Jesuiten 2021-1

JESUITEN n MÄRZ 2021 n SCHWACH STARK Ehrlich bedürftig Jesus scheint das Elend anzuziehen – so beschreiben es die Evangelien vom Beginn seines Wirkens an. Als locke er geradezu aus Menschen all das, was nicht fromm, gut, stark und gesund ist, hervor: Gleich vom Abend des ersten Tages in Kapharnaum wird erzählt, dass alle Kranken und Besessenen der Stadt vor seiner Tür versammelt waren (Lk 4,40). So ergeht es ihm ständig. Die Evangelien bieten nur wenige Berichte über gelehrte Auseinandersetzungen mit jüdischen Intellektuellen. Zu Streitreden mit politischen Autoritäten kommt es eigentlich erst im Laufe der Passion. Um ein Vielfaches mehr lässt Jesus sich auf dem Weg ansprechen und in Beschlag nehmen von Blinden, Aussätzigen und Gelähmten, von Schwachen, Geschlagenen und von Menschen, die eine Verlusterfahrung allein nicht bewältigen können. Wie viel Kraft mag ihn das gekostet haben, immer wieder nur das Elend anzuziehen und ständig existentielle Not und materielle Bedürftigkeit um sich zu sehen? Nein, falsche Frage! Es wird von so vielen Menschen erzählt, die in der Nähe Jesu aufatmen und ihre Bedürftigkeit zeigen konnten – da lautet die Frage eher: Wie viel Liebe, wie viel Zuneigung muss Jesus ausgestrahlt haben, dass Menschen Zutrauen fassen und ihre Unzulänglichkeit zeigen konnten? Der Blick Jesu muss Menschen ermutigt haben, sich als verzweifelt, hilfsbedürftig, schwach oder abhängig zeigen zu können. Und sich nicht länger als gerecht und heil, abgeklärt und diszipliniert darstellen zu müssen. Es ist keine Elitetruppe, die so um ihm entsteht. Es ist vielmehr ein bunter Haufen von Menschen, die auf ihrer Suche nach Hilfe und Trost, Heilung und Orientierung bei Jesus fündig geworden sind. Es sind nicht die Reichen, Schönen und Starken. Die Jüngerschar entsteht aus Hungrigen und Durstigen, nicht durch eine Auswahl aus den vermeintlich Besten. Das Assessmentcenter Jesu hat eigenwillige Kriterien: Das radikale Einge- ständnis der eigenen Schwäche und den Mut, Unzulänglichkeit und Bedürftigkeit zuzugeben. Die Wahrheit heilt und macht frei. Es ist wohl vor diesem Hintergrund, dass Papst Franziskus in einem seiner ersten Interviews von der Kirche als „Feldlazarett nach der Schlacht“ sprach. Aber wer will schon ins Feldlazarett. Bin ich nicht lieber bei Siegern als bei Verlieren: Bist Du nicht auch einer von denen, die ihm nachgelaufen und auf ihn reingefallen sind? Petrus verneint am Kohlenfeuer, und hätte wider besseren Wissens noch ergänzen können: Ich brauche ihn nicht. Ich schaff´s allein. Und dabei hatte ihn Jesus gerade erst vor dem Ertrinken gerettet. Aber ich schaff´s trotzdem allein. Alles selbst im Griff zu haben ist ein besseres Gefühl, als sich begrenzt oder bedürftig zu erleben. Es schmerzt mich, Blöße zu zeigen. Aber es ist eben doch so, dass nicht die Gesunden des Arztes bedürfen, sondern die Kranken (Lk 5,31). Christus ermutigt mich, betend und schweigend alles, was 22 GEISTLICHER IMPULS

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