Jesuiten 2022-2

SCHWERPUNKT 20 Aushalten von Krankheit Wie zerbrechlich Leben sein kann, musste Jutta Weimer am eigenen Leib erfahren. Sie bekam überraschend eine Hirnblutung, die ihr Leben fundamental veränderte. „Et media vita in morte et media morte in vita sumus“ („Und mitten im Leben sind wir im Tod und mitten im Tod sind wir im Leben.“) geschah mir mit 36 Jahren: zweizeitige Aneurysma-Hirnblutung ohne Vorankündigung und Risikofaktoren, 16 Tage trotz brutaler Schmerzen unerkannt etc. Überleben zuerst dank eines Sanitäters, der in die Pupillen leuchtete und die Bescherung sah. Ich kann gar nicht aufzählen, wieviel Gutes ich auf dieser Intensivstation erfahren habe. Wer auf einer Intensivstation liegt, dem machen all die Geräte nichts aus; Urteilsfähigkeit ist nicht da. Und Träume beim Beatmet-Werden bei (Halb-)Bewusstsein werden gemildert durch die Stimme von einem Pfleger oder eine kurze Berührung zwischendurch. Nein, es ist nichts zu verstehen, doch es ist jemand da, das reicht. Es gab da auch Gelächter, als etwa Toni kam, um die andere Hälfte der Haare doch noch abzurasieren – wie hatte ich lachend staunen müssen, als sie mir beim Duschen sagten (sie haben mich dort tatsächlich geduscht und eingecremt, obwohl ich wohl nur Bruchteile von Sekunden mitbekam – es war ein Traum jedes Mal, doch real!), die Haare (halber Kopf) müssten gewaschen werden, ich: Wie bitte? Wie lächerlich! Ab damit. Zu keinem Zeitpunkt hat mich die Glatze oder das dick und blau verschwollene Gesicht jemals gestört – doch manche aus meinem Umfeld entfernten sich allein deshalb von mir: Mein Anblick war ihnen unerträglich. Meine Mutter war circa ein Jahr bei mir, bis ich soweit wieder stabil war, dass ich genug konnte, um zurecht zu kommen. Eine Freundin, die Einzige, die mir übrigens geblieben war, machte die notwendigsten Besorgungen. Zu schnell wollte ich wieder zu viel. Denn mein Operateur, der mir auch als Mensch wichtig war, hatte mir nichts vorgemacht: „Wir haben eine solche OP noch nie gemacht, die Spasmen im geklebten Gefäß sind nicht weg. Wir hoffen, dass die drei Clips das Riesenaneurysma auf Dauer halten können, doch die Spasmen bedeuten Lebensgefahr. Sie müssen lernen, jeden Tag als den letzten zu genießen und v.a. sich gut zu spüren. Und viel auszuruhen.“ So konkret, doch nichts hat mich geschreckt. Ich hatte das Schlimmste hinter mir, war in ganz anderer Situation als etwa ein krebskranker Patient: Jeder Tag war ja schon Gabe, Geschenk und Aufgabe. Außerdem gab es da diesen einen luziden Satz gleich nach dem Tiefschlaf: „Ich wäre erbärmlich gestorben, weil ich nicht gewagt habe zu lieben.“ Über fünf Jahre Reha. Folgen: vollständige Blindheit, ständige Kopfschmerzen – mit starken Opiaten als Dauermedikation soweit im Griff, dass sie meine Wahrnehmung nicht beeinträchtigen, ich aber noch merke, was mir guttut und was nicht –, Linksseitenläsion v.a. der linken oberen Extremität, doch zunehmend wird das Zusammenspiel beider Hände problematisch, die Verarbeitung von mehr als zwei Menschen im Raum, wenn ich etwas tun muss etc., einschießende Spasmen, die inzwischen unterwegs einen Rollstuhl verlangen, doch in Ruhe immer Probleme machen, etc. Wie nah das Sterben für mich ist, merke ich zum Beispiel schon, wenn ich nur niesen muss. Ich fürchte mich nie, doch ich weiß auch, was auf dem Spiel steht. Weiß, dass ich nur sehr bedingt mein Leben in der Hand habe. Nie habe © Katharina Gebauer

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