Jesuiten 2010-1

Kirche wohin? ISSN 1613-3889 2010/1 Jesuiten

Jesuiten 1 Editorial Schwerpunkt 2 Freiheit macht unabhängig 6 Sorgen und Chancen einer Strukturreform 9 Zwischen Erfolg und Exil: Petrus Canisius 12 Weder kopflos noch verkopft 14 Offene Kirche als Auftrag 16 Weltjugendtage und mehr 17 Gesandt zu allen Menschen 20 Der Traum von der besseren Welt Geistlicher Impuls 22 Woran orientiere ich mich in der Krise? Aktuell 24 Interview mit Pater Provinzial: Für eine Kultur des Hinschauens und Hinhörens Nachrichten 26 Neues aus dem Jesuitenorden Personalien 28 Jubilare Verstorbene Medien 29 Die Nachrichten aus Rom Vorgestellt 30 Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst im östlichen Afrika 33 Autoren dieser Ausgabe 34 Freunde der Gesellschaft Jesu e.V. Spenden 37 Standorte der Jesuiten in Deutschland Inhalt Ausgabe 2010/1 2010/1 Titelfoto: Baugerüst vor der Kuppel von Sankt Peter in Rom (1999) © KNA-Bild

März 2010/1 Jesuiten 1 Editorial Liebe Leserinnen und Leser, „Wohin steuerst Du,Kirche?“ oder „Erreicht die Kirche heute noch mit ihrer Botschaft die Menschen?“ Weshalb ist diese Frage in einer Organisation so häufig zu hören,die immer noch eine der größten gesellschaftlichen Gruppen ist? Noch immer gehen sonntags mehr Menschen in die Kirche als samstags in die Fußballstadien und zeigen tausende christlich motivierter Ehrenamtlicher,dass der Ellbogen für den Menschen nicht das wichtigste Körperteil ist. Woher kommen die Unsicherheit und das Suchen nach der eigenen Identität? Nun ist es ein Leichtes,die Krisensymptome der Kirche in Deutschland aufzuzählen:Mitgliederschwund,abnehmende Glaubwürdigkeit,Schwäche der Institutionen,Priestermangel,Kritik und Misstrauen gegenüber Leitung und Priestern,mitunter ein Auseinander von Lehre und Leben,die Strukturänderungen in den Diözesen,und anderes mehr. Beim Umgang mit all dem ist es manchmal schwer,das Morgen zu sehen,die Richtung, in die wir gehen und die Kirche,die wir selbst sind und an der wir bauen.Es gibt so viele verschiedene Baustellen,dass der Plan fürs Ganze in den Hintergrund tritt.Aber gibt es überhaupt noch so etwas wie einen gemeinsamen Plan,eine verbindende Idee,wie Kirche aussehen könnte? Zurzeit ändert sich viel für und in der Kirche. Wie bestimmt der Jesuitenorden in diesem Umbruch seine Position im Verhältnis von Kirche und Welt, Kirche und Gesellschaft neu? Nicht dass es fertige Antworten gäbe! Aber es gibt Berichte darüber,was wir probieren. Pater Mertes beleuchtet in seinem Beitrag Veränderungen im Selbstverständnis unseres Arbeitens.Pater Hagenkord schaut auf eines der strahlenden Beispiele des Ordens,Petrus Canisius,um dort zu finden,was die Kirche in der Krise braucht.Oder um zu entdecken, dass es das Rezept vielleicht gar nicht geben kann. In einem Interview beschreibt Maria Faßnacht die unsichere Situation einer Kirche im Umbruch am Beispiel der Diözese Speyer. Die notwendige aber zuweilen auch quälende und lähmende Selbstreflexion darf unsere Kräfte nicht zu sehr binden.Darauf weisen Sr. Michaela Bank sowie Mitbrüder in Werkstattberichten aus Nürnberg und dem Netzwerk Ignatianisch hin. Siegfried Grillmeyer,Leiter des CPH in Nürnberg,berichtet darüber,was ihn bei den ganzen Umbauarbeiten der Kirche antreibt. Natürlich können wir nicht übergehen,was in den letzten Monaten öffentlich geworden ist – eine Krise unseres Ordens hier in Deutschland. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder Abschluss der Diskussion wird Pater Provinzial im zweiten Teil des Heftes auf die Missbrauchsfälle durch Jesuiten eingehen.In der Redaktion sind wir am Überlegen,wie wir dieses Thema weiterhin angemessen aufarbeiten können. Krise als Chance? Wir lernen und verändern uns,müssen bescheidener werden.Vielleicht aber sind der Mut zu Offenheit und Transparenz,die wir derzeit brauchen,auch eine der Qualitäten,die auf der Baustelle der Kirche von morgen gefragt ist. Bernd Hagenkord SJ Johann Spermann SJ

2 Jesuiten Schwerpunkt:Kirche wohin? Schwerpunkt Freiheit macht unabhängig Finanzkrise der Bistümer als Zeichen der Zeit für die Orden Im Jahr 2000 musste das Erzbistum Berlin eingestehen,unmittelbar vor dem Bankrott zu stehen.Sinkende Kirchensteuereinnahmen,ausbleibende Zuschüsse und vieles Andere machten harte Einschnitte notwendig. Andere Bistümer in Deutschland folgten bald.Mit Hilfe von auswärtigen Beraterfirmen wurden harte Entscheidungen beraten und beschlossen:Kündigungen,Verkauf von Immobilien,Kürzungen von Zuschüssen, Schließung von Jugend- und Exerzitienhäusern.Prioritäten mussten gesetzt werden,die man bisher vermeiden konnte,da das Finanzbett gut gepolstert war oder doch zumindest gut gepolstert schien. Beim Geld geht es nie nur um Geld.Diese bittere Lektion mussten alle Beteiligten und Betroffenen in den letzten Jahren lernen.Alle Entscheidungen haben immer auch inhaltliche, für die Seelsorge wichtige Aspekte. Diese lassen sich nie nur mit der Finanznot und Sparzwängen allein begründen.Dafür werden die inhaltlichen Prioritäten immer jenseits aller konzeptionellen Rhetorik in den faktisch getroffenen Entscheidungen sichtbar.Das ist es,was diesen Prozess so spannungsreich macht.Immer mehr Gläubigen dämmert angesichts der rasanten Rückzugsprozesse die Frage „Wohin steuerst Du,Kirche?“ als eine wirklich ernste Frage auf. Für die Orden blieb und bleibt die Finanzkrise der Bistümer nicht ohne überraschende Folgen.Wir Jesuiten erlebten,dass uns die Arbeitsverträge zwischen jeweiligem Bistum und Orden kurzfristig gekündigt wurden. Auch die Zuschüsse für unsere Werke flossen sparsamer oder gar nicht mehr.Es machte auch nicht viel Sinn, in denVerteilungskampf um Zuschüsse einzusteigen angesichts der Tatsache,dass kirchliche Angestellte ihren Arbeitsplatz verloren und sich nun in Hartz IV vorfanden.Sie waren ja viel härter getroffen als wir.Schlimmer war,dass wir selbst in unseren Institutionen Kündigungen aussprechen und kürzen mussten,wo uns die finanzielle Basis für die Auszahlung des Lohnes entzogen war.In einigen Fällen musstenWerke aufgeben werden,in anderen Fällen Strukturen umgebaut und neue Finanzierungsquellen erschlossen werden. Im Rückblick lässt sich sagen:Die Finanzkrise war ein Zeichen der Zeit,das uns unausweichlich nötigte und bis heute nötigt,umzudenken,und zwar nicht nur an der Oberfläche,sondern grundsätzlich.Dieser Prozess der meta-noia (vgl.Mk 1,14) ist noch nicht abgeschlossen,aber es zeigen sich erste Richtungen,in die es gehen könnte. Ein neuer Blick auf das Gelübde der Armut Das weiche Bett derVerträge mit den Diözesen ermöglichte es vielen von uns in den letzten Jahrzehnten,die Frage nach dem Geld den kirchlichen Zentralen beziehungsweise der Ordenszentrale zu überlassen.Verantwortung für das Geld reduzierte sich für den einzelnen Ordensangehörigen meist auf Fragen der Genügsamkeit im persönlichen Lebens-

