Jesuiten 2020-2

6 SCHWERPUNKT JESUITEN n JUNI 2020 n KIRCHENBILD[ER] Die eine Kirche mit ihren vielen Gemeinden Max Weber war in seiner Religionssoziologie die Unterscheidung zwischen Kirche und Gemeinde wichtig. Die Kirche verlangt wenig, die Gemeinde viel. In die Kirche, jedenfalls die katholische, kommt man durch die Kindertaufe. Man wird ohne die Chance, Ja oder Nein sagen zu können, durch den sakramentalen Akt der Taufe in die Kirche aufgenommen. Und selbst wenn man in Deutschland dem Staat gegenüber bekundet, dass man nicht mehr bereit ist, seine Kirchensteuer zu entrichten, bleibt man qua Taufe Mitglied der Kirche. Die Kirche ist in Max Webers Worten eine Heilsanstalt mit Gnadenmitteln, die Vorkehrungen dafür trifft, dass man ihr nicht entkommen kann. Deshalb kann die schlimmste Sünderin am Ende ihrer Tage Trost bei ihrer Kirche finden. Die Sterbesakramente, die Beichte, die Salbung, die Kommunion, bekräftigen zuletzt die unkündbare Mitgliedschaft in einer Gemeinschaft der Lebenden und der Toten. Die Kirche steht einem durch ihren Priester bei, das eigene Leben vor Gott zu ordnen, in Frieden und Vertrauen loszulassen und das Leben in die Hände Gottes zurückzulegen. Die Kirche kann man aus eigenem Willen nicht verlassen, sie ist dafür aber auch immer für einen da. Diese leistungslose Mitgliedschaft ist je nach dem Fluch und Segen zugleich. Die Gemeinde dagegen lässt einen nicht gewähren, sie fordert das einzelne Gemeindemitglied im Gegenteil dazu auf, sich einzubringen, sich auf die anderen Gemeindemitglieder zu beziehen und eine für alle Beteiligten erlebbare und erfahrbare Gemeinschaft zu bilden. Die Gemeinde wirkt deshalb nicht vorbehaltlos inklusiv, sondern leistungsbezogen exklusiv. Die Gemeinde ist eine soziale Form wechselseitiger Sozialisation im Dienste des je eigenen Heils. Man achtet aufeinander, man hilft einander und man unterweist sich gegenseitig im Bemühen um ein gottgefälliges Leben. Das ist der Grund für den ungeheuren Erfolg der evangelikalen Springflut gerade in den Kernländern des Katholizismus in Lateinamerika oder in Afrika. Die beiden Botschaften, die die Menschen anzieht, die was aus sich machen wollen, lauten: Du musst nicht arm und ohnmächtig bleiben! Und: Du kannst etwas dafür tun! Man sagt eben nicht: Du bist zwar arm, aber Du kannst trotzdem in den Himmel kommen! Die aufstrebende globale Mittelklasse wird auf der Suche nach einer maßgeblichen Lebensführung eher dem Modell Gemeinde als dem der Kirche zuneigen. Leistende Exklusivität mobilisiert für Erfolg, leistungslose Inklusion verstärkt den Fatalismus. Die Option für die Armen spricht dann nicht für, sondern gegen die Kirche.

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