Jesuiten 2020-3

Apokalypse 2020/3 ISSN 1613-3889 Jesuiten

Titelbild © pixx photocase Wer für ein paar Tage darauf achtet, wie oft ihm der Begriff „Apokalypse“ begegnet, der merkt meist: In der Alltagssprache kommt das Wort selten vor. Vielleicht liegt es einfach an der Größenordnung, die der Begriff einem Wandel oder Einschnitten in der Geschichte beimisst. Apokalypse – das hebt man sich für den Weltuntergang oder für Katastrophen auf, die tatsächlich „apokalyptische Ausmaße“ annehmen. Doch braucht es aber gar nicht viel, um bestehende Verhältnisse ins Gegenteil zu verkehren oder komplett aufzuheben. Manchmal braucht es auch nur eine kleine optische Täuschung oder den Zahn der Zeit. Die Bildstrecke in dieser Ausgabe geht solchen kleinen Apokalypsen nach. Sie offenbaren: Dass sich die Dinge ändern, geht schneller, als man denkt. Stefan Weigand Diese Druckerzeugnis wurde klimaneutral hergestellt, d.h. die mit der Produktion quantifizierten CO2-Emissionen werden durch Klimaschutzzertifikate kompensiert. Ausgabe September/2020 Jesuiten 1 Editorial Schwerpunkt 2 Apokalypse … und die Wahrheit dahinter 4 D as eigentliche Wunder von 1989 5 D ie Apokalypse hinter den Kulissen 6 „ Der rote Knopf ist längst gedrückt!“ 8 D ie Apokalypse im Nacken? 10 H andeln vor der Apokalypse 12 Z iviler Ungehorsam als gefühlte Pflicht einer Christin 14 K inder sind mehr als Schule 16 Viele Probleme, eine Ursache 18 Der Platz zwischen den Stühlen 20 M ensch, worauf hoffst du? Geistlicher Impuls 22 Alles jetzt!? Nachrichten 24 Neues aus dem Jesuitenorden Personalien 28 Jubilare 28 Verstorbene Medien/Buch 29 Licht in allen Dingen finden. Adventskalender mit ignatianischen Impulsen Vorgestellt 30 An der Seite der Benachteiligten 33 Die besondere Bitte 34 In dieser Ausgabe schrieben 37 Standorte der Jesuiten in Deutschland ID-Nr. 2093721

EDITORIAL Liebe Leserinnen, liebe Leser, Eine „apokalyptische“ Sprache und Symbolik hat in der Öffentlichkeit seit einiger Zeit spürbar zugenommen. Wir sehen Hunderttausende Jugendliche von „Fridays for Future“ auf den Straßen, begegnen der „Eco Anxiety“ („Öko-Angst“) einer gut ausgebildeten jungen Generation und erleben immer stärker ausgeprägte Debatten über die Zukunftsfähigkeit unserer westlichen Gesellschaften. Das veranlasste das Redaktionsteam im November 2019, ein Themenheft zur „Apokalypse“ zu beschließen. Leben wir tatsächlich in einer „apokalyptischen“ Zeit – selbst, wenn wir es womöglich nicht immer merken, weil sie gewissermaßen schleichend und im Hintergrund vor sich geht? Was bedeutet dieser Begriff aus christlicher Sicht? Wie kann man mit der Spannung aus Angst und Hoffnung angesichts großer Veränderungen – gewollter und ungewollter Art – umgehen? Und was könnte die Rolle von Christ*innen in einer solchen besonderen Zeit sein? Nur wenige Monate nach unserer Entscheidung kam es zum Lockdown aufgrund der Corona-Pandemie. Umso mehr breiten sich seitdem „apokalyptische“ Gefühle in unserer Gesellschaft aus. Viele Menschen sind direkt oder indirekt von der Krise betroffen. Bei einigen war sie aber auch eine ungeplante Gelegenheit der Rückbesinnung auf das Wesentliche. Wie eine seltsame Windstille vor, nach oder einige Kilometer vom Sturm entfernt. Liebe Leserinnen und Leser, mit diesem Heft können und wollen wir keine Rezepte bieten, wie mit den um sich greifenden komplexen Krisen umzugehen ist. Stattdessen möchten wir einige Stimmen zu Wort kommen lassen, die das vermutlich auf den ersten Blick etwas sperrige Thema der Apokalypse aus einer Perspektive christlicher Spiritualität ernst nehmen. Vielleicht gibt es einen apokalyptischen Aspekt des Glaubens, den wir für unsere Zeit neu entdecken können. Er ist womöglich positiver, befreiender, hoffnungsvoller, als man zunächst meinen könnte. Wir wünschen Ihnen in diesem Sinne eine inspirierende und herausfordernde Lektüre! Fabian Moos SJ Marco Hubrig SJ Pia Dyckmans 1 JESUITEN n SEPTEMBER 2020 n APOKALYPSE

Apokalypse … und die Wahrheit dahinter „Apokalypse“ – das Wort hat Hochkonjunktur, nicht erst in jüngster Zeit. Naturkatastrophen, Klimakapriolen, Gewaltexzesse, Kriege, Flüchtlingsströme, Epidemien, Massensterben und vieles mehr werden so auf den Begriff gebracht. Schreckens- und Bedrohungsszenarien von gewaltiger Dimension und überwältigender Intensität sind in unserer Vorstellung untrennbar damit verbunden. Wer von Apokalypse spricht, hat den Untergang der Menschheit und der Welt, ja des gesamten Universums vor Augen. Und das nicht von ungefähr, nehmen doch schon in der sogenannten Apokalyptik und in den als Apokalypse bezeichneten Schriften der Antike derart negative Bilder, die Erwartung kosmischer Krisen und die Schilderung des radikalen Welt- enendes breiten Raum ein und prägen sich im Lauf der Überlieferungsgeschichte tief in das allgemeine Bewusstsein ein. Der griechische Begriff apokálypsis bedeutet aber eigentlich „Offenbarung“, „Enthüllung“ und meint die Kundgabe, das Aufdecken von Verborgenem. Gewiss: Auch Katastrophen und existenzbedrohliche Plagen können bislang Verborgenes zum Vorschein bringen, ökologische Ausbeutung etwa oder soziale Missstände. Im Verständnis jener frühchristlichen Schrift, die im Neuen Testament als Apokalypse bekannt ist, geht es im Grunde allerdings um eine Offenbarung ganz anderer Art. Die Bilder von Zerstörung, Drangsal und Untergang stehen hier nicht im Mittelpunkt. Trotz breiter Ausgestaltung sind sie bestenfalls Begleiterscheinungen dessen, worum es dieser Schrift in Wahrheit geht. „Offenbarung (apokálypsis) Jesu Christi“ ist sie – so steht ganz zu Beginn zu lesen (Offb 1,1) – und eine Offenbarung, eine Botschaft, die von Gott selbst kommt. Was ihr Verfasser Johannes auf mitreißende Weise in bilderreichen Visionen zum Ausdruck bringt, versteht sich als eine prophetische Tiefenschau und letztgültige Sinndeutung der Geschichtsereignisse und als ein Aufdecken jener Kräfte, die tatsächlich das Weltgeschehen bestimmen: keine esoterische Geheimbotschaft also, kein unergründliches Buch mit sieben Siegeln, sondern Offenlegung jener göttlichen Wirklichkeit, die hinter den Dingen liegt! Äußerlich beeindruckende und zugleich bedrohlich vereinnahmende Mächte auf Erden, die absolute Verfügungsgewalt und uneingeschränkte Verehrung für sich einfordern, werden in der Johannesoffenbarung als zerstörerische, ja teuflische Größen entlarvt. Die Gefährdung, die von diesen Mächten für Christinnen und Christen ausgeht, ist begrenzt, allem Anschein zum Trotz. Ihre Macht ist im Grunde bereits gebrochen durch die Lebenshingabe Jesu am Kreuz. Jesus Christus wird den Glaubenden herrlich und machtvoll vor Augen gestellt. Und Gott selbst wird als der präsentiert, der alles 2 SCHWERPUNKT JESUITEN n SEPTEMBER 2020 n APOKALYPSE