März 2010/1 Jesuiten 3 stil.Diese trotz genügsamen Lebensstils luxuriöse Zeit ist vorbei.Dafür kommt in den Blick,dass Geld schon im Evangelium ein großes Thema war und ist, auch in Hinblick auf die Verantwortung für Finanzierung der eigenen Aktivitäten.Jesus war ein Spendensammler.Er lebte in seinenWanderjahren von dem Geld anderer Leute,zum Beispiel von dem Geld begüterter Frauen (Lk 8,3) oder eines Josef von Arimathäa,der sich diskret im Hintergrund hielt (Mt 27,57).Paulus war ebenfalls ein großer Spendensammler.Zwar arbeitete er auch mit seinen eigenen Händen, um Geld zu verdienen (1 Kor 9,12),aber in den Gemeinden bettelte er ständig um Geld für die Armen in Jerusalem (Gal 2,10 u.a.). Ignatius lebte in seinen Pilgerjahren von den Zuwendungen anderer,vor allem von vermögenden Frauen.Während seiner Studienzeit in Paris ging er regelmäßig auf Reisen, um Spenden für seinen Unterhalt zu sammeln.Als Generaloberer befasste er sich ständig mit Finanzierungsfragen.6000 von seinen 7000 erhaltenen Briefen befassen sich auch mit dem Thema Geld. Armut bedeutet:Angewiesen sein auf Spenden.Viele von uns waren von Diözesen angestellt.Somit war auch für uns Ordensleute dieser Aspekt unserer Gelübde eher in die Ferne gerückt.Die Finanzkrise als „Zeichen der Zeit“ hat hier etwas aufgebrochen:Wir sind Bettler und sollen es auch sein. Ein neuer Blick auf unser Priesterbild Für Ignatius war klar,dass Jesuiten keine Pfarrer sein sollten.Das bedeutet nicht,dass die Orden nicht auch gelegentlich Pfarreien übernehmen können und sollen,um von dort aus pastoral und missionarisch tätig zu werden.Dies ist über Jahrhunderte hinweg mit viel Frucht und Segen für die Kirche geschehen.Aber Ordensleute sind keine „Pfarrer“ – ihr Charisma besteht nicht darin,im Dienst der diözesanen Strukturen quasi als „Leihfirma“ pastorales Personal zur Verfügung zu stellen,wenn der diözesane Klerus es nicht mehr schafft.Doch je mehr die finanzielle Basis des Ordens auf denVerträgen mit den Diözesen ruhte,umso mehr prägt dann auch hier das Sein das Bewusstsein:Orden stehen in der Gefahr,sich selbst mehr und mehr als Leihfirma für Diözesen zu verstehen.Der akute Priestermangel verstärkt auch innen die Tendenz, sich den Gemeinden insbesondere für die regelmäßige Feier der Eucharistie zurVerfügung zu stellen. Dies hat – oft mehr unausgesprochene als ausgesprochene – Konsequenzen für das Priesterbild im Orden.Es wird immer mehr im Bezug zur Gemeinde verstanden.Dies entspricht im Grundsatz auch der Entwicklung der Gemeinde-Theologie nach dem zweitenVatikanischen Konzil, führt aber kirchen- und ordensintern zu Fragen wie: Könnt ihr es angesichts des Priestermangels verantworten,als Priester in Fabriken zu arbeiten,Lehrer weltlicher Fächer zu sein,Sozialakademien zu führen und full-time-Lobbyisten für Flüchtlinge zu sein? Das können doch auch Laien machen! Doch diese Sicht auf das Priestertum entspricht keineswegs der Tradition der Orden, gerade auch der missionarischen Orden. Ignatius feierte die Eucharistie in der Regel wie die meisten seiner Mitbrüder allein. Heute entspricht dem die gemeinsame Messfeier der Ordenskommunitäten.Für die pastorale Praxis hatte das Priestertum bei den ersten Jesuiten vor allem eine Bedeutung wegen der Beichte und wegen der Predigt.Die Jesuitenkirchen in den großen Städten waren keine Mess-Kirchen,sondern Beicht- und

Predigt-Kirchen,Orte also,wo gesprochen wurde, wo geistlicheVorträge gehalten, Exerzitien gegeben,zu Gesprächen eingeladen und Versöhnung mit Gott geschenkt wurde. Priestersein lässt sich nicht auf die Feier der Eucharistie reduzieren. Missionarisches Wirken setzt voraus,die Gemeinde zu verlassen, in der die Eucharistie gefeiert wird.Wir tun dies, um in eine Welt zu treten, in der dieser Aspekt priesterlichen Wirkens zunächst einmal nicht abgefragt wird.Die Finanzkrise als „Zeichen der Zeit“ macht uns also freier,andere Aspekte des priesterlichen Dienstes als Ordensangehöriger in den Blick zu nehmen. Vielleicht liegt darin auch ein Hinweis für die Kirche:Wenn sie nur Priester will,um Gemeinden zu versorgen,wird sie weder das eine noch das andere erhalten.Das aber bedeutet:Abschied von der engen programmatischen Verkettung zwischen Priestertum und Gemeindeversorgung. Ein neuer Blick auf unsere eigenen Werke Eigentlich ist Ordensleben eine gigantische Form von Ehrenamtlichkeit.Die Finanzkrise der Bistümer hat neu dazu geführt,dass wir heute viele Arbeiten gratis leisten,für die wir vor zehn Jahren noch Gestellungsgelder bekamen.Wir wollten sie nicht aufgeben,bloß weil wir nicht mehr dafür bezahlt werden. Denn es ist ja klar:Es entspricht nicht dem Geist der Armut,nur die Arbeiten zu leisten, für die wir Geld erhalten. Unsere Werke ruhen im Kern auf einer Gratis-Mentalität.Wir machen unsere Werke nicht,um Geld zu verdienen.Sie sind ein Geschenk an die Kirche,an die Menschen,an die Gesellschaft.Sie begründen auch letztlich für den Orden keine Ansprüche auf Refinanzierung durch diejenigen,denen sie geschenkt sind. Das ist die eine Seite der Medaille.Die andere Seite ist,dass Gratis-Arbeit und eigene Werke eine große Freiheit ermöglichen.Paulus war sehr daran gelegen,seinen Lebensunterhalt mit seiner eigenen Hände Arbeit zu erwirtschaften,um in der Predigt des Evangeliums unabhängig zu sein.Ignatius achtete sorgfältig darauf, dass die Werke, die er gründete,ausreichend Rücklagen hatten,um Abhängigkeiten gegenüber Auftraggebern und Abnehmern zu vermeiden.Er war zu seiner Zeit sogar der Auffassung,dass es ein größerer Dienst für die Kirche sei,wenn der Orden eigene Werke hat, als wenn er fremde Werke, zum Beispiel solche der Bistümer,unterstützt.Das ist natürlich nicht in einer sich ausschließenden Alternative zu sehen, aber macht doch eine Richtung deutlich. Freiheit macht unabhängig und im Fall der Fälle auch konfliktfähig.Sie macht lebendig. Ehrenamtlichkeit ist eine wichtigeVoraussetzung für diese Freiheit.In der Zeit der guten Bezahlung unserer Arbeiten durch „Arbeitgeber“ haben wir Ordensleute vielleicht auch einiges von diesem Geschmack der Freiheit verloren.Die Finanzkrise als Zeichen der Zeit schickt uns wieder auf die Straße des „gratis“,der Ehrenamtlichkeit,in der auch Jesus und seine Jünger wirkten.In diesem Sinne richtet sie unseren Blick wieder stärker auf unsere eigentliche Berufung. ■ Klaus Mertes SJ 4 Jesuiten Schwerpunkt:Kirche wohin?

