Jesuiten 2020-4

Die Aussage des anderen retten Ignatius hat seine „Geistlichen Übungen“ als Handbuch zum Begleiten von geistlichen Übungen oder Exerzitien geschrieben. Und so findet sich folgende Stelle in seinem Werk (GÜ 23): „Damit sowohl der, welcher die geistlichen Übungen gibt, wie der, welcher sie macht, sich gegenseitig mehr helfen und nützen, müssen sie voraussetzen, dass jeder gute Christ mehr dazu bereit sein muss, die Aussage des Nächsten für glaubwürdig zu halten, als sie zu verurteilen. Vermag er sie nicht zu rechtfertigen, so forsche er nach, wie jener sie versteht […] und wenn das nicht genügt, so suche er nach allen angemessenen Mitteln, damit jener zu ihrem richtigen Verständnis gelange und so sich rette.“ Bemerkenswert ist, welche Perspektive Ignatius hier auf das Geschehen von Begleitung einnimmt. Beide, Begleiter*in und Begleitete*r, helfen einander mehr, wenn sie sich wertschätzend statt bewertend zuhören und so die Gefühle und Gedanken des anderen erst einmal stehen lassen, egal, ob mir gefällt, was der andere sagt oder nicht. Dann ist es für Ignatius wichtig, Fragen zu stellen, nicht nur, wenn ich als Zuhörer*in etwas nicht verstehe, sondern auch, um das Gegenüber anzuregen, die eigene Gefühls- und Gedankenwelt noch mehr zu erforschen. Und es geht letztlich nicht darum, dass ich als weiser Zuhörer*in mein Gegenüber verstehe, sondern dass ich ihn unterstütze, dass er seine Aussagen und sich selbst besser versteht – und so sich rettet. Diese Hinweise entwerfen ein Verständnis von Begleitung, bei dem es nicht um Ratschläge oder um Belehrung geht. Begleiter*in und Begleitete*r sind vielmehr auf Augen- und Ohrenhöhe. Ziel ist, dass das Gegenüber selber dahin findet, sich zu retten. Ignatius formuliert hier Grundsätze der Gesprächsführung, die bis heute aktuell sind. Für die „Rettung“ der Aussage des anderen gibt es ein wunderbares Werkzeug in der Gesprächsführung, das sogenannte „Reframing“. In einen anderen Kontext oder Rahmen („Frame“), in ein anderes Licht gestellt, hört sich eine Aussage plötzlich anders an. Ein paar Beispiele: „Ich gebe meiner Partnerin immer zu schnell nach.“ „Sie können ihr also zeigen, dass Sie sie lieben, wünschen aber, das auch noch auf andere Weise zu tun.“ – „Mein Sohn ist in der Schule immer so zappelig, er ist der Klassenclown.“ „Wie wunderbar, er kann andere zum Lachen bringen!“ Ein solcher Kommentar kann einem ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Ein solches „Reframing“ unterbricht den Strom vorgefertigter und festgefügter Meinungen, die jemand über sich hat. Plötzlich sieht meine Welt anders aus, ein bisschen heiler als sonst. 2 SCHWERPUNKT JESUITEN n DEZEMBER 2020 n HÖREN © Halfpoint iStock.com

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