umfängt und das Geschehen eigentlich in Händen hält und der im Bild der neuen Schöpfung und des himmlischen Jerusalem (Offb 21–22) am Ende alles zum Guten führt. Großartige Hoffnungsbilder und die Verheißung umfassenden Heils bestimmen das letzte Buch der Bibel an den entscheidenden Stellen, nicht etwa Bilder der Angst und des Schreckens, der Katastrophe und des Untergangs. Sie wollen ermutigen, stärken und trösten und trotz vielleicht widriger Umstände zu einem Verhalten motivieren, das sich fest an Jesus Christus orientiert. Die Apokalypse des Neuen Testaments eröffnet mit ihrer Botschaft eine unerwartet hoffnungsvolle Perspektive. Das gilt für die als bedrängend empfundene Situation und die vielfältigen Herausforderungen der Glaubenden zur Zeit ihrer Abfassung. Unerwartet ist die Perspektive aber gleichermaßen für die Gegenwart. Es ist die Perspektive auf die Wahrheit dahinter, auch hinter allem, was heute als apokalyptisch erfahren wird! Konrad Huber JESUITEN n SEPTEMBER 2020 n APOKALYPSE 3 © Fotoline photocase.com

Das eigentliche Wunder von 1989 Was für eine eigentümliche Stimmung war das im Frühjahr und Sommer und Herbst 1989 in der DDR! Zwischen zäher Resignation und jäher Hoffnung, zwischen Nervosität und Trotz, Ängsten und Mut. Noch am Anfang des Jahres hatten die meisten DDR-Bürger das Gefühl, in versteinerten Verhältnissen zu leben. Noch im Januar 1989 hatte der SED-Chef Honecker verkündet, die Mauer „werde in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen bleiben…“, eine furchtbare Botschaft. Dann aber überschlugen sich die Ereignisse, nahm die Geschichte revolutionäre Fahrt auf: Nachweis der Wahlfälschungen im Mai, das Blutbad in Peking, die Öffnung der Grenzen durch Ungarn, Massenflucht über die bundesdeutschen Botschaften, öffentliche Artikulation der Oppositionsgruppen, immer mehr Demonstrationen in verschiedenen Städten, gewaltsame Reaktionen des Staates in Dresden und Berlin. Und dann das Wunder von Leipzig, der 9. Oktober: Über 70.000 demonstrierten und es fiel kein Schuss, obwohl wahrlich alles für ein Blutbad vorbereitet war. Das befürchtete, apokalyptische Szenario war nicht Wirklichkeit geworden. Die Demonstration hatte in der Nikolaikirche begonnen mit Gebeten und Gesängen, die Demonstrant*innen riefen „keine Gewalt“ und „Wir sind das Volk“, und sie trugen brennende Kerzen als Zeichen ihrer Friedlichkeit. Aus Moskau, von Gorbatschow, war kein Befehl zu gewaltsamem Eingreifen gekommen, deswegen auch nicht von der SED-Führung in Berlin und in Leipzig. Einige verantwortliche Politiker in Leipzig hatten zur Gewaltlosigkeit aufgerufen. Der 9. Oktober war der Höhepunkt der Herbstrevolution. Dass diese Revolution friedlich war (das eigentliche Wunder von 1989), das lag an der entschlossenen Friedfertigkeit, die sich nicht zuletzt den christlichen Akteuren verdankte. Für sie war die Bergpredigt die politische Schlüsselbotschaft der Zeit. Wie oft haben sich die vielen erregten Menschen in diesen aufregenden und aufgeregten Zeiten in den (vor allem evangelischen) Kirchen versammelt! Welch wichtige Rolle spielten Christ*innen, darunter nicht wenige Pastoren (von Christian Führer bis Friedrich Schorlemmer)! Wie oft haben wir am Ende erregter Versammlungen „Dona nobis pacem“ gesungen, bevor wir wieder auf die Straße traten! Auch im Rückblick, auch nach 30 Jahren, will mir das noch immer als eine besonders schöne Pointe der Geschichte erscheinen: Der Staat, in dem Religion nur noch Privatsache sein sollte und sein durfte, wurde – nicht allein, aber doch ganz entscheidend – durch Christ*innen überwunden, die ihren Glauben nicht bloß Privatsache sein lassen wollten, sondern aus ihm öffentliches, politisches Engagement ableiteten! Die ihren Mut aus Hoffnung in den Mut aus Verzweiflung mischten! Gottes Wege sind eben doch unerforschlich. Und Geschichte muss nicht apokalyptisch enden, sondern kann gut ausgehen. Wolfgang Thierse 4 SCHWERPUNKT JESUITEN n SEPTEMBER 2020 n APOKALYPSE

5 JESUITEN n SEPTEMBER 2020 n APOKALYPSE Die Apokalypse hinter den Kulissen Klimaveränderungen und Landwirtschaft Der Pillnitzer-Hungerstein in der Elbe bei Dresden, der bei niedrigem Wasserstand auftaucht, zeigte sich in den vergangenen 150 Jahren sechs Mal: 1873, 1904, 2003, 2018, 2019, 2020. Bis ca. 1960 bedeutete das Auftauchen des Steines eine Hungersnot im Land – die Temperaturen und der Wassermangel haben u.a. massive Folgen für den Zustand der Böden in der Landwirtschaft. Heute haben wir Welthandelsnetze, die uns die Notlage im Augenblick nicht mehr spüren lassen. Doch der Eindruck täuscht. Das Klima in Europa verändert sich. Eigentlich hat die Natur eine hohe Resilienz entwickelt, so dass sie normalerweise sehr flexibel auf verschiedenste Einflüsse und Umstellungen reagieren könnte. Bei höheren Temperaturen würde etwa der Boden einfach andere Pflanzen hervorbringen. Dank seiner Regenerierungsfähigkeit würde er ertragreich bleiben. Die Landwirte könnten dem Boden helfen, je nach Wetter und Nährstoffgehalt die entsprechenden Pflanzen hervorzubringen. Leider hat der Boden in den letzten Jahrzehnten den größten Teil seiner natürlichen Resilienz und Regenerierungsfähigkeit verloren. Durch die Intensivierung der Produktion hat man ihn seit dem zweiten Weltkrieg einem Marathon ausgesetzt und ihn gleichsam nur mit Traubenzucker und Energieriegel gefüttert. Dies zwang den Boden, an seine Substanz zu gehen, und so hat er in den letzten 25 Jahren weltweit um 24% abgebaut. Wenn der Substanzabbau einmal begonnen hat, geht er immer schneller weiter. Laut UNO geht der Verlust von aufnahme- und leistungsfähigem Ackerland heute bereits 3035 Mal schneller als früher. Wenn Menschen selbst keine Nahrung mehr zu sich nehmen können, bringt man sie auf die Intensivstation und ernährt sie künstlich an der Maschine. Dies versucht man in vielfältiger Weise auch mit dem Boden. Man führt ihm künstliche Nährstoffe und vermehrt auch Wasser zu, da die inneren Komponenten, die diese normalerweise speichern könnten, degradiert sind. Die Landwirte sind gezwungen, dies zu tun. Denn nur so können die geforderten Erträge geerntet werden, um davon dann die Hälfte wegzuwerfen, weil das Gemüse z.B. für den Verkauf zu wenig rund, zu krumm, zu kurz, zu lang oder zu grün ist. Die Folgen des Klimawandels (und unserer Konsumkultur) auf die Landwirtschaft sind komplex. Doch das Beispiel der Böden zeigt, dass wir bereits heute in Europa unmittelbar von großen Veränderungen betroffen sind und dass absoluter Handlungsbedarf besteht. Martin Föhn SJ

6 SCHWERPUNKT JESUITEN n SEPTEMBER 2020 n APOKALYPSE „Der rote Knopf ist längst gedrückt!“ Ein Gespräch zwischen Vater und Tochter Clara Reis hat dieses Jahr ihr Abitur gemacht. Sie engagiert sich u.a. bei Fridays for Future und ernährt sich vegan. Ihr Vater Michael Reis ist Psychiatrie-Seelsorger. Beide leben in Landau. Michael: Die entschiedene Art und Weise, wie sich zumindest ein Teil der jungen Generation für eine zukunftsfähige Welt einsetzt, beschämt mich. Das muss ich für mich persönlich zugeben. Dabei standen diese Fragen schon vor zwanzig oder dreißig Jahren im Raum. Aber sie haben keinen zentralen Platz in meinem Leben bekommen. Doch bei allen Reibungsflächen freue ich mich zu sehen, wie du dich und ihr euch einsetzt. Clara: Wenn ich mir die ältere Generation so anschaue, dann werde ich wütend. Es macht mich traurig und frustriert mich, dass die Bequemlichkeit über allem zu stehen scheint. In Bangladesch werden ganze Landstriche überflutet, weil wir hier den Klimawandelt weiter vorantreiben: Immer mehr konsumieren, Auto fahren, Fleisch essen. Da wallt in mir so viel Energie hoch, jetzt gleich etwas zu ändern und auszusteigen. Aber tatsächlich fehlen mir auch Vorbilder aus der älteren Generation: Menschen, die mir zeigen, wie ich jetzt leben sollte. Und ich habe den Eindruck, dass die Älteren im Hamsterrad ihres Alltags gefangen sind: Deine Arbeit, deine Familie – das nimmt schon viele deiner Kapazitäten ein. Und Menschen, bei denen das Einkommen knapper ist, sind da noch mehr belegt mit ihren alltäglichen Sorgen: Da bleibt keine Zeit, neue Wege einzuschlagen. Michael: Ja, mein Leben ist schon voll ohne die großen, globalen Fragen. Drei Kinder und beide Eltern berufstätig. Wie soll da eine Verschiebung der Schwerpunkte möglich sein? Mein Bücherschrank hat dazu einige Anregungen. Aber wie kann ich wirklich relevant auf das Gesamte einwirken? Verweigern ist ja für mich keine Lösung. Bei der Suche nach einer Antwort hat mich Eure Kreativität bei „Fridays for Future“ schon sehr beeindruckt. Clara: Viele junge Menschen, mit denen ich zu tun habe, diskutieren jetzt, auch angesichts von Corona, neue Gesellschaftsmodelle. Da geht’s auch um Kommunismus und Anarchismus. Da gibt’s auch ganz entschiedene Konsumverweigerer. Systemwandel ist ein Teilaspekt von Klimawandel. Da brauchen wir eine

Bewusstseinsveränderung durch alle Generationen. Unser Vorteil als junge Menschen ist dabei, dass wir noch nicht so sehr im Hamsterrad gefangen sind. Auch weil viele von ihren Eltern materiell unterstützt werden. Und gleichzeitig werden immer mehr von uns depressiv angesichts all der schlechten Nachrichten. Da verstehe ich auch die ältere Generation und dich, euch eher auf das Naheliegende zu konzentrieren. Das trägt ja auch zum Gemeinwohl bei. Michael: Wenn ich wirklich an mich heranlasse, was dich und viele deiner Generation umtreibt, diese unvorstellbare Not und diese unsägliche Ungerechtigkeit im globalen Kontext, die auch mit uns verbunden ist, dann kann ich mit dieser Situation nicht wirklich gut umgehen. Es gibt ja schon so viel Not in meinem unmittelbaren Umfeld. Dabei ist mir klar, dass es jetzt eine konzertierte Reaktion der Weltgemeinschaft braucht, um die Katastrophe, auf die wir zusteuern, noch abzuwenden. In meinen Jugendjahren gab es die Angst, dass einer aus Machtgier den roten Knopf drückt und den nuklearen Tod für viele auslöst. Heute ist der rote Knopf der Klimakatstrophe schon gedrückt. Damals war klar, wen man verantwortlich machen kann und wen man beeinflussen muss. Heute sind wir alle aktiv beteiligt. Und in dieser Situation ist eine große Kraft von euch gefordert, die Hoffnung nicht aufzugeben. Clara: Es gibt ältere Menschen, die meinen, auf uns herabschauen zu können: Geht erstmal arbeiten! Und dann ist eine große Diskrepanz zu sehen, dass die Politik überwiegend von älteren Menschen bestimmt wird. Und wir werden als gutgläubig oder naiv abgetan. Michael: Als ihr euren Hungerstreik gegen die Bedingungen in den Lagern für Geflüchtete begonnen habt, haben viele gesagt: Ja ja, sowas ist das Recht der Jugend. Dabei gibt Euch die Faktenlage völlig recht und müsste uns alle mehr als beunruhigen. Clara: Aber hier bei uns spüren viele die Auswirkungen des Klimawandels noch nicht. Und deshalb denken sie, dass sie sich ihren eigentlich ungerechten Lebensstil verdient haben. Sie sind unfähig zu teilen mit den Geflüchteten, die aus Afrika vor deutschen Panzern fliehen oder in der Türkei in Lagern gehalten werden. Viele ältere Menschen sind es gewohnt, dass es ihnen in der Festung Europa gut geht – der Rest ist ihnen egal. Auch ältere Aktivisten wie „Omas gegen rechts“ werden da frustriert und verbittert. Es kann sich ein Gefühl der Lähmung breitmachen. Michael: Ich denke, es geht darum auszuhalten, dass der Einzelne nicht das Ganze verändern kann, und trotzdem nicht aufzugeben. Das ist die schwierige Herausforderung, in der wir stecken – in allen Generationen. 7 JESUITEN n SEPTEMBER 2020 n APOKALYPSE

Die Apokalypse im Nacken? Ökopsychologie und die „Kompostierung“ von Emotionen Mir gegenüber sitzt ein junger Mann, Christ wie ich. Das Signal des Workshopleiters ertönt und das Rollenspiel beginnt. Ich fange also an zu erzählen. Von meinem Engagement für eine lebbare Zukunft, was ich tue und was ich dabei erlebe. Von meinen Hoffnungen und Enttäuschungen, von dem Frust, dass nichts vorankommt, dass ich auch selbst kaum den Wandel leben kann, den ich gerne leben würde. Von dem, was das Ganze mit meinem Glauben zu tun hat: Christus, der in der geschundenen Schöpfung Tag für Tag gekreuzigt wird, in jedem Armen und Leidenden, der die Folgen unseres todbringenden Wirtschaftssystems tragen muss. Von meinem Glauben an die Wirkung des Heiligen Geistes in der Welt und an die Auferstehung, die aber so wenig sichtbar ist. Von meiner nackten Hoffnung, die sich an nichts festmachen kann, von der Angst und dem Gefühl der Sinnlosigkeit, die mich manchmal überfallen. Mein Gegenüber hört mir schweigend zu, ist sichtlich bewegt. Dann kommt schließlich das nächste Signal und er antwortet, langsam, nach den richtigen Worten suchend: Danke. Danke für all diese Kämpfe, die du durchstehst. Es hat sich gelohnt. Ich lebe. Meiner Familie geht es gut. Was du tust, ist wichtig. Nach dir kommen andere, die deinen Kampf weiterführen. Es wird schwierig bleiben, aber es wird funktionieren. Danke. 8 SCHWERPUNKT JESUITEN n SEPTEMBER 2020 n APOKALYPSE © Hoffi99 photocase.com

Diese Anerkennung trifft mich wie ein Schlag. Sie macht etwas mit mir, ich spüre, wie mir das Herz aufgeht. Meine Rolle: ich selbst. Die von Vincent: ein Wesen der Zukunft, sieben Generationen später. Wovon erzähle ich hier? Ich bin in einer Gruppe von etwa 30 Theologie- und Philosophiestudierenden aus Paris. Wir nehmen an einem mehrtätigen Workshop des „Work that reconnects“ teil. Diese Art von „Ökopsychologie“ wurde von der Amerikanerin Joanna Macy entwickelt. In unzähligen Workshops mit Friedens- und Ökoaktivist*innen hat sie ein bestimmtes Repertoire an Übungen entwickelt, die helfen, die Verzweiflung, die Frustration und all die anderen negativen Gefühle angesichts der katastrophalen Lage der Welt zu „kompostieren“, d.h. so da sein zu lassen und in einer wohlwollenden Atmosphäre zum Ausdruck zu bringen, dass daraus neue positive Energie wird. Es geht aber auch um mehr: eine Veränderung des Blicks auf die Welt, hin zu einer stärkeren Verbundenheit mit den Mitmenschen und der Schöpfung. Der Parcours erinnert mich an die Phasen der ignatianischen Exerzitien, mit dem Unterschied, dass sie in Gemeinschaft gemacht werden. Das ist zentral, um der Isolierung entgegenzuwirken, die viele Aktiven so deutlich spüren. Die Gruppe trägt, aber ohne irgendein Ergebnis aufzuzwingen. Es ist auch wie bei Exerzitien nicht sinnvoll, den Prozess theoretisch verstehen zu wollen – man kann ihn lediglich selbst durchlaufen, und zwar dann und nur dann, wenn es „dran“ ist. Christ*innen, andere Gläubige, religiös Suchende und Konfessionslose können sich in diesem Rahmen begegnen und austauschen. Die rasant wachsende Gruppe von Menschen allen Alters, die sich für einen tiefgreifenden Wandel der Gesellschaft einsetzen, steht vor einer Mammutaufgabe, die zutiefst spirituell und zutiefst politisch ist. Wie soll man da keine Angst empfinden, sich nicht über vieles ärgern, nicht mit Gott und der Welt hadern? Die größte Freude für mich als Christ ist, wenn die „Apokalypse im Nacken“ zu einer „Apokalypse am Horizont“ wird – der Erwartung von etwas Neuem, Großem, zu dessen Realisierung Gott mich und andere einlädt. Auch diese Zukunft wird nicht der Himmel auf Erden sein – aber vielleicht ein Stück mehr vom Reich Gottes durchdrungen. Fabian Moos SJ 9 JESUITEN n SEPTEMBER 2020 n APOKALYPSE

Handeln vor der Apokalypse Lange Zeit haben futuristische Romane eine zunehmend perfekte und organisierte Welt beschrieben. Dann, mit der Entwicklung der Atombombe, änderte sich der Ton, und die Angst wuchs. Eine neue Literaturgattung erschien und wuchs exponentiell: die postapokalyptische Literatur. Gewöhnlich versucht eine Handvoll Menschen in einer Welt zu überleben, die verwüstet und rückwärts gewandt wurde. Was passiert in diesen Geschichten mit der Religion? Das sieht leider nicht sehr optimistisch aus! Wir sehen Sekten von Fanatikern oder Gruppen nach dem Vorbild der Geißler des Mittelalters, die sich in ihren Ecken reuevoll an die Brust schlagen, sich aber nicht wirklich organisieren, um zu handeln. In den meisten Fällen sind diejenigen Konfessionen, die ein positiveres Verhältnis zur Welt haben und einen rationalen und bescheidenen Einfluss auf die öffentliche Debatte ausüben wollen – wie etwa die katholische Kirche –, einfach verschwunden. Merkwürdigerweise scheinen diese Autor*innen für die Religion keine Alternative zwischen Resignation und Fanatismus zu sehen. Aber haben sie Recht? In den Evangelien (vgl. Mk 13, Lk 21 und Mt 24) wie im Buch der Offenbarung werden dunkle Prophezeiungen über die kommende Zeit geäußert. Eines fällt auf: Am bedrohlichsten sind nicht die Ereignisse selbst, sondern die Angst, die sie provozieren und die im Voraus lähmt: „Die Menschen werden vor Angst sterben, während sie darauf warten, was mit der Welt geschehen soll“ (vgl. Lk 21,26). Der Verfasser des Hebräerbriefs wird wohl die gleiche Inspiration haben, wenn er auf der Tatsache besteht, dass Christus kommt, um „all jene freizulassen, die aus Furcht vor dem Tod ihr ganzes Leben als Sklaven verbracht haben“ (Hebr 2,15). Wir haben es also mit dem folgenden christlichen Paradoxon zu tun: Christ*innen sagen nicht, dass die Welt am Ende eine klassenlose Gesellschaft oder ein Paradies auf Erden sein wird oder dass der Mensch 120 Jahre alt werden wird. Ganz im Gegenteil! Sie verkünden das Ende der Welt, so wie sie ist. Das hindert sie jedoch nicht daran, freudig und von Hoffnung beseelt zu sein und in Zusammenarbeit mit anderen „besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt“ (Titus 2,12) zu arbeiten. Diese Texte, die Gründe für Ängste sein könnten, sind in Wirklichkeit Quellen des Friedens und des Vertrauens. Tatsächlich können angesichts der radikalen Bedrohungen, die über der Zukunft unseres Planeten schweben, zwei Versuchungen entstehen und die Gläubigen bedrohen. Entweder zu glauben, dass man blind und tatenlos seinen Glauben auf Gott setzen muss, in der Annahme, dass er eines Tages die Probleme von oben lösen wird, was wir traditionell „Fideismus“ 10 SCHWERPUNKT JESUITEN n SEPTEMBER 2020 n APOKALYPSE

nennen. Oder im Gegenteil, allein auf das menschliche Handeln zu vertrauen und uns wie ein Mantra zu wiederholen: „Wir werden es schaffen, wir werden es schaffen“, wobei wir aber die Erbsünde vergessen, die sich in all unseren Bemühungen in einer Art latentem „Pelagianismus“ eingenistet hat, also die Einstellung: Wir haben den Heiligen Geist und das Bewusstsein für die Probleme, also kann sich die Menschheit auch selbst erlösen. Nichts im Glauben garantiert uns aber den Erfolg unserer Bemühungen in der historischen Ordnung, und Gott hat nie gesagt oder garantiert, dass in der Geschichte alles gut ausgehen wird. Sein ganzes Vertrauen auf Gott zu setzen, bedeutet nicht, dem Handeln zu entsagen, und Handeln bedeutet nicht, an den Erfolg seiner Bemühungen zu glauben. Mehr denn je gilt die berühmte Maxime des ungarischen Jesuiten Gábor Hevenesi (1656-1715): „Vertraue auf Gott, als hinge der ganze Lauf der Dinge von dir ab, überhaupt nicht von Gott. Lege jedoch alles in deine Werke hinein, als ob nichts von dir und alles von Gott allein getan werden müsste“. Weder pietistische Resignation noch voluntaristischer Aktivismus. Es ist ein schmaler Grat, aber es ist der einzige, der es uns erlaubt, zu gehen. Jesus lädt uns ein, einerseits auf Gott zu vertrauen, weil wir wissen, dass „es für die Menschen unmöglich ist“ (Mt 19,26), und andererseits entschlossen für das Gute zu handeln: „Nicht indem sie zu mir sagen: ‚Herr, Herr‘, werden sie in das Himmelreich kommen, sondern indem sie den Willen meines Vaters im Himmel tun“ (Mt 7,21). Durch ihre kontinuierliche Akzeptanz des Lebens, insbesondere dadurch, dass sie vertrauensvoll weiter Kinder zur Welt bringen – was mehr und mehr zu einem eminent politischen und spirituellen Akt wird – und durch ihr klares und gelassenes Engagement in dem langen Ringen um eine Veränderung unserer Lebensweise legen Christ*innen hier und heute Zeugnis von ihrem Glauben ab. Bis zum Ende wird das Leben lebenswert sein, denn unabhängig von den Bedingungen, unter denen wir uns befinden, wird es möglich sein, zu lieben. Und Gott hat uns aus Liebe und zur Liebe geschaffen. Marc Rastoin SJ 11 JESUITEN n SEPTEMBER 2020 n APOKALYPSE Sein ganzes Vertrauen auf Gott zu setzen, bedeutet nicht, dem Handeln zu entsagen.