März 2010/1 Jesuiten 5 © KNA-Bild Paulus-Statue vor dem Baugerüst der Peterskirche auf dem Petersplatz in Rom (1999)

6 Jesuiten Schwerpunkt:Kirche wohin? Schwerpunkt Sorgen und Chancen einer Strukturreform Im Gespräch mit Maria Faßnacht, Vorsitzende des Katholikenrates im Bistum Speyer In der katholischen Kirche stehen in den nächsten Jahren viele strukturelle Veränderungen an.Wie haben die Gemeinden in der Diözese Speyer auf die Pläne reagiert? Mit der Ankündigung der verbindlichen Einführung des Konzeptes Gemeindepastoral 2015 wurden viele Christinnen und Christen wachgerüttelt,auch die,die bisher noch nicht selbst von Veränderungen betroffen waren. Die Analyse wird weitgehend für richtig angesehen,aber es wird sehr bedauert,dass nicht nach den Gründen für den Priestermangel und den Rückgang der Gläubigen gefragt wird.Müsste nicht ein solcher Plan zumindest in einer Präambel denWunsch nach veränderten Zugangsbedingungen für das Priesteramt ausdrücken? Die Gemeinden äußern vor allem Angst,weil sie von lieb gewonnenen Gewohnheiten Abschied nehmen müssen.Man sieht zwar die Notwendigkeit der Veränderung, denn bisher wurden den Pfarrern immer mehr Aufgaben zugeteilt,was sie überlastet und auf Dauer das kirchliche Leben sehr eingeschränkt hat.Nun wachsen aber die Sorgen,wie das Leben in der Ortsgemeinde weitergehen wird.Wird die Nähe der Kirche zu den Menschen noch erlebbar,wenn Pfarrer und Hauptamtliche weit entfernt wohnen? Erste Erfahrungen zeigen schon jetzt massive Einbrüche im Gottesdienstbesuch.Die Sorge, dass dieser Prozess sich weiter fortsetzt,treibt viele Menschen um:Werden die Ehrenamtlichen weiter überlastet und so in die Resignation getrieben? Bleiben diejenigen enttäuscht und frustriert auf der Strecke,die bisher kirchliches Leben mitgestalten? In diesem Zusammenhang gibt es auch die Sorge,dass die Umstrukturierung letztlich darauf zielt,ein priesterzentriertes Kirchenbild fortzuschreiben.Wenn den Menschen diese Sorge genommen und deutlich gemacht würde,dass in der Gemeindepastoral 2015 die Charismen und Talente jeder und jedes Getauften und Gefirmten erwünscht und willkommen sind,ließe sich sicherlich manche Skepsis zerstreuen. Positiv wird gesehen,dass die lange Zeit der Unklarheit,in welche Richtung die Diözese gehen wird,nun endlich vorbei ist.Ob die gewählte Richtung die richtige ist,wird sich freilich erweisen müssen.Aber immerhin:Die Energie und die Zeit,die bislang in oft fruchtlose Strukturdebatten geflossen sind,können jetzt für konkrete Gestaltungsaufgaben verwendet werden.Das könnte eine Chance sein. Wie ist es derzeit um die Mitwirkungsmöglichkeiten des Kirchenvolkes bestellt angesichts der überall stattfindenden Gemeindezusammenlegungen und pastoralen Umstrukturierungen sowie der massiven kirchlichen Sparmaßnahmen? Bei der Erstellung des Planes,also noch vor seiner Veröffentlichung, waren keine Laiengremien, auch keine in der Verbandsarbeit engagierten Menschen beteiligt.Spricht das

März 2010/1 Jesuiten 7 nicht für einen falschen Ansatz? Es kommt der Verdacht auf,dass dem Prozess ein hierarchisch geprägtes Kirchenverständnis zugrunde liegt. Mit der Vorstellung des Planes kam nun ein breiter Konsultationsprozess in Gang:Zunächst wurden die diözesanen Räte und Berufsgruppen informiert,seit Februar wird das Konzept allen Pfarrverbänden vorgestellt. Verabschiedet wird der Plan durch ein Diözesanes Forum,ehe es vom Bischof in Kraft gesetzt wird.In diesem Prozess kann eine Chance der Mitwirkung liegen,und zwar umso mehr,als das Konzept bislang noch wenig konkret ist und entsprechenden Raum für Ausgestaltung lässt. Jetzt kommt es darauf an,dass im weiteren Verfahren auch wirklich berücksichtigt wird, Baugerüst vor der St.Michaelskirche in München Foto: Koop

8 Jesuiten Schwerpunkt:Kirche wohin? was an Sorgen und Ängsten zum Ausdruck gebracht wird.Geschieht dies nicht,ist die Chance vertan.Bisher ist noch nicht eindeutig klar,dass die Ergebnisse des Konsultationsprozesses das Konzept verändern könnten. Worauf käme es Ihnen an? Gemeindliches Leben darf nicht auf die Großpfarrei reduziert werden.Auch konkret vor Ort muss christliches Leben mit allen Grunddiensten weitergehen.Denn Seelsorge geschieht durch persönliche Beziehungen, d.h.wenn die Menschen vor Ort durch die Höhen und Tiefen ihres Lebensweges begleitet werden.Nur wer mit den Menschen lebt, kann gemeinsam mit ihnen dieses Leben deuten und in der Liturgie vor Gott bringen. Bisher ist nicht ausreichend geklärt,wie sich das Miteinander von Pfarrern,Hauptamtlichen, Räten und örtlichen Ansprechpartner/innen gestaltet und wie die pastoralen Ansprechpersonen gefunden,befähigt und beauftragt werden. Im Speyerer Konzept Gemeindepastoral 2015 sind vier durchgängige Prinzipien genannt: Evangelisierung, Spiritualität, Anwaltschaft und Weltkirche. Uns ist es wichtig, dass als fünftes Prinzip die Ökumene dazukommt. Wenn wir überall da,wo es jetzt schon möglich ist,mit den evangelischen Gemeinden kooperieren,werden nicht nur Ressourcen gebündelt,sondern es tritt auch die christliche Botschaft klarer hervor. Welche Chancen sehen sie in den Umstrukturierungen? Wohin könnte es gehen? Welche Stärken der Kirche könnten neu in den Vordergrund treten? Im Augenblick nehmen wir eher die Sorgen und den Abschiedsschmerz als die Chancen wahr. Ob die angestrebten Veränderungen das kirchliche Leben neu intensivieren,hängt wesentlich von der Frage ab,wie die Berufungen und Begabungen der einzelnen Gläubigen – nicht nur der Priester und Hauptamtlichen – ernst genommen werden.Wenn es gelingt,dass alle sich in das Gemeindeleben einbringen, dann kann eine große Chance in den Umstrukturierungen liegen.Dann werden Laien mitwirken,dass Kirche vor Ort lebt. Bisher war es in der Regel so,dass in den Pfarreien oft mit viel Mühe nur wenige Menschen erreicht wurden.In der Großpfarrei könnten Menschen aus verschiedenen Milieus erreicht werden,d.h.in größeren Einheiten sind auch die Zielgruppen größer,und das kann von Vorteil sein für kirchliche Verbände und besondere Formen von Gottesdiensten. Unsere Hoffnung richtet sich auch darauf, dass eine zentrale gut besuchte Eucharistiefeier eine stärkere Anziehungskraft hat als ein nur ganz schwach besuchter Gottesdienst in einer kleinen Gemeinde.Durch eine Arbeitsteilung der Seelsorger/innen je nach Talent und Begabung können Menschen in ihrer jeweiligen Situation gezielter angesprochen werden. Das gilt auch für spirituelle Angebote,die in der Großpfarrei eher angenommen werden als in einer kleinen Gemeinde. Vergessen wir nicht:Die Mobilität von geistlich und kulturell interessierten Menschen hat zugenommen.Geistige Zentren können in Zukunft zu Räumen für spirituelle Angebote werden,in denen Glaube erfahrbar ist. ■ Das Gespräch führte Johann Spermann SJ

