Jesuiten 2020-1

14 JESUITEN n MÄRZ 2020 n MACHT SCHWERPUNKT Machtmissbrauch und Nähe Missbrauchsbetroffene berichten mir in den letzten Jahren, dass sie sich doppelt bestraft fühlen, wenn Seelsorger ihnen Nähe verweigern, weil sie selbst nun in der Aufarbeitung von Machtmissbrauch „Nähe“ grundsätzlich unter Verdacht stellen und auch nicht mehr zulassen, wenn diese von Betroffenen gewünscht wird. Betroffene verlieren so nach dem Missbrauch in der Nahbeziehung auch noch die Chance, wieder in gute Nahbeziehungen hineinzukommen, wenn sie diese wollen. Das erleben sie als zweite Bestrafung – nach der Ausgrenzung durch den Missbrauch. Ich halte es für den falschen Weg, wenn kirchliche Seelsorgerinnen und Seelsorger, insbesondere Priester, aus dem Missbrauch die Konsequenz ziehen, eine Distanz-Kultur aufzubauen, die Nahverhältnisse zu ihnen nicht mehr zulässt. Wenn sich ein Kind, das Heimweh hat, weinend in meine Arme wirft, werde ich es nicht zurückstoßen. Das Kind in Not darf mein Herz anrühren. Nähe zulassen ist mehr als professionell helfen, so unerlässlich Professionalität ist. Es gibt eine Nähe, die möglich ist, ohne dabei die Regeln zu verletzen, die in asymmetrischen Nahverhältnissen unbedingt zu gelten haben. Gott sucht die Nähe zur Menschheit. Das bedeutet auch: Gott sucht berührbare Nähe, beginnend in der Nahbeziehung des Säuglings in Bethlehem im Schoß Mariens. Die körperliche Nähe selbst ist schon ein „Sagen“ Gottes vor allen Worten. Sie ist das Evangelium, bevor es gepredigt wird. Gott spricht durch größtmögliche Nähe. Die Nähe des menschgewordenen Gotteswortes (vgl. Joh 1,1) hört nicht mit Tod und Auferstehung Jesu auf. Es bleibt mehr da als nur die Botschaft eines prophetischen Gottes-Sohnes, die in kanonischen Schriften festgehalten ist. Vielmehr ist die Kirche selbst „in einer nicht unbedeutenden Analogie dem Mysterium des fleischgewordenen Wortes ähnlich.“ (Lumen Gentium 8, 2. Vatikanisches Konzil). Sie repräsentiert in ihrer sozialen, berührbaren Realität die Nähe Christi zu seinem Volk mitten in der Welt. Wie kann da die Abwehr von Nähe zum Gestus von kirchlichen Seelsorgern werden, wenn Menschen mit ihrer Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit bei ihnen anklopfen? Wenn das die Konsequenz von „Prävention“ wäre, dann hätte der Machtmissbrauch auch über die guten Nahverhältnisse gesiegt, die lebensnotwendig und manchmal sogar lebensrettend sind. Doppelte Bestrafung eben.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjIwOTIwOQ==