Jesuiten 2020-1

Professionalität statt Unbekümmertheit Für die Kinder und Jugendlichen, die mir anvertraut sind, habe ich eine große Verantwortung. Einer der Hauptmissbrauchstäter am Canisius-Kolleg vor 40 Jahren war einer meiner Vorgänger. Mir ist bewusst, dass meine Position als Geistlicher Leiter der außerschulischen Jugendarbeit am Canisius-Kolleg nicht nur diese geschichtliche Bürde trägt, sondern, dass in meiner alltäglichen Arbeit ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Kindern und Jugendlichen und mir besteht. Diese asymmetrische Beziehung hat dieser Vorgänger missbraucht. Ich weiß, dass ich als Erwachsener immer der Mächtigere bin. Dieses Bewusstsein prägt mein Verhalten in meiner alltäglichen Arbeit. Ich mache heute Jugendarbeit mit einem anderen Bewusstsein als vor 2010. Es ist in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich keine Jugendlichen mehr auf die Schulter klopfe, dass ich darauf achte, nie allein mit einem Minderjährigen in einem verschlossenen Raum zu sein – außer dieser hat eine Glastür. Meine geistlichen Gespräche führe ich z.B. bei unseren Jugendexerzitien nicht im Zimmer, sondern bei einem Spaziergang draußen. Die Unbekümmertheit in meiner Arbeit ist einer gewissen Professionalität gewichen. Diese gibt mir eine Sicherheit im Umgang mit ihnen, die neue Freiräume schafft und mir die Möglichkeit gibt, das zu thematisieren, was sich vor Jahrzehnten in unseren Räumlichkeiten abgespielt hat. Ich habe akzeptiert, dass durch diese Vorfälle meiner Spontaneität, durch eine permanente Reflexion über mein Verhalten gegenüber den Minderjährigen, Grenzen gesetzt sind und zugleich fühle ich mich von der ständigen Sorge entlastet, mich missverständlich zu verhalten. Ich bin den Eltern dankbar, dass sie trotz der Missbrauchsfälle der Vergangenheit, uns Jesuiten ihre Kinder anvertrauen. Das ist keine Selbstverständlichkeit und wir Jesuiten sehen darin eine größere Verpflichtung, das Kindeswohl zu schützen. Ich möchte Minderjährige stark und sprachfähig machen. Sie sollen Übergriffe schon beim Versuch als solche erkennen, Nein sagen können und wissen, wo sie Hilfe finden können. Jugendarbeit ist immer auch Beziehungsarbeit. Deshalb ist ein wesentliches Element in unserer Ausbildung der Gruppenleiter*innen das angemessene Verhalten gegenüber den Kindern. In einem guten Nähe-Distanz-Verhältnis dürfen Zuwendung und Zuneigung nicht verweigert werden, z.B. wenn sich ein Kind das Bein aufgeschlagen hat und weinend Trost sucht. Die Gruppenleiter*innen dürfen aber nicht von sich aus Zuneigung initiieren und aufdrängen. Diese feinfühlige Resonanz ist die Leitlinie für unseren Umgang mit Schutzbefohlenen. Mir tut weh, zu wissen, dass durch den (sexualisierten) Machtmissbrauch, die Frohe Botschaft, die wir verkünden wollen, verdunkelt wurde und dass immer noch Einiges aufzuklären und aufzuarbeiten ist. Auch Strukturen müssen überprüft und wo nötig, verändert werden. Dabei treibt mich die Frage um, ob ich als katholischer Priester und Repräsentant der Kirche an einer Aufrechterhaltung von Strukturen beteiligt bin, die Machtmissbrauch, Ungerechtigkeit und Herrschaftsausübung begünstigen. Felix Schaich SJ 17 JESUITEN n MÄRZ 2020 n MACHT

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