März 2010/1 Jesuiten 9 Schwerpunkt Zwischen Erfolg und Exil Petrus Canisius – ein Apostel der katholischen Reform Die Kirche steckt in der Krise,quasi im Belagerungszustand – das ist nicht neu.Dass sie an Glaubwürdigkeit, Bedeutung, Mitgliedern und Einfluss verliert,auch nicht.Paradebeispiel für diese Zeit ist die Reformation in Deutschland.Theologische und kirchliche Reformatoren und in deren Schlepptau religiös und politisch motivierte Landesfürsten veränderten alles.Danach war die Kirche nicht mehr das,was sie vorher war. Unsere Kirche konnte sich befreien,sich selber reformieren, sie hat neue Wege entdeckt. Die Geschichtswissenschaft nennt das die Zeit der „katholischen Reform“,wir denken an Universitäten,an den Barock,an die Blüte der katholischen Wissenschaften, aber auch an ein Erstarken der Zentralkirche,an bessere Ausbildung,an die Erfindung des Priesterseminars und an viele andere Dinge,die erst seit dieser Zeit unsere Kirche prägen. Kollegien und ein Katechismus Eine markante Figur der damaligen Zeit war der Jesuit Petrus Canisius.Als unermüdlich schreibend, denkend und reisender Apostel durchquert er Deutschland und versucht,dem Druck,den die Reformation auf die Kirche ausübt,etwas entgegen zu setzen.In Messina auf Sizilien war er 1548 an der Gründung der ersten Jesuitenschule beteiligt.Dieses Modell importierte er dann für die katholische Kirche nach Deutschland.Als erster Provinzialoberer entfaltete er ein rastloses Wirken, seine Briefe, Stellungnahmen (gefragt und ungefragt),seine Bitten um personelle Verstärkung aus Rom sind Legion.Er hatte sich der Sache der katholischen Reform angenommen und sorgte dafür,dass sie umgesetzt wurde.Im Laufe seines Lebens gelangen ihm 18 Gründungen von Kollegien: Dillingen, Ingolstadt, Köln, Landsberg, Landshut, München, Prag, Speyer, Straßburg,Trier,Wien,Würzburg,um nur einige zu nennen. Dabei setzte er immer auf das Machbare,nie auf den schnellen Erfolg.Das,was wir modern „Nachhaltigkeit“ nennen,war auch ihm schon ein wesentliches Anliegen.Er setzte auf solide Finanzierung und gute bauliche Grundlagen. Mindestens so wichtig wie diese Gründungen war seine schriftstellerischeTätigkeit. Sein Katechismus,der erste katholische seiner Art,war Muster für viele weitere.Er äußerte sich zu Fragen der Zeit, zu Wirtschaft und Kultur, zu Ökumene und Glauben. Und er war ein gesuchter Ratgeber und Berater von Politikern,Kirchenfürsten,Theologen. Bei Reichstagen war er ebenso dabei wie beim Konzil von Trient. Bei den letzten Versuchen, die Reformation durch Gespräche mit den Reformatoren noch in der Kirche zu behalten,war er präsent.Eben ein Held seiner Zeit. Mit den von Canisius in Deutschland eingeführten katholischen Kollegien – Schulen und Universitäten – schuf die Kirche aber gleichzeitig auch ein Instrument für die konfessionellen Auseinandersetzungen, für den Wettbewerb mit den Protestanten,für die Konfrontation.Eine ganze Generation von Fürsten und Bischöfen,die in der katholischen Reformbewegung eine Rolle spielen sollte,wurde durch die Kollegien geprägt und erzogen.Zum ZeitSchwerpunkt

10 Jesuiten Schwerpunkt:Kirche wohin? punkt des Todes von Canisius hatte der Jesuitenorden zudem quasi das Monopol bei der Priesterausbildung. Es läge also nahe zu fragen,was Canisius uns heute beibringen kann.Was hat er damals getan, was wir heute tun können? Was können wir von ihm lernen? Wie müssen wir in unserer Situation mit einer unsicheren Zukunft der Kirche heute umgehen? Canisius scheint ein guter weil erfolgreicher Ratgeber zu sein. Exil ist der Dank Wenn da nicht eine Nachgeschichte wäre. Denn die Erfolgsstory endet nicht im Erfolg. Sie endet im Exil.In den 1570er Jahren beginnt eine neue Generation von Theologen, eigene Theorien zu entwickeln. Streit entsteht.Der berühmteste Streit entwickelt sich um die Frage,ob es erlaubt sei,Zins zu nehmen,obwohl die Kirche dies immer schon verboten hatte.Die Jüngeren,unter ihnen Canisius’Nachfolger als Provinzial,Paul Hoffäus, waren für die Zulassung des Zinsnehmens,Canisius strikt dagegen.Er lehnte den „Wucher“ entschieden ab.Weil dieser Streit zu einer Spaltung unter den Jesuiten zu führen drohte und Provinzial Hoffäus in Canisius den Anstifter des Streites vermutete,beauftragte er diesen im November 1580 mit der Gründung des Jesuitenkollegs in Fribourg in der Schweiz.Er versetzte ihn also an den entferntesten Punkt der damaligen Jesuitenprovinz.1580 bis 1597 verbringt er in Fribourg,wörtlich jenseits der Berge,fern von Deutschland und fern von allem,was er sein Leben lang aufgebaut hatte. Und es passierte,was immer passiert:die Dinge ändern sich,entwickeln sich,und die Nachfolger machen die Dinge anders als die Vorgänger.Canisius saß in Fribourg,schrieb,überarbeitete seine Bücher und half bei der Errichtung des Kollegs.Aber aus dem reisefreudigen Alleskönner wurde jemand, der nie mehr die Stadt verließ. Und er schrieb einen Text, den er sein „Testament“ nannte, das aber nach heutigem Verständnis kein Rechtstext ist,sondern eher ein Lebenszeugnis,eine Art Autobiographie.Neben allem anderen fällt auf,dass er darin sehr betont,dass er sich nicht genug bemüht habe. Für das,was Gott von ihm gewollt habe,habe er sich nicht genug eingesetzt.Auch wenn das in den religiösen Büchern der Zeit nicht ungewöhnlich ist:jemand,der Zeit seines Lebens aktiv war,besonnen und überlegt,streut sich jetzt Asche auf sein Haupt. Canisius vor dem Kolleg St. Salvator in Augsburg

