Jesuiten 2020-4

SCHWERPUNKT Papst Franziskus, das Zuhören und die Sendung Als Erzbischof von Buenos Aires predigte einst Jorge Mario Bergoglio bei einer Messe zum „Tag der Taxifahrer“: „Ihr seid Männer und Frauen, die zuhören. Wie oft haben Sie schon Beichten gehört! Wie oft haben Sie vom Steuer aus Menschen ermutigt oder Therapien angeboten. Wie oft haben Sie Tore der Hoffnung geöffnet ... Ihre Arbeit besteht nicht nur darin, Auto zu fahren. Sie lassen die Menschen an sich heran, nähern sich mit Ihren Ohren und Ihrem Herzen dem Mann oder der Frau oder der Familie, die ins Auto gestiegen ist. Und Sie helfen der Gesellschaft, indem Sie so mit Ihren Fahrgästen sprechen - auch wenn Sie Gott nicht erwähnen …“ Aber das Zuhören ist wichtig nicht nur für Taxifahrer, sondern auch für Bischöfe. 2015 sprach Papst Franziskus während der Synode über Ehe und Familie von „eine(r) Kirche des Zuhörens, in dem Bewusstsein, dass das Zuhören mehr ist als Hören… ein wechselseitiges Anhören, bei dem jeder etwas zu lernen hat: das gläubige Volk, das Bischofskollegium, der Bischof von Rom.“ Jenseits der Autoritätsfrage Das autoritäre Kirchenbild stirbt nur langsam. Ein Kardinal, der beteuert, dass Taxi- fahrer, auch ohne von Gott zu sprechen, dessen Werk tun, oder ein Papst, der darauf besteht, dass seine eigene Autorität vom Zuhören abhängt – dies kann bloß als Korrektiv der Übertreibungen der Vergangenheit empfunden werden. Einige traditionalistische Geister werden dann empört. Aber wir müssen diese Anliegen beiseitelegen, wenn wir verstehen wollen, warum Papst Franziskus jetzt auf das Zuhören besteht. Es ist nicht so, dass er glaubt, die Kirche habe keine Botschaft mehr zu verkünden. Die Verkündigung bleibt – nach seiner Pfingsthomilie 2020 – „das erste Werk der Kirche“. Aber es geht um mehr als die Übermittlung einer Botschaft. Das Anliegen ist existentiell. Die ganze Kirche ist gerufen „aus sich selbst herauszukommen und an die Peripherien zu gehen“ – so erklärte Bergoglio während der Diskussionen vor seiner Wahl. So wird Zuhören mehr als ein Zeichen der Freundlichkeit. Nur vom Zuhören – im weitesten Sinn – auf das was über sie hinaus liegt kann die Kirche ihr Leben entfalten und ihre Sendung erfüllen. In gemeinsamer Sendung unter Gott Wir hören zu, weil Gott uns in die Mission ruft. Ja, die Autoritäten der Kirche müssen auf die Gläubigen hören. Das bedeutet nicht, dass sie bloß die Mehrheitsmeinung der Gläubigen feststellen und ihr folgen wie in einem Parlament. Vielmehr sind wir ständig von Gott dazu berufen, uns gemeinsam auf etwas Neues zuzubewe- 20 JESUITEN n DEZEMBER 2020 n HÖREN

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