Jesuiten 2020-3

JESUITEN n SEPTEMBER 2020 n APOKALYPSE Alles jetzt!? Bisweilen sind die Sensationslust oder das leitende Interesse von Enthüllungen, Vorhersagen oder Zukunftsszenarien so leicht durchschaubar, dass es abwegig wäre, sich damit näher zu befassen. Zugleich sind die Botschaft Jesu und unser Glauben von der Spannung zwischen „hier und jetzt“ und „in Zukunft“ erfüllt: Was bliebe von der biblischen Botschaft, wenn wir alle Aussagen über Zukünftiges oder Verheißenes herausnähmen? Aber auch: Was bliebe von der Gegenwart, wenn wir nur über die Zukunft orakeln würden? Dazu drei Anstöße zur persönlichen Weiterführung und Vertiefung. 1. Ist doch ganz OK hier. Warum an die Zukunft denken, wenn ich die Gegenwart genießen kann? So kann nur denken und fühlen, wem es jetzt gut geht und wer in dieser Welt auf der Gewinnerseite leben kann. Der im letzten Jahr verstorbene Theologe Johann Baptist Metz hat eindringlich davor gewarnt, in Theologie und Glaube die Opfer der Geschichte zu vergessen: Unser Glaube und unsere Rede von Gott müssen im Angesicht des leidenden Menschen bestehen können. Und der leidende Mensch hat im Regelfall den leidenschaftlichen Wunsch nach Veränderung. Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, und kein Interesse an Veränderungen haben, dann stehen wir vermutlich auf der falschen Seite. Oder wir sind zu kurzsichtig und zu kleingläubig. Auf jeden Fall mangelt es uns an Solidarität, oder biblisch gesprochen: an Geschwisterlichkeit. Als Christen dürfen wir uns niemals vom Hier und Jetzt begrenzen lassen: Das, was jetzt ist, darf noch nicht alles sein, weil es nicht für alle gut ist. 2. Kann man nicht wissen. Es ist doch möglich, dass unsere Auffassungsgabe jetzt noch begrenzt ist. Paulus schreibt im ersten Korintherbrief: „Stückwerk ist unser Erkennen, Stückwerk unser prophetisches Reden. Wenn aber das Vollendete kommt, vergeht alles Stückwerk. … Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie auch ich durch und durch erkannt worden bin“ (1 Kor 13, 9.12). Was wir jetzt sehen und verstehen, kann möglicherweise noch nicht alles sein. Oder mit den Worten von Alfred Delp SJ, der mit seiner ganzen Existenz gegen die mörderischen Umstände seiner Gegenwart gekämpft hat: „Im Grunde bleibt der Mensch ungeborgen und unterwegs und offen bis zur letzten Begegnung. … Es gibt also das Endgültige vorläufig nicht und der Versuch, Endgültigkeiten zu schaffen, ist eine alte Versuchung des Menschen“. Es kann noch viel 22 GEISTLICHER IMPULS

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