Jesuiten 2020-1

Ja, ich bin einer von Denen Als im Canisius Kolleg 2010 die Missbrauchsfälle aufgedeckt wurden, war ich als Jugendseelsorger in Hamburg. Sehr schnell wurde damals klar, dass es auch an unserer Schule zu sexuellem Missbrauch gekommen war. An einem dieser Tage stellte sich mir eine kleine Gruppe von Jungs in den Weg und begrüßte mich mit dem Satz: „Sie sind doch auch einer von Denen!“ Das war damals für mich ein Schlag in die Magengrube, aber heute bin ich fast dankbar dafür. Denn darin liegt auch einiges an Wahrheit. Ja, ich bin einer von Denen. Ich bin wie die damaligen Missbrauchstäter Jesuit. Wie die meisten anderen Jesuiten bin ich nicht schuldig am Missbrauch, aber als Gemeinschaft tragen wir eine Verantwortung dafür was geschehen ist und dass so etwas nicht wieder geschieht. In den letzten zehn Jahren haben Menschen in der Kirche viel Verantwortung gezeigt und ihre Weise mit Menschen zu arbeiten überdacht. Andere waren für Betroffene Ansprechpartner und haben zugehört. Wieder andere haben sich eingesetzt um das Thema Kindesschutz weltweit in der Kirche zu verankern. Die Frage ist: Reicht das? Hier gehen die Meinungen auseinander. Auf allen Seiten gibt es eine Müdigkeit, nach so vielen Jahren immer noch mit diesem schmerzhaften Thema beschäftigt zu sein und den Eindruck zu haben, nicht vom Fleck zu kommen. Als Jesuiten werden wir wohl nie alle Forderungen erfüllen können, dazu ist das geschehene Unrecht zu groß. Aber wir müssen ganz sicher unser Selbstverständnis in Frage stellen zu lassen. Ich sehe darin für uns auch die Chance zu einer echten Bekehrung. Ich bin vor 14 Jahren in den Orden eingetreten – in einen Orden mit einer unglaublich reichen und tiefen Spiritualität. Irgendwann ist mir klargeworden, dass es neben den Idealen unserer Spiritualität eine Ordenskultur gibt mit weiteren oft unbewussten Idealen, die manchmal nicht mit dem Evangelium konform sind. Beim Hineinwachsen in den Orden werden wir Jesuiten über die Jahre stark geprägt. Das gilt in positiver und leider auch in negativer Hinsicht. Der Prozess ist schleichend, aber genau hier beginnt auch die Verantwortung. Gegen manche Dinge braucht es Bewusstwerdung und Widerstand. Der Umgang mit Macht ist in unserem Orden geprägt von solchen bewussten und unbewussten Idealen. Viele Jesuiten haben durch ihre Aufgabe, dem Priestertum und durch ihre Netzwerke Macht über andere Menschen. Diese sollen sie einsetzen im Dienst und zum Wohl der Menschen. In diesem Sinn ist sie auch etwas Gutes. Macht an sich soll dagegen nie angestrebt werden. Diese wichtige Unterscheidung kann leicht verschwimmen. In einer Männergemeinschaft kann Macht gebraucht werden, um die Rangfolge abzustecken. Ich-Stärke, die auch eine Frucht der ignatianischen Exerzitien ist, kann zu einem „sich-durchsetzen“, um jeden Preis verkommen. Die Folge ist Vereinzelung und Individualismus. Machtmissbrauch und im speziellen sexueller Missbrauch ist komplex. Es braucht eine Verkettung von Umständen, um ihn zu ermöglichen. Wir müssen diese Punkte aufspüren, an denen unsere Spiritualität eine offene Flanke zu unbewussten Idealen und Handlungsweisen zeigt. Das ist der geistliche Anteil der Verantwortung, die wir tragen. Claus Recktenwald SJ 16 SCHWERPUNKT JESUITEN n MÄRZ 2020 n MACHT

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