Jesuiten 2020-4

13 JESUITEN n DEZEMBER 2020 n HÖREN Die Kirche hat sich zwar schon lange um Gehörlose gekümmert und sie gefördert, aber Perikopen wie die „Heilung des Taubstummen“ (Mk 7,35) und die Verheißungen vom Himmel (z.B. Jes 35,5f) wurden zu einem Bild gemalt, das Menschen (erst und nur dann) als „normal/gesund/ heil/ganz/OK“ zeigt, wenn sie hören können. Wie dankbar bin ich daher meinem Vorgänger, dem Kapuzinerpater Amandus Hasselbach aus der Frankfurter Liebfrauen-Kommunität, der sich vor über dreißig Jahren für das Selbstbewusstsein gehörloser Menschen eingesetzt hat, dass sie sich nicht minderwertig vorzukommen brauchten. Mich fasziniert schon seit Studienzeiten, mit Gehörlosen zu tun zu haben, und ich merke immer wieder, wie herausfordernd und reizvoll es ist, etwa biblische Texte in die Welt und Kultur der „Augenmenschen“ zu übertragen, in ihre Richtung zu erden“. Das fängt schon bei der Frage nach einer passenden Bibelübersetzung an, die Grundlage für einen gebärdeten Vortrag sein kann. Bei Texten in Bibelstunden und Gottesdiensten werde ich immer wieder darauf gestoßen, dass die Spiritualität hörgeschädigter Menschen offenbar eine sehr eigene ist, zum Beispiel das Gleichniserzählungen Jesu eine größere Transferleistung benötigen, als ich es mir vorgestellt hätte. Wie „hören“ Menschen (anders) auf das Wort Gottes, wenn ihnen physisches Hören gar nicht oder nur sehr schwach möglich ist? Es gibt (leider) nicht sehr viele „Selbstbetroffene“, die in der Hörgeschädigtenseelsorge tätig sind. Zu unserer großen Freude gibt es aber seit wenigen Monaten eine junge Ordensschwester in Berlin, die eben nicht als „außerirdische Missionarin“ daherkommt, sondern als Gehörlose selbst in der Welt der fliegenden Hände lebt. Wenn Sr. Judith etwa Videos postet oder Gebärdenlieder zeigt, dann kommt das sicher besser an als wenn ich es – quasi als „Ausländer“ – tue. Als Hörender zu Gast in der gehörlosen Welt erlebe ich häufig schmerzliche Missverständnisse und erdulde, dass ich verdächtigt werde, ein Vertreter von „Kolonialisten“ zu sein, der ihnen seine Kultur überstülpen will. Ich bin daher sehr dankbar, dass ich in vielen Jahren Beziehungsarbeit ein Vertrauen aufbauen konnte, dass wir einander „ganz Ohr zuhören“ wollen. Als abschließenden kleinen „Werbeblock“ einen Hinweis auf unsere Deutschlandweite Homepage www.taub-und-katholisch.de und die herzliche Einladung, mal zu einem Gehörlosengottesdienst mit Gebärdensprache und Gebärdenliedern zu kommen! Christian Enke

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