Jesuiten 2021-1

der Rührung würde er sagen: „In meinem Krankenbett in Loyola lernte ich die Worte kennen, die mir das wahre Leben geben. In diesem Bett wurden mir zum ersten Mal die Augen geöffnet, und ich sah: Ich war am Leben! In jenen Tagen spürte ich, wie das Leben in mir aufblühte, und ich habe es nie wieder verloren.“ Eventuell würde Ignatius von weiteren Prüfungen erzählen, in denen seine eigene Verletzlichkeit sichtbar wurde und die zugleich Gelegenheiten waren das erblühte Leben weiter wachsen zu lassen. Am schrecklichsten war die Prüfung der Skrupel, als er von Angst erfüllt war Gott und seiner Liebe nicht zu genügen. War dieses Streben nach Perfektion nicht im Grunde eine subtile Ablehnung der eigenen Schwäche und Verletzlichkeit? Als er dies erkannte, keinen Ausweg fand und zu Gott schrie, öffnete er sich für die Barmherzigkeit Gottes und spürte sie tief in sich. Diese Erfahrung half ihm die eigene Schwäche und Verletzlichkeit sowie die anderer mit den Augen Gottes zu sehen: mit einem Blick der Sanftmut und Gelassenheit. Vermutlich würde Ignatius an diesem Punkt aufhören zu sprechen und weiterhin einen sehr sanftmütigen und gelassenen Blick auf uns richten. Mehr würde er nicht hinzufügen, denn er wusste, dass in Momenten der Verletzlichkeit große Reden nicht helfen; wirklich hilfreich sind die Geschichten derer, die durch eine Krise gegangen sind und berichten können, dass sie lebendig, ja, lebendiger aus der Krise hervorgegangen sind. Die ersten Gefährten wollten eine Geschichte über den Ursprung der Gesellschaft Jesu. Ignatius zeigte, dass dies eine Geschichte der Schwäche und Verletzlichkeit war und was daraus entstehen konnte. Implizit bekräftigte er, dass er aus einer Verwundung heraus neu geboren wurde, ja dass die Gesellschaft Jesu aus einer Verwundung heraus geboren wurde. Vielleicht helfen der heutigen Welt Geschichten, die verdeutlichen, dass wir keine Angst vor der Verletzlichkeit und Schwäche haben müssen, dass wir nicht vor ihr weglaufen müssen. Sie braucht Geschichten, die helfen einen veränderten Blick auf die eigene Schwäche und Verletzlichkeit zu gewinnen, ja auf das Leben selbst, welches aus einer Verwundung erblühen kann. An Geschichten mangelt es nicht, allen voran die von Jesus Christus, dann die von Ignatius und vielen anderen Glaubenszeugen. Wir könnten noch weitere hinzufügen, nämlich unsere: meine, Ihre… Tiziano Ferraroni SJ 11 JESUITEN n MÄRZ 2021 n SCHWACH STARK

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