März 2010/1 Jesuiten 11 Natürlich war dort auch Gnade Gottes am Werk,natürlich ist er sich bewusst,dass menschlicher Stolz nicht angebracht ist und dass viele mitgearbeitet haben,nicht nur er. Aber er sieht auch,dass jetzt der Konflikt die Grundmelodie in der Auseinandersetzung mit der protestantischen Kirche ist,nicht mehr der Dialog,den er immer gesucht hatte.Die Kirche gab sich mit dem Status quo der Teilung zufrieden und die Grenzen wurden immer undurchlässiger.Und für den Deutschlandkenner Canisius muss es schwer gewesen sein zu sehen,wie immer mehr Kirchenpolitik aus Rom kam oder von Fürsten diktiert wurde, nicht mehr aus der Kirche im Land selber. Nach einem Leben im Rampenlicht war er abgeschoben.Er sieht,wie die nächste Generation alles anders macht als er,seine Grundzüge für Kollegsgründungen ändert – und kann nichts machen.Exil ist der Dank,nicht Erfolg.Wenn er jemals gehofft hatte,am Ende seiner Mühen die Ernte einfahren zu können, war er nun enttäuscht. Können wir also etwas lernen von Canisius? Vielleicht dies:Wer die Grundlagen für etwas Neues legt oder auch nur seinenTeil dazu beiträgt,dass etwas Neues entstehen kann,der muss damit rechnen,dass das nicht Zeit seines Lebens mit Erfolg und zufriedenem Rückblick belohnt wird.Erfolg ist nicht unbedingt ein Name Gottes. ■ Bernd Hagenkord SJ Jesuitenkollegien von Gabriel Bodenehr d.Ä.(v.o.n.u.): Amberg, Landsberg, Burghausen, München © SJ-Bild Materialien zu Petrus Canisius: www.inigomedien.org

12 Jesuiten Schwerpunkt:Kirche wohin? Schwerpunkt Weder kopflos noch verkopft Zur Priorität des intellektuellen Apostolates Als ich vor einigen Jahren das so genannte Intellektuelle Apostolat zur ersten Priorität unserer Ordensprovinz erklärte,erntete ich dafür nicht nur Beifall.Bedient dieser Begriff nicht genau dieVorurteile gegenüber unserem Orden,die wir Jesuiten mühsam abzubauen versuchen? Schon in dem Ideal der Exzellenz,das in vielen Schulsiegeln unseres Ordens aufscheint, sehen manche einen Anflug von intellektuellem Hochmut.Dabei geht es,was häufig übersehen wird,bei diesem ehrgeizigen Ziel nicht darum,intellektuelle Überflieger zu erziehen oder hervorragende Platzierungen in internationalen Rankings zu erzielen,sondern um eine gediegene Formung der gesamten Persönlichkeit im Dienst am Menschen. Die Qualität jesuitischer Ausbildung bemisst sich nicht an der Anzahl der Doktorhüte in einer Provinz,sondern daran,ob sie dazu befähigt,als „Diener der Sendung Christi... ihm darin zu helfen,wie er unsere Beziehungen zu Gott,zu den Mitmenschen und zur Schöpfung aufrichtet“.So jedenfalls hat es erst vor zwei Jahren die aus Vertretern aller Provinzen der Welt zusammengesetzte Generalkongregation ausgedrückt. Schon 2003 hatte der damalige Generalobere Pater Peter-Hans Kolvenbach das intellektuelle Apostolat als eines der wichtigsten und dringendsten universalen Anliegen ausgemacht,auf die die Gesellschaft Jesu großherzig reagieren müsse.Fünf Jahre später hat dann besagte Generalkongregation dieses Anliegen als eine der fünf globalen Prioritäten des Ordens bestätigt.Bei der abschließenden Papstaudienz für die Teilnehmer der Kongregation hob Benedikt XVI.dieses Ergebnis unserer Beratungen eigens hervor und erklärte,dass das intellektuelle Apostolat genau der spezifische Beitrag zur Evangelisierung sei, den die Kirche von uns Jesuiten erwarte.Da die Verfügbarkeit gegenüber Aufträgen des Heiligen Vaters ins Stammbuch unseres Ordens eingeschrieben ist,waren wir alle sehr froh zu hören,dass das Ergebnis unserer Beratungen sich mit den Erwartungen der Kirche an uns deckt. Nun zu meinen,dass diese Ausrichtung des Ordens bedeute,so viele Jesuiten wie möglich an Universitäten und Hochschulen forschen und unterrichten zu lassen,wäre ein Missverständnis.Das intellektuelle Apostolat ist nämlich weniger ein von anderen Aufgaben abgeFotos: Lang Abriss des Altbaus ...

März 2010/1 Jesuiten 13 grenztes Apostolatsfeld als vielmehr eine von uns bevorzugte Weise des Vorangehens, die in ganz verschiedenen Bereichen unseres Apostolates zum Einsatz kommen kann und soll. Ob in einer Kommunität unter Armen oder an einer Sozialakademie,ob in der Studentengemeinde oder im Gebetsapostolat – überall versuchen wir uns dem Anspruch zu stellen, uns mit intellektueller Redlichkeit mit den Schwierigkeiten auseinanderzusetzen, die Menschen unserer Zeit am Glauben und am Handeln aus dem Glauben hindern.Im Einsatz für Glauben und Gerechtigkeit,im Dialog mit Kulturen und Religionen – überall müssen wir uns zunächst einmal sachkundig machen und die Fragen unserer Zeitgenossen in ihrer Komplexität durchdringen. Wir leben in einer schnelllebigen Zeit,und wer würde schon behaupten wollen,er verstünde,was da eigentlich heute geschieht? Umwälzungen sozialer,wirtschaftlicher,aber auch weltanschaulicher und religiöser Art – all das verunsichert die Menschen,droht sie wurzel- und orientierungslos zu machen.Hier bedarf es Zeitgenossen mit Einsicht (intellectus),die innehalten,ruhig und nachdenklich werden und in der Lage sind, dieWelt neu zu vermessen. Zeitgemäße Glaubensvermittlung ist mehr als nur eine Frage der sprachlichen Vermittlung. Sie erfordert eine Auseinandersetzung mit den Ideologien und Pseudoplausibilitäten unserer Zeit,mit dem,wozu es scheinbar keine Alternativen gibt.Um vom Evangelium her unmenschliche und unchristliche Entwicklungen angehen zu können,braucht es Einsicht und Kompetenz.Eine instinktive Überzeugung motiviert,reicht aber nicht aus. Blinder Aktionismus noch weniger.Wir brauchen vielmehr Zeiten und Orte für das Nachdenken der Grundlagen des Lebens und des Glaubens.Es geht dabei weniger um das Finden von Antworten als um das Infragestellen scheinbar fragloser Wirklichkeiten.Vorausgesetzt,das intellektuelle Apostolat wird im Blick auf die konkreten Nöte der Menschen vor Ort und nicht im Elfenbeinturm betrieben,birgt es erhebliches Störpotential in sich - die Infragestellung der eigenen Lebensphilosophie und Lebenspraxis nicht ausgeschlossen! Zu meinen Aufgaben als Provinzial gehört es, die Institutionen des Ordens daraufhin zu prüfen,wie nahe sie an den Fragen und Problemen unserer Zeit sind.Schon immer hat der Orden vor der Notwendigkeit gestanden,sich von überkommenen Werken und Aufgaben zu verabschieden,um sich neuen,dringenderen Herausforderungen stellen zu können. Weder kopflos noch verkopft sollen Jesuiten und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter handeln.Verstand und Herz müssen miteinander im Kontakt sein.So werden wir selbst verändert und können wir die Welt verändern. Gebe Gott,dass uns das geschenkt werde! ■ Stefan Dartmann SJ ...Neubau der Hochschule für Philosophie in München