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13 JESUITEN n SEPTEMBER 2020 n APOKALYPSE SCHWERPUNKT Ziviler Ungehorsam als gefühlte Pflicht einer Christin „Willst du bei einer Aktion des zivilen Ungehorsams mitmachen?“ Diese Frage, die zunächst einfach zu sein schien, stellte mich vor eine Möglichkeit, die mir bis dahin kaum in den Sinn gekommen wäre. Um darauf zu antworten, begann ich, mich umzuhören, zu lesen und mich ein wenig für solche Aktionen auszubilden. Ich habe zunächst an Kleingruppenaktionen teilgenommen. Die erste bestand darin, an einer Tankstelle von Total ein Transparent gegen ein Bohrprojekt an der Mündung des Amazonas hochzuhalten. Das war Teil einer von Greenpeace und „Action Non Violente Cop 21“ geführten Kampagne, einer breiten Bürgerbewegung, die sich mit gewaltfreien Aktionen für Klimaschutz und gegen klimaschädliche Projekte engagiert. Mit der Anti-Werbungs-Bewegung habe ich an der Abdeckung von Werbeplakaten teilgenommen. Wir bereiten Plakate vor, auf denen Bäume abgebildet sind oder die das Konsumverhalten anprangern, dann hängen wir sie über die Werbung am Straßenrand. Ich hatte dann die Gelegenheit, mich an einer größeren Aktion zu beteiligen: an der Blockade der Zufahrt vor der Zentralfiliale der Société Générale in Paris. Ziel war es, die Investitionen dieser Bank in fossile Brennstoffe anzuprangern. Wir waren sehr viele, und wir mussten mit einer Konfrontation mit der Polizei umgehen. Damals fragte ich mich: „Warum werde ich gerade mit Tränengas beschossen, obwohl ich mich für das Gemeinwohl einsetze?“ Jedes Mal ist die Abfolge der Ereignisse klar und präzise, jeder und jede hat eine klar zugewiesene Rolle, wir kümmern uns umeinander und Gewaltlosigkeit ist die Grundlage. Das ist sehr beruhigend. Nach und nach habe ich gelernt, den zivilen Ungehorsam als ein Ausdrucksmittel und eine politische Handlungsweise unter anderen zu sehen. Ich denke, dass es zu meiner Pflicht als Bürgerin und Christin gehört, das anzuprangern und sich dem entgegenzustellen, was unserem „gemeinsamen Haus“ schadet. In der Enzyklika Laudato si’ fordert Papst Franziskus die Bürgerinnen und Bürger auf, Druck auf die Entscheidungsträger auszuüben. Es ist komplementär zu allem anderen, was ich tue: meine Konsumweise ändern, meine Beziehung zur Schöpfung überdenken, Zeugnis geben, an Klimamärschen teilnehmen, Konferenzen und Veranstaltungen organisieren... und zu meinem Engagement gehört es schließlich auch, den Schritt des zivilen Ungehorsams zu wagen. Laure-Hélène Canette © Kallejipp photocase.com

Kinder sind mehr als Schule Der Lockdown hatte auf viele Menschen immense Auswirkungen: Kurzarbeit, Homeoffice, Homeschooling. Es wurde auf Lehrer geschimpft, Eltern fühlten sich überfordert – wie ging es den Kindern? Die Frage wurde viel zu selten gestellt. Jürgen Strohmaier ist Referatsleiter im Kommunalverband für Jugend und Soziales in Baden-Württemberg. Wie haben Sie die Corona Krise mit den Kindern erlebt? Jürgen Strohmaier: Mit Blick auf unsere Einrichtungen wurden die Heimkinder gut und sicher versorgt. Gegenüber Kindern, die bei Ihren Eltern leben, waren sie aber im Nachteil, weil sie während des Lockdowns ihre Eltern nicht bzw. nur unter erschwerten Bedingungen besuchen konnten. Kinder, die bei ihren Eltern leben, haben in der Krise die notwendige soziale und emotionale Zuwendung von ihren Eltern bekommen können, unsere Kinder eben nicht. Umso mehr musste das pädagogische Personal in den Einrichtungen diese Notwendigkeit kompensieren. Das war und ist eine große Herausforderung. Zum Teil wurde in der Zeit der eine oder andere psychosoziale Konflikt wieder aktiviert, aufgrund dessen die Kinder überhaupt in die Einrichtung gekommen sind. Der Jesuitenorden betreibt die Internatsschule Kolleg St. Blasien. Es war ein enormer Kraftakt, den Schulausfall mit einem adäquaten Freizeitprogramm zu kompensieren. Teilweise war eine schulische Unterforderung spürbar. Wie sind Ihre Einrichtungen damit umgegangen? Strohmaier: Die Herausforderung, Kinder zu beschäftigen, hat sehr viel Fantasie gefordert: Verloren geglaubte Qualitäten bzw. Spielkulturen wurden reaktiviert. Zum Beispiel Kartenspiele und Spiele – von ‚Mensch ärger dich nicht‘, ‚Siedler‘ bis hin zu ‚Monopoly‘ - haben wieder an Bedeutung gewonnen, ebenso Tätigkeiten wie Häkeln, Stricken, Tonen oder Basteln. Den pädagogischen Fachkräften ist aufgefallen: Kommunikation, die nicht nur über neue Medien verläuft, sondern über althergebrachte Formen, hat eine andere Qualität für das Miteinander. Wenn ich dem anderen wieder mehr in die Augen schaue und nicht nur auf mein Smartphone, verändert sich meine Aufmerksamkeit. Aber das sind Themen, die in der Corona-Zeit die gesamte Gesellschaft betreffen. Um die Situation in den Schulen ist viel gesprochen wurden, aber wie steht es um die anderen Aspekte im Leben eines Jugendlichen? Schließlich sind auch die vielfältigen 14 SCHWERPUNKT JESUITEN n SEPTEMBER 2020 n APOKALYPSE

