Jesuiten 2021-2

SCHWERPUNKT 20 Spiritualität mit und ohne Jesus Mein Glaube hat, als ich Anfang 20 gewesen bin, mit der Liebe zu Jesus begonnen. Bei einem Gottesdienst einer evangelikal- charismatischen Gemeinschaft, zu der mich ein Freund mitgenommen hatte, hatte ich ein Bekehrungserlebnis, das ich damals nicht anders deuten konnte als die Erfahrung einer umfassenden Liebe und Geborgenheit, die in Jesus ihren Ursprung hat. Auch wenn mittlerweile über vierzig Jahre vergangen sind, lebe ich im Wesentlichen noch immer aus dieser Erfahrung. Freilich haben sich mein Glaube und meine Liebe in den Jahren weiterentwickelt. Dabei sind es vor allem neue Lebenserfahrungen gewesen, die zu neuen Deutungen und einem neuen Verständnis meines Glaubens geführt haben. Zunächst hat mich das überrascht, aber es ist eigentlich klar: Mit den vielen neuen Erfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens machen, ändern sich ja auch unsere menschlichen Beziehungen und unser Verständnis der Beziehungen. Und von diesem Wandel ist auch die Liebe zu Gott nicht ausgenommen. Wir lernen Gott immer wieder neu kennen. Wir suchen und finden Gott an Orten, die uns in früheren Phasen unseres Lebens unvorstellbar gewesen sind. Das ist mir in den letzten zehn Jahren besonders deutlich geworden, seitdem ich das Institut für Philosophie und Leadership gegründet habe und Führungskräfte im Topmanagement, aber auch junge Gründerinnen und Start-upler, Söhne und Töchter von Familienunternehmen fortbilde und begleite. Für unsere Arbeit am Institut haben wir uns angeschaut, wie wir Jesuiten uns im Orden selbst ausbilden. Was sind wichtige Schritte im Noviziat, wenn junge oder mittlerweile auch nicht mehr ganz so junge Männer zu uns kommen und nach Gottes Willen für ihr Leben fragen? Was hat sich im Terziat bewährt, wenn Jesuiten viele Jahre nach ihrem Ordenseintritt noch einmal ganz bewusst auf ihr Leben zurückschauen, Bilanz ziehen, um danach mit neuer Klarheit und Kraft apostolisch tätig zu sein? Schnell wurde uns klar: Im Zentrum von allem stehen die Exerzitien, die Meditation, das Gebet. Unsere Spiritualität ist das Herzstück unserer Identität. Es ist das Beste und Wertvollste, das wir vermitteln können. Aber, so haben wir uns gefragt, wie soll das gehen? Meditieren, wenn man nicht an Gott glaubt? Denn auch wenn im Topmanagement großer Konzerne noch viele zumindest biografisch mit dem christlichen Glauben und einer Kirche zu tun hatten: Die jungen Leute, die wir ausbilden und die nahezu alle von einem naturwissenschaftlich-technischen Hintergrund

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