14 Jesuiten Schwerpunkt:Kirche wohin? Schwerpunkt Offene Kirche als Auftrag Citypastoral in Nürnberg Nürnberg,St.Klara.Kurz bevor ich gegen 22.00 Uhr die Kirche abschließe,setze ich mich selbst noch einmal hin und genieße die Stille.Ein letzter Blick fällt auf die Kerzen,die in den letzten Stunden angezündet wurden. Etwa 200 sind es pro Tag. Und es sind nicht nur die traditionellen Katholiken,die hier ihrer Hoffnung auf Segen Ausdruck verleihen, sondern auch viele Menschen,die nicht mehr wissen,wie sie beten sollen,aber eine Ahnung davon hier erleben. St.Klara nennt sich „Offene Kirche“,und damit ist ein hoher Anspruch verbunden,der immer wieder neu eingelöst werden muss. Das heißt,dass diese Kirche keine geschlossene Gesellschaft werden darf und dass wir immer wieder versuchen müssen,neue Zugänge zur Kirche zu erschließen.Neben den ganz normalen täglichen Gottesdiensten gibt es am Wochenende Messen mit besonderen – oft musikalischen – Akzenten. Einen besonderen Platz nimmt in St.Klara die Trauerarbeit ein,die unser Pastoralreferent Jürgen Kaufmann aufgebaut hat.Mit „Herzenskinder“-Andachten für verwaiste Eltern, Scherbengottesdiensten für Menschen,deren Beziehung gescheitert ist,Trauerkreisen und Gottesdiensten für Leute, die denVerlust eines geliebten Menschen betrauern,ist Raum dafür gegeben, auch Trauer,Verlust und Scheitern vor Gott zu tragen.Wenn man in irgendeiner Kirche von denen spricht,die nur ein Mal im Jahr kommen,denkt man in der Regel an die Christmettenbesucher.Bei uns teilt sich das etwas mehr auf:Es gibt Leute,die nur zum Segnungsgottesdienst für Mensch und Tier kommen.Andere fühlen sich besonders angesprochen von den Lebensfeiern für Menschen um die 30, 40,50 oder 60.Valentinsfeiern für Liebende,Andachten für Vergessene und Predigtveranstaltungen mit Titeln wie „Wie ist das Klima in der Hölle? Und wie reserviere ich ein Zimmer?“ versuchen den Bedürfnissen nach Zuspruch,Segen,Gedenken und Glaubenswissen nachzukommen.Darüber hinaus gibt es kulturelle Veranstaltungen:Konzerte, Theater und Kabarett. Gerade die letztgenannten Veranstaltungen lassen immer wieder die Frage entstehen,ob wir nicht einfach auf die EventSchiene aufspringen und aus einer Kirche eine bloße Konzertund Veranstaltungshalle machen.Hier zeigt sich,welche Balance einer Offenen Kirche gelingen muss: Sie muss der Seele heiligen Boden bereiten, Gottesdienst in St.Klara in Nürnberg

März 2010/1 Jesuiten 15 also einen Ort,an dem man ausruhen darf,wo die menschliche Sehnsucht auf etwas trifft,das nicht vermarktbar,nicht verfügbar ist.Auf der anderen Seite muss aber dieser Raum auch von Menschen in Besitz genommen werden dürfen,als Ort der Feier und der Begegnung, als Zuhause.In der zweimal im Monat stattfindenden Kinderkirche wird das besonders deutlich:Natürlich ist der Kirchenraum etwas Besonderes,und doch muss er von den Kinder in Besitz genommen werden,damit klar wird „Ihr seid hier zu Hause,diese Kirche gehört euch“. Offene Kirche sein heißt,einen Raum zu schaffen für die Sehnsucht verschiedenster Menschen nach „mehr“. Einerseits bildet sich dabei zwar eine Gemeinschaft, die Ähnlichkeit mit einer Gemeinde hat,andererseits ist es aber nicht unbedingt das Ziel einer Offenen Kirche,Menschen in einer Zugehörigkeit zu ihr zu binden,sondern Zugänge zu ermöglichen,die oft nur zu einer ersten Kontaktaufnahme führen,die dann an anderen Orten weitergeführt wird.So gibt es Menschen,die St.Klara ihr Zuhause nennen, und andere,die gerne kommen,aber St.Klara eher als eine Hilfe auf der Suche nach einem Zuhause empfinden. Herausforderung für die Zukunft wird sein, die Suche nach Zugängen zu erweitern.Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass in einer Stadt verschiedene Welten nebeneinander existieren, die wir zum Teil nicht kennen, und in denen Menschen mit ganz unterschiedlichen Fragen und Nöten leben.Die Konsequenz ist,dass wir nur einen begrenzten Ausschnitt der Gesellschaft ansprechen können. Wie jedoch lernen wir Menschen kennen,die auf Ansprache warten, deren Welt wir aber nicht kennen? Wo sind da die Aufgaben und Möglichkeiten einer Offenen Kirche? Und wo sind ihre Grenzen? Die soziale Schichtung bei uns ist verhältnismäßig homogen.Wie gehen wir mit diesem Phänomen um? Offene Kirche zu sein,ist kein Zustand,sondern ein Auftrag,der immer wieder neu angenommen werden muss.Vielleicht ist das Versprechen,dem wir uns verpflichtet wissen müssen,dass aus dem „Offen“ keine Attitüde wird,sondern ein ständiges Mühen um das Verstehen von Menschen,die uns jetzt noch fremd sind. Gerade die Tatsache, dass es ganz unterschiedliche Menschen gibt,die sich St. Klara zugehörig fühlen,eröffnet die Chance, dass wir immer offener werden können. ■ Ansgar Wiedenhaus SJ Foto: Meyer

16 Jesuiten Schwerpunkt:Kirche wohin? Schwerpunkt Weltjugendtage und mehr Als im August 2005 der Weltjugendtag in Köln zu Ende ging,war das Image der Katholischen Kirche unter Jugendlichen in Deutschland so gut wie lange nicht mehr.Es war nicht mehr peinlich für Jugendliche,mit der katholischen Kirche gesehen zu werden. Durch den Weltjugendtag konnten junge Menschen nicht nur ihrer Kirche anders begegnen.Sie konnten in dieser Kirche auch Freundschaften vertiefen und neue Beziehungen knüpfen.Wie bedeutsam es für Jugendliche ist,mit Gleichaltrigen in Beziehung zu treten (und zu bleiben),zeigt der Erfolg von Online-Angeboten wie Facebook und StudiVZ.Sie werden von vielen Jugendlichen auch zur Aufrechterhaltung ihrer Weltjugendtagskontakte und zum weiteren Austausch von Bildern und Erinnerungen genutzt. Jesuiten und das Netzwerk [ignatianisch] Im Blick auf denWeltjugendtag in Köln hat die deutsche Jesuitenprovinz einen eigenen,ignatianischen Akzent gesetzt: Unter dem Titel [‘magis] wurde eine besondere Form von Gemeinschaftsexerzitien entwickelt:das so genannte „ignatianische Experiment“:15 bis 25 junge Teilnehmer aus verschiedenen Kulturen und Nationen unternehmen ein mehrtägiges Projekt,bei dem sie eng zusammenleben und zusammenarbeiten:z.B.als Pilger,als Gäste in einem Behindertenzentrum oder einer Moschee,als Schauspieler auf einem Dorfplatz,als Musiker,Handwerker oder auch Entertainer in einem Kinderheim.Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.Am Abend jedes Tages treffen sich die Teilnehmer in kleinen Gruppen und üben gemeinsam das „Gebet der liebenden Aufmerksamkeit“, den ignatianischen Tagesrückblick.Wenn – wie im Vorfeld der Weltjugendtage – mehrere solcher „Experimentgruppen“ unterwegs sind,treffen sich alle am letzten Tag, präsentieren einander, was sie erlebt haben,und reisen dann gemeinsam weiter zum Weltjugendtag. Dort können sie ihre begonnene Weggefährtenschaft unter veränderten Vorzeichen fortführen. Bei [‘magis] 2005 vor dem Weltjugendtag in Köln haben ca. 2.500 Personen an insgesamt 84 Experimenten teilgenommen.Aus ihren Rückmeldungen wurde deutlich,dass sie die Zeit in ihrer Experimentgruppe deutlich intensiver und geistlicher erlebt hatten als den Weltjugendtag selbst. Insbesondere die Beziehungen untereinander hatten eine andere Qualität.Angesichts dieser Erfahrungen lag es nahe,derartige Experimente künftig auch unabhängig von Weltjugendtagen anzubieten.Das Netzwerk [ignatianisch] wurde gegründet und Kooperationen auf nationaler und internationaler Ebene wurden vereinbart.Tatsächlich finden seit 2005 jedes Jahr [‘magis]-Experimente im In- und Ausland statt.Im Sommer 2010 laden die ungarischen Partner zu Experimenten ein,und schon jetzt arbeiten Portugiesen und Spanier fieberhaft an [‘magis] 2011, dem ignatianischen Vorprogramm für den Weltjugendtag in Madrid. Informationen und Anmeldeunterlagen gibt es unter <www.ignatianisch.de>. ■ Ludger Joos SJ Freundschaftsbändchen mit dem [‘magis]-Logo © [‘magis]