Angebote der Jugendarbeit zum Erliegen gekommen. Strohmaier: Wir haben in der Tat eine Irritation bei den Kindern und Jugendlichen wahrgenommen. Sie wollen nämlich nicht nur als Schüler*innen wahrgenommen werden, sondern auch als Personen, die gewisse Anliegen an unsere Gesellschaft haben. Sie stellen sich nicht nur die Fragen, wann sie wieder beschult werden und wie sie an ihre Hausaufgaben kommen. Sie spüren auch, wie sich die Gesellschaft um sie kümmert, wer sich für ihre Belange interessiert, wenn sie daheim sind, wenn kein Lehrer mehr Kontakt zu ihnen hat. Da haben die Jugendlichen gemerkt, was für einen Stellenwert sie in unserer Gesellschaft haben. Was sind die Konsequenzen für unser Verständnis von Bildung? Strohmaier: Über die Qualität von Bildung brauchen wir nicht sprechen, da gibt es genug Berichte, die zeigen, woran es mangelt. Deutlich ist die Benachteiligung oder soziale Ungleichheit bei der technischen Ausstattung geworden. Wenn zum Beispiel Kinder noch nicht einmal ein eigenes Zimmer, geschweige denn einen eigenen Schreibtisch haben, brauche ich nicht von Bildungsgerechtigkeit reden. Wir reden schnell über Bildungsqualität, aber wir müssen uns auch die Quantität anschauen und über soziale Ungleichheit reden. Was lernen Sie aus den vergangenen Monaten? Strohmaier: In vielen Einrichtungen steht nun erstmal die Reflexion der letzten Monate an. Manche machen das auch mit Kindern und Jugendlichen zusammen. Aus Gesprächen kann ich sagen, dass klassische Ressourcen wie Vertrauen, Beständigkeit, Gruppenfähigkeit, Zusammenhalt und die Erfahrung, dass eine Gruppe einen stark machen kann, wichtig sind. In der Jugendhilfe gab es in den letzten Jahren die Tendenz zur Individualisierung der Hilfen, also individuelle Hilfekonzepte, die nur am Kind ansetzen und dieses sozusagen reparieren sollen, weil es ein schwieriges Elternhaus hat. Das ist eine Seite der Medaille. Das stimmt alles! Aber die Einbeziehung der Eltern und des sozialen Umfeldes in Verbindung mit der gruppenpädagogischen Ausrichtung in der Heimerziehung und der Jugendso- zialarbeit ist dadurch etwas aus dem Fokus geraten. Wir müssen den Kindern und Jugendlichen vermitteln, dass Gruppen stark machen, dass Peergroups für die individuelle Entwicklung wichtig sind und wir etwas erreichen, wenn wir uns zusammentun, um unsere Interessen gemeinsam zu vertreten. In Krisen gibt eine funktionierende Gruppe Sicherheit und Rückhalt. Für den Lebensweg kann das eine existentielle Erfahrung sein, die Orientierung gibt und auch mal ein Wagnis eingeht. Pia Dyckmans 15 JESUITEN n SEPTEMBER 2020 n APOKALYPSE

SCHWERPUNKT Viele Probleme, eine Ursache Eine wachsende Anzahl an Menschen bemerkt, „dass Corona, Klimawandel, Artensterben, Ungleichheit mit einhergehender sozialer Desintegration und wachsendem Populismus sowie andere Alarmsignale unserer Zeit sich überlagern und wechselseitig verstärken. Dies legt nahe, dass viele dieser Phänomene eine gemeinsame Ursache haben: Die gegenwärtige, neoliberale Art und Weise, Wirtschaft und Gesellschaft zu organisieren, in deren Folge die Gesellschaft sich polarisiert, natürliche Ressourcen übernutzt und verschmutzt, Lebensräume verkleinert, Pandemien Wege bereitet werden usw. Wir sind überzeugt, dass die Auswüchse der ‚Hyperglobalisierung‘ zurückgefahren werden müssen, und sehen uns in Übereinstimmung mit Entwicklungshilfeminister Gerd Müller, der zum Tag der Erdüberlastung am 3.5.2020 sagte: „Die Corona-Krise ist ein Weckruf an die Menschheit, mit Natur und Umwelt anders umzugehen. Ein Auslöser der Pandemie liegt auch am Raubbau an der Natur… Deshalb müssen wir umdenken und können nicht einfach zur Normalität der Globalisierung zurückkehren.“ Vorstehendes ist der Beginn der Petition „Bayernplan für eine soziale und ökologische Transformation“, die Jesuitenmission, BUND, Landeskomitee der Katholiken und „Fridays For Future“ am 25. Juni im bayerischen Landtag eingereicht haben und inzwischen von über 100 Organisationen und Institutionen sowie Hunderten Einzelpersonen mitgetragen wird. Wir können nicht länger sagen: „Zuerst lösen wir die Coronakrise, dann schauen wir nach dem Klima und dann, wenn wir noch Geld haben, wenden wir uns der wachsenden Ungleichheit innerhalb und zwischen den Ländern zu“. Oder: „Corona ist jetzt dringend – der Klimawandel ist eh eine Generationenaufgabe und kann nicht von jetzt auf gleich gelöst werden.“ Natürlich können wir das nicht, aber wir haben beim Klimawandel schon zu lange getrödelt und haben viele Gelegenheiten verschenkt, die es gegeben hat, seit es das Problem vor ca. 40 Jahren erstmals in die Schlagzeilen schaffte. Und nochmals: Aufgrund der systemischen Zusammenhänge und Wechselwirkungen bereitet jeder Verzug, sich dem Kern der Sache zuzuwenden, weiteren „unvorhersehbaren Externalitäten“ den Weg: Dem nächsten Finanzcrash, dem nächsten Virus, mehr Migranten oder oder oder. Ich weiß, das hört sich alarmistisch an, aber auch ich selbst gehöre zu denen, die dieses Thema gerne verdrängt haben oder geglaubt haben, dass sich die „Profis“ schon darum kümmern würden. In Wirklichkeit gab ich damit mein Einverständnis, dass allzu oft Lobbyisten Gesetze geschrieben haben, und nicht die Parlamente. © Jock + Scott photocase.com 16 JESUITEN n SEPTEMBER 2020 n APOKALYPSE

Auch ich gehöre zu denen, die erst durch Greta Thunberg und die „Fridays For Future“-Bewegung wachgerüttelt wurden. Mühsam googelte, lernte und verstand ich dann, was „Kipppunkte“ sind und warum „Pfadabhängigkeiten“ ein Haupthindernis dafür sind, dass Einsichten nicht den Weg in die Praxis finden. Corona bietet uns eine Riesenchance: Das unsichtbare Virus hat die Welt zum Innehalten und Nachdenken gebracht, und der öffentliche Protest gegen Staatsknete an die Lufthansa ohne ökologische Modernisierungsauflagen oder gegen eine Neuauflage von Abwrackprämien für fossil getriebene Autos bzw. der Zuspruch zu unserer Petition zeigen, dass die Bevölkerung zunehmend die Dringlichkeit der Aufgaben wahrnimmt. Vieles lässt sich bereits nicht mehr aufhalten, aber Schlimmeres lässt sich allemal verhindern. Christ*innen und Kirchen, gerade unter der Führung von Papst Franziskus, kommt die Aufgabe zu, sich an vorderster Front an der sozialökologischen Transformation der Gesellschaft zu beteiligen. Die Website des „Bayernplans“ samt der Petition finden Sie unter www.wirtransformierenbayern.de. Jörg Alt SJ

