Alex Stock, der einst in Innsbruck studiert hatte, gründete zu diesem Zweck ein Institut für Bildtheologie an der Universität Köln, ganz am theologischen und kirchlichen Betrieb vorbei, von diesem lange verkannt; und er schrieb durch zwei Jahrzehnte sein Opus magnum mit 5000 Seiten: Poetische Dogmatik. Was für ein befremdlicher und verheißungsvoller Titel! Es ist, als ob die Mysterien des Christentums neu und frisch aufleuchteten, indem man sie vom Spielfeldrand der Kunst und der liturgischen Praxis aus betrachtete und anders ins Spiel brächte. So verstehen wir, dass Poesie und Kunst keine beliebigen Schnörkel oder Beigaben sind, sondern Formen der Realisierung des Leibes Christi, genuine Orte der Theologie, also der Wahrnehmung und Wahrgebung der Geheimnisse des Christentums wie des Lebens und ihrer gegenseitigen Wandlungs- und Übertragungsgeschichte. In ihnen wird das meta-phorein, die Kunst der Übersetzung zwischen Welten, konkret, anspruchsvoll und ansprechend, auch spielerisch verwirklicht. Da wird mehr gesagt als in den Traktaten der klassischen Universitätstheologie, vielmehr etwas angedeutet und eröffnet. Deshalb habe Christus keine Christologie geschrieben, sondern Gleichnisse erzählt und gleichnishaft gehandelt. Deshalb liebt Jesu, etwa in der Bergpredigt, die Metaphern. Deshalb besteht die Bibel zu einem hohen Prozentsatz aus Erzählungen und den Psalmen – eben Poe-

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