März 2010/1 Jesuiten 17 Schwerpunkt Gesandt zu allen Menschen Gemeinschaft in der Kirche erlebte ich auf meinem Lebensweg immer als Geschenk. Zunächst kann ich das für meine Heimatgemeinde im Schatten des Kölner Domes sagen, später für meine Zeit als Leiterin einer Basisgemeinde in Peru.Dabei erlebte ich Kirche als „das pilgernde Volk Gottes“ wie sie das II. Vatikanische Konzil nennt.Im Mitgehen ist meine Liebe zur katholischen Kirche gewachsen.Sie ist für mich zur Heimat geworden. Nun lebe ich seit 18 Jahren in einem Stadtteil in Ost-Berlin.Mehr als 90% der Menschen mit denen ich auf dem Weg bin, sind „religiös indifferent“.Sie stellen weder die Frage nach Gott noch nach der Kirche.Sie sind verwundert,wenn sie hören,dass es diese Organisation immer noch gibt und erinnern sich vorwiegend an die dunklen Kapitel der Kirchengeschichte.Als Mitglied einer missionarischen Ordensgemeinschaft – der Missionsärztlichen Schwestern – stelle ich mich zusammen mit meinen Mitschwestern dieser Herausforderung,indem wir uns fragen,wie wir die heilende Liebe unseres Gottes den Menschen hier vor Ort verkünden können. Einige Orte und Früchte dieses Ringens lassen sich nennen: • Unsere Lebensberatungsstelle in einem der Plattenbauten ist zu einem Anlaufpunkt geworden, wo vor allem Frauen Antwort suchen auf die Frage nach dem Sinn ihres Lebens.Durch unser Dasein inmitten einer Gesellschaft,die durch einen tief greifenden Wandel gezeichnet ist,gehen wir unsere kleinen,konkreten Schritte an der Seite der Menschen,auch wenn sie oft mühsam sind. • Sehr wichtige Begegnungen habe ich bei den Einsätzen der Notfallseelsorge gemacht.Es waren immer Menschen,die keinen Bezug zur Religion haben,aber in einer großen Erfahrung von Leid zum Strohhalm „Notfallseelsorge“ greifen.Auch wenn ich als Christin keine Antwort auf die Fragen nach dem „Warum“ geben kann,so ist das Dasein an der Seite der Menschen in Not ein wichtiges Zeugnis. •Ein weiteres wichtiges Zeugnis ist unser Leben als kleine offene,geistliche Gemeinschaft inmitten dieser Realität.Offene Gebetszeiten sind für einige Menschen zu einer wichtigen Lebensquelle geworden. Es sind die kleinen Schritte der Solidarität,des Verstehenwollens, der Versöhnungsbereitschaft und einer ausharrenden Treue und Gelassenheit,die in den vergangenen Jahren mein Kirchenbild veränderten.Die reale Lebenswelt der Menschen in unserem Stadtteil ist „unendlich“ weit entfernt von dem Leben der Kirchengemeinden.So erlebe ich mich oft am Rand unserer Kirche.Von diesem Blickwinkel her muss ich sagen:Moralische Appelle, Gebote und Verbote spielen in der Kirche in den letzten Jahren eine zu große Rolle.Aber wer hört noch darauf? Institutionelle Grenzen überschreiten Die Geschichte der Kirche ist voll von Menschen,die sich leidenschaftlich und kreativ in die Unheilssituation ihrer Zeit und Gesellschaft einmischten.Warum spüren wir heute so wenig davon? Die Menschen brauchen das Leuchten der Christen.Das Konzilsdekret über die Missi-

18 Jesuiten Schwerpunkt:Kirche wohin? onstätigkeit der Kirche „Ad gentes“ sagt:„Die pilgernde Kirche ist ihrem Wesen nach missionarisch (d.h.als Gesandte unterwegs),da sie selbst ihren Ursprung aus der Sendung des Sohnes und der Sendung des Heiligen Geistes herleitet gemäß dem Plan Gottes des Vaters.“ Bei derVerwirklichung der Sendung steht sich die verfasste Kirche oft selbst im Weg. Es fällt nicht leicht,die eigenen institutionellen Grenzen zu überschreiten.Aber ich lebe in einer Realität,in der 99 Schafe verloren durch die Welt irren und das einzige, das übrig bleibt, die Hirten mit Sorgen und Jammern überhäuft.Ich lehne allerdings das Bild der „kleinen Herde“ ab,das sich mit dem einen Schaf begnügt.Ich bin überzeugt,dass viele Menschen ernsthaft nach dem Sinn des Lebens suchen,aber ihre Suche führt sie selten zur Kirche.Diesem Problem müssen wir uns stellen. So sei die Frage erlaubt:Wo und wie erleben die „Fernstehenden“,wenn sie mit Christen und Christinnen in Kontakt kommen,was es bedeutet,sich auf die Botschaft des Jesus von Nazareth eingelassen zu haben? Wo in unserem persönlichen und gesellschaftlichen Alltag geben wir Zeugnis von der größeren Liebe und Hoffnung,die wir in den Urkunden des Glaubens überliefert bekommen haben? Missionarische Kirche Die gegenwärtige Stimmungslage und die lähmende Überbeschäftigung mit den Strukturen und der Innenarchitektur des Systems sind keine Einladung.Umso mehr können aber die vielen freiwilligen und ehrenamtlich engagierten Christen und Christinnen Schubimpulse für die Zukunft geben.Wir sind als Volk Gottes gemeinsam gerufen, eine missionarische Kirche zu sein! Was wir bieten: Eine großartige Botschaft für die Zukunft der Menschen: ein Leben, das aus der Verheißung Jesu auf „Leben in Fülle“ vertraut. Christliche Identität erfüllt sich nur im Rückgriff auf Jesus Christus: aus seinem Weg, seinen Zeichen und seinen Worten. Der Kern seines Zeugnisses ist die Reich-Gottes-Botschaft.Wir werden als Kirche nur dann glaubhaft,wenn wir in Solidarität mit den Menschen in Not und Armut nach Antworten auf die Existenzfragen der Menschen suchen.Dies geht nur, wenn wir konkret mit ihnen auf demWeg sind. Natürlich können wir den missionarischen Auftrag nicht alle gleichermaßen wahrnehmen.Es gibt in unserer Mitte unterschiedliche Ämter und Charismen – aber alle Getauften sind Gesandte Jesu Christi.Grundvoraussetzung ist eine missionarische Spiritualität,aus der heraus wir Zeugnis dafür ablegen,dass Gott für alle Menschen vorbehaltlos da ist.So verkünden wir Jesus Christus lebensnah und mit ihm seine heilende und rettende Botschaft.In ihm erkennen wir die Barmherzigkeit Gottes. In der Spiritualität unserer Gemeinschaft nimmt das Gleichnis vom „barmherzigen Samariter“ einen zentralen Platz ein.Da stellt ein Schriftgelehrter eine Frage an Jesus,der seine Erfahrungen und seine Bilder von Gott, der Welt und den Mitmenschen und von sich selber hat.Er erwartet eine Bestätigung durch Jesus.Und Jesus antwortet mit der Geschichte vom barmherzigen Samariter und will zeigen, dass Glaube ein Lernweg ist.„Geh und handle genau so“ wie dieser Samariter.Geh,bewege dich,verändere dich,suche die Begegnungen mit den Mitmenschen und lerne daraus. Das versuchen wir täglich … ■ Sr. Michaela Bank, MMS