18 SCHWERPUNKT JESUITEN n SEPTEMBER 2020 n APOKALYPSE Der Platz zwischen den Stühlen Stell dir vor, die Wissenschaft erklärt der ganzen Welt die drohende Klimakrise, und keiner hört hin. Dann kommt Greta Thunberg und die Mächtigen zittern ob ihrer Drohungen und Prophezeiungen. Ist das nicht frustrierend? Nein, ist es nicht. Denn ohne die Wissenschaft wäre ihr Protest ins Leere gelaufen. Greta Thunberg und mit ihr die „Fridays For Future“-Bewegung (FFF) pocht darauf, dass die Politik der Wissenschaft zuhört. Es ist erstaunlich, wie sehr sich Greta Thunberg und die Aktivist*innen von FFF bemühen, die wissenschaftliche Faktenlage zu verstehen und in die Debatte einzubringen. Ich war beeindruckt, wie genau Greta zugehört hat, als sie uns am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) besucht hat. So ist das eben: Ein Funke zündet das Feuer an, ein Tropfen bringt das Fass zum Überlaufen, ein Tweet wird zu einem Sturm. Ja, FFF ist eine prophetische Bewegung, die von den Königen eine Änderung des Kurses einklagt – laut vernehmbar und mit großem medialem Geschick. Das hat viele Menschen mobilisiert und manche verärgert. Diese prophetische Bewegung prallt auf eine Politik, der es um das Machbare geht, um das Maß, die Mitte und den Kompromiss. Dabei ist es keineswegs so, als hätte die Politik weggehört, wenn es um die Fragen des Klimawandels geht. Auch Bundeskanzlerin Merkel war 2019 zu Gast am PIK und hat sich zwei Stunden lang mit den Folgen des Klimawandels und den Lösungsstrategien auseinandergesetzt. Diesem Besuch verdanken wir maßgeblich, dass Deutschland im vergangenen Jahr sichtbare Fortschritte in der Klimapolitik, vor allem bei der Bepreisung von CO2, gemacht hat. In dieser Auseinandersetzung sitze ich zwischen den Stühlen: Ich will das Notwendige machbar machen. Ich sehe die Dringlichkeit des Problems und weiß doch, dass der Weg zum Ziel lange und steil ist, dass er eine gute Vorbereitung und eine passende Ausrüstung benötigt. Wenn die zwei Stühle, zwischen denen ich sitze, weggezogen werden, gibt es für mich keinen Platz mehr zum Sitzen. Dennoch ist mein Platz als Wissenschaftler zwischen diesen Stühlen: Ich nehme es in Kauf, dass ich den einen zu wenig radikal bin und den anderen als Spielverderber gelte, wenn ich zwischen guten und schlechten Kompromissen unterscheide. Wenn der König versteht, dass das Machbare nicht mehr gut genug ist und der Prophet begreift, dass das Notwendige nicht nur gefordert, sondern auch getan werden muss, können sich Gesellschaften erneuern, reformieren. Da kann es helfen, wenn einer zwischen den Stühlen mit beiden sprechen kann, auch dann, wenn beide glauben, es habe keinen Sinn mehr zuzuhören. Ottmar Edenhofer © Kemai photocase.com

SCHWERPUNKT Mensch, worauf hoffst du? Von der Grenze zwischen Trost und Vertröstung Was dürfen wir als vernunftbegabte und doch zerbrechliche Wesen hoffen? Weltanschauung und Religion sind zu Lebensstilfragen geworden, wie die Wahl von Auto, Beruf und Kleidung. Je nach Selbstbild gehört es zum Habitus, nur zu „glauben“, was angeblich durch wissenschaftliche Erkenntnisse gedeckt ist. Für viele ist die christliche Identität umgekehrt zum Symbol der Opposition gegen den „modernen“ Lebensstil geworden. Es geht um Selbstinszenierung und Abgrenzung. Aber wir reden nicht darüber, worauf wir wirklich hoffen. Das ist mein Eindruck als Seelsorger. Wir befinden uns in einer sehr privilegierten Situation: Wir leben in relativer Sicherheit und Wohlstand und haben zudem die Freiheit, unser eigenes Leben sehr

individuell zu gestalten. Vermutlich lässt uns eben jene Situation die selbstkritische Frage, auf welche Hoffnung wir unser Leben tatsächlich bauen, immer weiter hinausschieben an die Ränder und ans Ende des Lebens. Bis dahin stellen wir sie im Alltag stumm mit vorläufigem Glück, mit Konsum und der Suche nach Bestätigung durch Erfolg. All diesen Ersatzstrategien ist gemeinsam, dass sie keine Grenzen kennen. Und so sprengt unser Lebenshunger gerade vielfältig die Knappheit einer Lebensspanne und unserer Ressourcen. Wir sehen die Apokalypse wohl kommen. Aber wir können nicht aussteigen. Unser Lebensstil ist zu sehr damit verwoben, der Frage nach den Grenzen unseres Lebens zu entgehen. Welche Hoffnung prägt mein Leben tatsächlich, jenseits frommer Floskeln, mit denen wir versuchen, unsere Sprachlosigkeit zuzumüllen? Nicht mehr ausweichen konnte ich persönlich dieser Frage bei einer Begegnung in einem riesigen USStaatsgefängnis für ca. 3.500 Häftlinge. Als Mitglied eines Seelsorgeteams gab ich geistliche Übungen in einer Abteilung für Häftlinge mit lebenslangen Haftstrafen. Ich erinnere mich insbesondere an ein Beichtgespräch mit einem Mann, der am Tag zuvor erfahren hatte, dass sein Gnadengesuch abgelehnt worden war. Damit war klar, er musste weitere 20 Jahre bis über die Grenze des Rentenalters absitzen. Längst waren die Kontakte zu Familie und Freunden abgebrochen. „Pater, ich habe 25 Jahre lang nur auf diesen Tag hingelebt. Die Aussicht auf den Neuanfang hat mich aufgerichtet und mir geholfen, mich zu verändern. Ich wollte ein besserer Mensch werden und noch einmal neu anfangen. 25 Jahre waren lang. Aber für diesen Neuanfang zu leben, lohnte sich. Aber jetzt? Ich halte das nicht noch einmal 20 Jahre aus.“ So furchtbar die Tat gewesen sein mag. War es gerecht, dass sich sein ganzes Leben auf die Folgen einer Tat reduzierte, die er irgendwann am Anfang seines Lebens begangen hatte? Und welche Worte des Trostes können dem Gewicht eines Horizontes von 20 weiteren Jahren eines mit Gewalt, Einsamkeit und Leere angefüllten Gefängnisalltags standhalten? Wir haben damals zusammen geschwiegen und getrauert. Und ich habe um jedes Wort gerungen. Mir wurde bewusst, welches ungeheure Geschenk es ist, darauf vertrauen zu dürfen, dass Gott liebt, auch da wo jede andere Liebe an ihre Grenzen kommt. Wieso reden wir in der Kirche so viel von Moral und so selten über dieses Geschenk? Ich habe aber auch begonnen mich zu fragen, wie konkret ich wirklich aus dieser Hoffnung lebe. Ich muss mir eingestehen, es gelingt mir jeden Tag unterschiedlich gut. Und deswegen verläuft die Grenze zwischen Trost und Vertröstung an jedem Tag meines Lebens anders. Und so ringe ich immer neu um Worte, wenn ich Menschen beistehen soll, die von Verzweiflung überwältigt sind. Mensch, worauf hoffst Du? Diese Frage ehrlich zu beantworten, ist eine Lebensaufgabe weit jenseits von Lebensstilfragen. Denn es reicht nicht, selbst davongekommen zu sein, wenn wir den Verzweifelten in die Augen sehen wollen. Tobias Zimmermann SJ 21 © Conceptual Images photocase.com

