Jesuiten 2020-3

Handeln vor der Apokalypse Lange Zeit haben futuristische Romane eine zunehmend perfekte und organisierte Welt beschrieben. Dann, mit der Entwicklung der Atombombe, änderte sich der Ton, und die Angst wuchs. Eine neue Literaturgattung erschien und wuchs exponentiell: die postapokalyptische Literatur. Gewöhnlich versucht eine Handvoll Menschen in einer Welt zu überleben, die verwüstet und rückwärts gewandt wurde. Was passiert in diesen Geschichten mit der Religion? Das sieht leider nicht sehr optimistisch aus! Wir sehen Sekten von Fanatikern oder Gruppen nach dem Vorbild der Geißler des Mittelalters, die sich in ihren Ecken reuevoll an die Brust schlagen, sich aber nicht wirklich organisieren, um zu handeln. In den meisten Fällen sind diejenigen Konfessionen, die ein positiveres Verhältnis zur Welt haben und einen rationalen und bescheidenen Einfluss auf die öffentliche Debatte ausüben wollen – wie etwa die katholische Kirche –, einfach verschwunden. Merkwürdigerweise scheinen diese Autor*innen für die Religion keine Alternative zwischen Resignation und Fanatismus zu sehen. Aber haben sie Recht? In den Evangelien (vgl. Mk 13, Lk 21 und Mt 24) wie im Buch der Offenbarung werden dunkle Prophezeiungen über die kommende Zeit geäußert. Eines fällt auf: Am bedrohlichsten sind nicht die Ereignisse selbst, sondern die Angst, die sie provozieren und die im Voraus lähmt: „Die Menschen werden vor Angst sterben, während sie darauf warten, was mit der Welt geschehen soll“ (vgl. Lk 21,26). Der Verfasser des Hebräerbriefs wird wohl die gleiche Inspiration haben, wenn er auf der Tatsache besteht, dass Christus kommt, um „all jene freizulassen, die aus Furcht vor dem Tod ihr ganzes Leben als Sklaven verbracht haben“ (Hebr 2,15). Wir haben es also mit dem folgenden christlichen Paradoxon zu tun: Christ*innen sagen nicht, dass die Welt am Ende eine klassenlose Gesellschaft oder ein Paradies auf Erden sein wird oder dass der Mensch 120 Jahre alt werden wird. Ganz im Gegenteil! Sie verkünden das Ende der Welt, so wie sie ist. Das hindert sie jedoch nicht daran, freudig und von Hoffnung beseelt zu sein und in Zusammenarbeit mit anderen „besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt“ (Titus 2,12) zu arbeiten. Diese Texte, die Gründe für Ängste sein könnten, sind in Wirklichkeit Quellen des Friedens und des Vertrauens. Tatsächlich können angesichts der radikalen Bedrohungen, die über der Zukunft unseres Planeten schweben, zwei Versuchungen entstehen und die Gläubigen bedrohen. Entweder zu glauben, dass man blind und tatenlos seinen Glauben auf Gott setzen muss, in der Annahme, dass er eines Tages die Probleme von oben lösen wird, was wir traditionell „Fideismus“ 10 SCHWERPUNKT JESUITEN n SEPTEMBER 2020 n APOKALYPSE

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