Jesuiten 2020-3

Angebote der Jugendarbeit zum Erliegen gekommen. Strohmaier: Wir haben in der Tat eine Irritation bei den Kindern und Jugendlichen wahrgenommen. Sie wollen nämlich nicht nur als Schüler*innen wahrgenommen werden, sondern auch als Personen, die gewisse Anliegen an unsere Gesellschaft haben. Sie stellen sich nicht nur die Fragen, wann sie wieder beschult werden und wie sie an ihre Hausaufgaben kommen. Sie spüren auch, wie sich die Gesellschaft um sie kümmert, wer sich für ihre Belange interessiert, wenn sie daheim sind, wenn kein Lehrer mehr Kontakt zu ihnen hat. Da haben die Jugendlichen gemerkt, was für einen Stellenwert sie in unserer Gesellschaft haben. Was sind die Konsequenzen für unser Verständnis von Bildung? Strohmaier: Über die Qualität von Bildung brauchen wir nicht sprechen, da gibt es genug Berichte, die zeigen, woran es mangelt. Deutlich ist die Benachteiligung oder soziale Ungleichheit bei der technischen Ausstattung geworden. Wenn zum Beispiel Kinder noch nicht einmal ein eigenes Zimmer, geschweige denn einen eigenen Schreibtisch haben, brauche ich nicht von Bildungsgerechtigkeit reden. Wir reden schnell über Bildungsqualität, aber wir müssen uns auch die Quantität anschauen und über soziale Ungleichheit reden. Was lernen Sie aus den vergangenen Monaten? Strohmaier: In vielen Einrichtungen steht nun erstmal die Reflexion der letzten Monate an. Manche machen das auch mit Kindern und Jugendlichen zusammen. Aus Gesprächen kann ich sagen, dass klassische Ressourcen wie Vertrauen, Beständigkeit, Gruppenfähigkeit, Zusammenhalt und die Erfahrung, dass eine Gruppe einen stark machen kann, wichtig sind. In der Jugendhilfe gab es in den letzten Jahren die Tendenz zur Individualisierung der Hilfen, also individuelle Hilfekonzepte, die nur am Kind ansetzen und dieses sozusagen reparieren sollen, weil es ein schwieriges Elternhaus hat. Das ist eine Seite der Medaille. Das stimmt alles! Aber die Einbeziehung der Eltern und des sozialen Umfeldes in Verbindung mit der gruppenpädagogischen Ausrichtung in der Heimerziehung und der Jugendso- zialarbeit ist dadurch etwas aus dem Fokus geraten. Wir müssen den Kindern und Jugendlichen vermitteln, dass Gruppen stark machen, dass Peergroups für die individuelle Entwicklung wichtig sind und wir etwas erreichen, wenn wir uns zusammentun, um unsere Interessen gemeinsam zu vertreten. In Krisen gibt eine funktionierende Gruppe Sicherheit und Rückhalt. Für den Lebensweg kann das eine existentielle Erfahrung sein, die Orientierung gibt und auch mal ein Wagnis eingeht. Pia Dyckmans 15 JESUITEN n SEPTEMBER 2020 n APOKALYPSE

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