JESUITEN n SEPTEMBER 2020 n APOKALYPSE Alles jetzt!? Bisweilen sind die Sensationslust oder das leitende Interesse von Enthüllungen, Vorhersagen oder Zukunftsszenarien so leicht durchschaubar, dass es abwegig wäre, sich damit näher zu befassen. Zugleich sind die Botschaft Jesu und unser Glauben von der Spannung zwischen „hier und jetzt“ und „in Zukunft“ erfüllt: Was bliebe von der biblischen Botschaft, wenn wir alle Aussagen über Zukünftiges oder Verheißenes herausnähmen? Aber auch: Was bliebe von der Gegenwart, wenn wir nur über die Zukunft orakeln würden? Dazu drei Anstöße zur persönlichen Weiterführung und Vertiefung. 1. Ist doch ganz OK hier. Warum an die Zukunft denken, wenn ich die Gegenwart genießen kann? So kann nur denken und fühlen, wem es jetzt gut geht und wer in dieser Welt auf der Gewinnerseite leben kann. Der im letzten Jahr verstorbene Theologe Johann Baptist Metz hat eindringlich davor gewarnt, in Theologie und Glaube die Opfer der Geschichte zu vergessen: Unser Glaube und unsere Rede von Gott müssen im Angesicht des leidenden Menschen bestehen können. Und der leidende Mensch hat im Regelfall den leidenschaftlichen Wunsch nach Veränderung. Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, und kein Interesse an Veränderungen haben, dann stehen wir vermutlich auf der falschen Seite. Oder wir sind zu kurzsichtig und zu kleingläubig. Auf jeden Fall mangelt es uns an Solidarität, oder biblisch gesprochen: an Geschwisterlichkeit. Als Christen dürfen wir uns niemals vom Hier und Jetzt begrenzen lassen: Das, was jetzt ist, darf noch nicht alles sein, weil es nicht für alle gut ist. 2. Kann man nicht wissen. Es ist doch möglich, dass unsere Auffassungsgabe jetzt noch begrenzt ist. Paulus schreibt im ersten Korintherbrief: „Stückwerk ist unser Erkennen, Stückwerk unser prophetisches Reden. Wenn aber das Vollendete kommt, vergeht alles Stückwerk. … Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie auch ich durch und durch erkannt worden bin“ (1 Kor 13, 9.12). Was wir jetzt sehen und verstehen, kann möglicherweise noch nicht alles sein. Oder mit den Worten von Alfred Delp SJ, der mit seiner ganzen Existenz gegen die mörderischen Umstände seiner Gegenwart gekämpft hat: „Im Grunde bleibt der Mensch ungeborgen und unterwegs und offen bis zur letzten Begegnung. … Es gibt also das Endgültige vorläufig nicht und der Versuch, Endgültigkeiten zu schaffen, ist eine alte Versuchung des Menschen“. Es kann noch viel 22 GEISTLICHER IMPULS

mehr geben, als wir jetzt sehen oder uns vorstellen können. Auch das endzeitliche Festmahl des Propheten Jesaja verspricht nicht nur feine Speisen und erlesene Weine, sondern auch Enthüllung und Aufdeckung von allem, was jetzt noch bedeckt ist (Jes 25, 6ff). Vielleicht sind wir ja noch lange nicht am Ende. 3. Hoffnung brennt. Die düstere Apokalypse des Lukas-Evangeliums läuft auf einen entscheidenden Satz zu: „Wenn all das beginnt, dann richtet euch auf und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe“. (Lk 21, 28). Im Glauben gehen wir nicht einer Ungewissheit und nicht dem Untergang entgegen. Armageddon und alle anderen Schlachten sind schon siegreich geschlagen und deshalb schließt die Offenbarung des Johannes mit Bildern voller Trost und Frieden. In dieser Zusage steckt Mut. Ohne Angst vor der Zukunft – weil uns nichts wirklich schaden kann – können wir mit ganzer Kraft in der Gegenwart so denken, arbeiten, leben und lieben, dass eine andere Welt für alle Menschen schon jetzt glaubwürdig wird. Dass sie sogar anbricht. Eine andere Welt, die dem Schöpfungsmorgen näherkommt und die Gott selbst errichten wird: „Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen. Denn was früher war, ist vergangen“ (Offb 21, 3f). Axel Bödefeld SJ © Conceptual Images

NACHRICHTEN 24 JESUITEN n SEPTEMBER 2020 n APOKALYPSE Neues aus dem Jesuitenorden Provinzial P. Johannes Siebner verstorben Wir trauern um Johannes Siebner. Er verstarb am 16. Juli in Berlin-Kladow im Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe. Ende Januar wurde er plötzlich und unerwartet auf Grund einer Gehirntumor-Erkrankung aus seiner Amtsführung als Provinzial der deutschen und schwedischen Jesuiten herausgerissen, das nun letzte und höchste von vielen Ämtern, die er alle mit großer Hingabe und Freude wahrnahm. Johannes Siebner wurde am 24. August 1961 in Berlin geboren und ist 1983 in den Orden eingetreten. Er war Jugendseelsorger in Hamburg und Kollegsdirektor in St. Blasien. Von 2011 bis 2017 war er Rektor im Aloisiuskolleg, Bonn-Bad Godesberg. Sein Amt als Provinzial trat er am 1. Juni 2017 an. Das Wirken des 58-jährigen war geprägt vom seelsorglichen Anliegen des Ordens: „Den Seelen helfen“. Als Jugendseelsorger in Hamburg erneuerte und profilierte er die Konzeption von verbandlicher Jugendarbeit. Die pädagogische Kultur und auch die Führungskultur an den Kollegien in St. Blasien und Bad Godesberg prägte er mit einem durchdachten und innerlich angeeigneten Verständnis der spirituellen Tradition des Ordens. Seine Freude an und © SJ-Bild/Christian Ender Das Requiem für P. Johannes Siebner SJ in St. Canisius in Berlin mit den Zelebranten P. Tomasz Kot SJ, P. Bernhard Bürgler SJ, P. Jan Roser SJ, P. Christian Rutishauser SJ und P. Klaus Mertes SJ. (v.l.n.r.)

auch seine Fähigkeit zu öffentlichem Diskurs machten ihn weit über die Grenzen des Ordens hinaus bekannt und zu einem kompetenten und gesuchten Gesprächspartner, Seelsorger, Ratgeber und Referenten. Er wirkte mit an der Gründung des „Zentrums für Ignatianische Pädagogik“ (Ludwigshafen). In seinen vielfältigen Tätigkeiten blieb er immer zugleich ein überaus menschenfreundlicher, humorvoller, analytisch klarer und zugleich einfühlsamer Seelsorger. Die Aufdeckung von Missbrauch an Jesuitenkollegien und im Jesuitenorden erschütterte Johannes Siebner. Er übernahm Verantwortung für die Institutionen gegenüber den Betroffenen. In zahllosen Gesprächen mit Betroffenen, aber auch mit sekundär betroffenen Familien, Jahrgängen von ehemaligen Schüler*innen, mit Mitarbeiter*innen ermöglichte er individuelle und institutionelle Aufarbeitung. P. Johannes Siebner wurde am 30. Juli in Berlin-Reinickendorf auf dem Domfriedhof St. Hedwig beerdigt. Neuer Provinzial der Deutschen Provinz bestätigt P. Jan Roser SJ wurde als Provinzial der Deutschen Provinz der Jesuiten bestätigt. Generaloberer Pater Arturo Sosa SJ hat ihn nun offiziell zum Provinzial ernannt, bis zum 31. Juli war er dem Titel nach noch Vizeprovinzial. Anlass für diese Neuregelung ist der Tod des bisherigen Provinzials, P. Johannes Siebner SJ. Roser hatte am 18. März bis auf Weiteres die Leitung der Deutschen Provinz übernommen, nachdem bei P. Siebner ein Gehirntumor diagnostiziert wurde. Sosa würdigte in einem Brief Roser für das Engagement in den vergangenen Monaten: „Ich möchte meine Dankbarkeit für die Bereitschaft und Großzügigkeit ausdrücken, mit der Sie sich dieser Herausforderung in einer wirklich außergewöhnlichen und schwierigen Situation gestellt haben. Ich bin voller Anerkennung dafür, wie Sie sich dieser Verantwortung gestellt haben.“ General ernennt ersten Provinzial der neuen Provinz P. Bernhard Bürgler SJ wird erster Provinzial der neuen Zentraleuropäischen Provinz. Der Generalobere der Jesuiten, P. Arturo Sosa SJ, ernannte ihn am 31. Juli. Bernhard Bürgler tritt sein Amt als Provinzial am 27. April 2021 mit der Gründung der neuen Provinz an. Diese wird die bisherigen Provinzen Österreich, Deutschland, Litauen-Lettland und der Schweiz ersetzen. Bernhard Bürgler ist derzeit Provinzial in Österreich und gehört damit zu den Jesuiten, die den Zusammenschluss in den vergangenen Jahren maßgeblich vorbereiteten. Die Herausforderungen, die auf © SJ-Bild/ Christian Bargehr P. Bernhard Bürgler SJ

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