Jesuiten 2021-2

SCHWERPUNKT 18 Jesus der Jude Amy-Jill Levine ist Professorin für Neues Testament an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee. 2019 hielt sie eine Lehrveranstaltung am Päpstlichen Bibelinstitut in Rom. Noch nie zuvor hatte ein Wissenschaftler jüdischen Glaubens dort Neues Testament unterrichtet. P. Dominik Markl SJ, Professor für Altes Testament am Biblicum, hat mit ihr über Jesus gesprochen. AJ, als Kind, vermute ich, warst du ein aufgewecktes jüdisches Mädchen, aber warum hast du dich für das Christentum interessiert? Ich bin in Massachusetts aufgewachsen. Die meisten meiner Freunde kamen aus Familien portugiesischer Einwanderer und waren katholisch. Ich bin mit ihnen in die Kirche gegangen, meine Eltern waren sehr aufgeschlossen. Ich wäre auch gern zur Erstkommunion gegangen – vor allem wegen des Kleides! Einmal sagte ich zu meiner Mutter, ich würde gerne Papst werden. Sie sagte, das geht leider nicht. Warum? Weil du keine Italienerin bist! Eines Tages sagte ein Mädchen aus meiner Klasse im Schulbus zu mir, „Du hast unseren Herrn Jesus umgebracht!“ „Nein, das habe ich nicht.“ „Doch, das hat unser Priester gesagt!“ Als meine Mutter zuhause fragte, warum ich so weinte, sagte ich, weil ich Gott umgebracht habe. Sie sagte, dem lieben Gott gehe es ganz gut. Eine große Erleichterung! Das war übrigens die einzige antijüdische Aussage, die ich als Kind erlebt habe, und der Priester wurde zurechtgewiesen. Bald danach wurde beim Zweiten Vatikanischen Konzil im Dokument Nostra aetate klargestellt, dass nicht „die Juden“ für den Tod Jesu beschuldigt werden dürfen. Jedenfalls wollte ich der Sache auf den Grund gehen. Ich habe beim Katechismusunterricht teilgenommen und schließlich Neues Testament studiert. Wer ist Jesus für dich? Als Jüdin bin ich manchmal stolz auf Jesus. Ich verehre ihn nicht im religiösen Sinn, denn mein Herz ist ganz und gar mit meiner eigenen jüdischen Tradition erfüllt, aber ich finde seine Lehren oft tiefgründig und inspirierend. Dann denke ich mir, er ist einer von uns. Warum ist das Neue Testament für Juden interessant? Viele Juden kennen das Neue Testament nicht, und manche würden sich scheuen, es zu lesen. Aber es ist eine sehr wichtige Quelle für jüdisches Leben in Galiläa, Judäa und in

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