Jesuiten 2023-4 (Deutschland-Ausgabe)

Lebenselixiere beim Älterwerden: Ein Jesuit erzählt „Altwerden ist nichts für Feiglinge“ lautet ein bekannter Spruch und Buchtitel. P. Hermann Breulmann SJ teilt mit uns die Herausforderungen wie auch Kraftquellen, die für ihn mit dem Älterwerden und Altsein verbunden sind. Das Älterwerden ist ein langsamer Prozess, der durch harte Zäsuren geprägt sein kann. In meinem Fall bestand diese Zäsur in einer missglückten Operation, die zu einer langfristigen Behinderung beim Gehen führte. Dann kommt einem zu Bewusstsein, dass es Schwellen gibt, die einen neuen Abschnitt des Lebens ankündigen. Schwellen sind immer kippelig und bergen die Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren. Man erkennt, dass die Vergangenheit viel mehr Raum einnimmt als die verbleibende Zukunft. Das Leben ist befristet. Ich will diese Herausforderung und Erkenntnis nicht zu putzig und zu romantisch angehen, sondern auch als eine harte geistliche Übung und Gestaltung verstehen. Im Alter müssen die Bojen des Lebens neu positioniert werden, die Planken der Strukturen und der Pflichten werden schwächer, es geht mehr als früher um eine Reise nach innen. Der Alltag ist nicht mehr durch die Arbeit strukturiert, sondern diese Aufgabe muss nun selbst erledigt werden. Für mich ist es eine Herausforderung, dem Leben jenseits der Tätigkeiten eine Form und Struktur zu geben. Weiterhin fällt es mir nicht leicht, um Hilfe zu bitten, abhängig zu sein. Darin besteht für mich eine Übung, die schon in der Klinik begonnen hat. Dann sollte man die Dankbarkeit für die kleinen Gesten, Hilfen und Aufmunterungen nicht vergessen – sie sind nicht selbstverständlich. Die Gedanken, die einen überfallen, zu zähmen, ist eine weitere Übung; ebenso wie jene, dem Kopf und dem Herzen jenseits des Grübelns und Nachdenkens gutes Futter zu geben. Bücher sind mir ein Trost, besonders Biografien und Romane, weniger die Sachbücher, wie sie es früher für mich waren. Nicht zu vergessen die Musik, welche die Einsamkeit und das Gefühl der Verbundenheit miteinander vereinen kann. Freundschaften von neuem zu pflegen, ist für mich eine neue Perspektive. Dafür hat man jetzt mehr Zeit. Die vielen Bekannten verblassen hinter den Freund*innen, die um einen wissen, in guten und auch in schlechten Tagen. Im Zweiten Korintherbrief spricht der Apostel Paulus von einer Traurigkeit, die Gott gemäß ist. Die Trauer ist eine geistliche Stimmung in der Erfahrung des Älterwerdens. Die Trauer über Schuld, Fehler, verpasste Chancen, manche Dummheiten und auch über die Sanduhr des Lebens. Diese gottgemäße Trauer ist wohl eine, die man in eine Perspektive von mehr Glauben, Hoffnung und Liebe bringen kann; eine Haltung der Weisheit, die mich in einen größeren Zusammenhang der Welt und des Lebens Bücher und Musik sind mir ein Trost. 10 SCHWERPUNKT

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