Jesuiten 2021-2

SCHWERPUNKT 19 der Diaspora im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Die Mutter Jesu, die Jünger, die ersten Christen waren alle Juden. Der einzige pharisäische Jude, von dem wir Texte besitzen, ist Paulus von Tarsus. Um Juden einen besseren Zugang zum Neuen Testament zu ermöglichen, habe ich mit meinem Kollegen Marc Zvi Brettler das Jewish Annotated New Testament herausgegeben. Das ist die erste von jüdischen Experten kommentierte Version des Neuen Testaments. Ich bin stolz darauf, dass wir diese Ausgabe Papst Franziskus persönlich übergeben konnten. Dieses Jahr soll auch eine deutsche Übersetzung erscheinen. Was sind deine schönsten Erlebnisse beim Lesen des Neuen Testaments? Ich unterrichte Universitätskurse zum Neuen Testament in einem Hochsicherheitsgefängnis in Nashville. Wenn Männer, die 30 oder 40 Jahre im Gefängnis gesessen sind, über das Evangelium reflektieren, sehe ich, wie diese Texte noch heute, nach 2000 Jahren, zu uns sprechen. Können Christen von Juden etwas über Jesus lernen? Sicher. Jesus lebte in der Welt der jüdischen Traditionen. Ich habe öfter Kurse mit Katholiken, dann lesen wir zum Beispiel das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Die Geschichte beginnt mit einem Vater, der zwei Söhne hatte. Wenn wir das als Juden hören, denken wir sofort an die Erzählungen von Kain und Abel, Ismael und Isaak, Esau und Jakob. Da bekommt das Gleichnis vom verlorenen Sohn einen neuen Klang und meine katholischen Freunde sagen dann oft, daran haben wir noch gar nicht gedacht. Was für ein Verhältnis hatte Jesus zu Frauen? Im Neuen Testament sieht man, dass jüdische Frauen zur Zeit Jesu recht große Freiheiten besaßen. Sie hatten Besitz und verfügten über ihr Eigentum, wie etwa die Frau, die an Blutungen litt und viele Ärzte konsultierte. Frauen reisen selbständig wie Maria, die Elisabeth besucht. Jesus trifft Frauen in Synagogen und im Tempel. Jesus ist kein Sozialrevolutionär in seinem Verhalten gegenüber Frauen, aber er begegnet ihnen angstfrei, wenn er mit ihnen spricht oder sie heilt. Darin folgt er den Propheten Elija und Elischa. Wenn du Jesus treffen würdest, was würdest du ihn fragen? Was hoffte er zu erreichen in seinem Leben? Was dachte er, als er gestorben ist? Ich würde ihn bitten, etwas zum bleibenden Bund mit dem jüdischen Volk zu sagen (Röm 11,26-29). Und wie können Juden und Christen trotz unterschiedlicher theologischer Ansichten gemeinsam für Gerechtigkeit und Frieden wirksam werden?

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