März 2010/1 Jesuiten 19 Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden © KNA-Bild

20 Jesuiten Schwerpunkt:Kirche wohin? Schwerpunkt Der Traum von der besseren Welt Manchmal träume ich von einer besserenWelt. Der Reiseschriftsteller Ryszard Kapuscinski hat seine Reportagen aus allen Teilen der Welt einmal zusammengefasst unter demTitel „Die Erde ist ein gewalttätiges Paradies“.Ja,die Erde könnte ein Paradies sein ohne die Gewalt,die Menschen einander antun.Ausgrenzung,Unterdrückung und Ausbeutung führen dazu,dass rund eine Milliarde Menschen mit weniger als einem Dollar amTag auskommen müssen,dass alle 3,6 Sekunden ein Mensch verhungert,dass Millionen von Menschen ausgeschlossen sind von ärztlicher Versorgung, von Schulbildung, und die Aufzählung ließe sich noch lange fortführen… Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, verhält sich also unmenschlich,das wusste bereits in der Antike der römische Komödiendichter Plautus.Das Evangelium, die frohe Botschaft,setzt hier andere Zeichen.Es ermuntert die Menschen, sich einzusetzen für ein Mehr an Menschlichkeit, ein Mehr an Gerechtigkeit,ein Mehr an Glaube, der zu Taten führt.Wenn Kirche diesem Auftrag stärker nachkommen würde,wenn das verbindende Band der Weltkirche engmaschiger wäre,könnte eine positive,bereichernde und menschliche Globalisierung möglich sein.In diesem Traum von einer besseren Welt, in der die Weltkirche als eine „Gebets-, Lern-, und Solidargemeinschaft“ eine aktive Rolle spielt, tauchen Erfahrungen auf,die ich auf Reisen mit der Jesuitenmission machen konnte. Kolumbien Josè und Gabriel aus dem kleinen Dorf Santa Rosario an der Grenze zu Kolumbien fragen mich,wie mir das Kaffeeernten gefällt.Ich bin erschöpft nach dem bisschen Mithelfen,und sie machen sich zu recht lustig über meine Schwielen an den Händen.„Du musst das nicht machen,wir machen das gerne“ sagen sie und klopfen mir auf die Schulter.„Kaffee ist unser Leben.Du kannst davon berichten und allen erzählen,dass sie uns exportieren lassen sollen,dass sie uns einen fairen Preis zahlen.Erzähl davon bei Dir zu Hause.Wir machen unsere Arbeit – Du machst Deine“.Erst später erfahre ich,dass ihnen eine Gemengelage aus Subventionspolitik europäischer Staaten,Börsenspekulationen und unfairer Zollpolitik die Ausfuhr von Kaffee unmöglich macht und die Pflege von Kaffeebohnen in Kolumbien Foto: Grillmeyer

März 2010/1 Jesuiten 21 Existenzgrundlage gefährdet.Jean-Paul Sartre hat es treffend formuliert:„Um die Menschen zu lieben, muss man sehr stark hassen,was sie unterdrückt.“ Sambia Priva lächelt über meine Fragen,als ich von einem Familienaufenthalt in einem Slumviertel von Mazabuka in die Hauptstadt Lusaka zurückkehre.„Warum willst Du immer alles gleich verstehen? Das Lernen voneinander braucht Zeit.Du bist ja kein Tourist“,meint er verschmitzt,„und auch kein Businessman.Freundschaft braucht Zeit,um zu wachsen.“ Vor allem aber braucht es auch Zeit,so meine persönliche Erfahrung,bis wir wirklich bereit sind,gleichberechtigt voneinander zu lernen und dabeiVorurteile und Stereotypen zu überwinden. Indien Jajaseelan in dem kleinen Dorf bei Sattur inTamil Nadu kommt selten in die Stadt.Aber seit wir uns kennen,schickt er mir dann immer eine mail aus dem örtlichen Internetcafe.„Auch in schwerer Zeit“,so schreibt er während der langen Krankheit meiner Schwester,„sind wir eine Gemeinschaft.In unseren Gebeten und Gottesdiensten denken wir an Euch.In unseren Gebeten sind wir bei Dir.Wir sind doch eine menschliche Familie!“ Es ist ein holpriges, pathetisches Englisch,aber der Inhalt hat mich mitgetragen über diese Zeit und trägt mich bis heute. Es war eine Gnade, dass ich Weltkirche wirklich als „Gebets-,Lern-,und Solidargemeinschaft“ kennenlernen durfte und nicht nur als treffliche Beschreibung einer Vision (aus den Dokumenten seit dem ZweitenVaticanum bis zu den jüngeren Schreiben der Deutschen Bischofskonferenz).Voller Leidenschaft sollten wir uns gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit einsetzen,voller Dankbarkeit weltweit voneinander lernen und voller Dankbarkeit um eine tragende Gemeinschaft wissen.Vielleicht kann derTraum dochWirklichkeit werden und der Satz von Dom Helder Camara bewahrheitet sich:„Wenn Du allein träumst, bleibt es nur einTraum.Wenn viele gemeinsam träumen, ist es der Beginn einer neuen Wirklichkeit“. ■ Siegfried Grillmeyer Kinder auf einer Müllhalde in den Slums von Sambia Foto: Grillmeyer

22 Jesuiten Geistlicher Impuls Geistlicher Impuls Woran orientiere ich mich in der Krise? Immer wieder gab und gibt es schwierige Momente,heftige Phasen,in denen vieles ins Wanken gerät:im persönlichen Bereich,in Erziehung,Wirtschaft,Politik,auch in der Kirche.Bleiben wir bei der Kirche,der dieses Heft gewidmet ist:Ob die frühen Christenverfolgungen (in einigen Ländern geschehen sie auch heute!), ob dieVerflachung des Glaubens in Zeiten eines Staats- oder Milieuchristentums,ob manche Finsternis im Mittelalter, ob die Zustände,die zur Reformation und zu notwendigen Reformen führten,oder die vielen Spaltungen im Laufe der Kirchengeschichte – das alles hatte immer einen Charakter von Krise.In manchen kirchlichen Gremien und Gesprächen zum pastoralen Handeln heute scheint es fast als wäre die Krise in unseren Breiten das Thema Nummer Eins.Das Grundgefühl ist nicht gerade hoffnungsvoll. Aber was ist unser Problem in der Kirche heute? Priestermangel,Gläubigenmangel,Mangel an Glaubenssubstanz? Manche sehen das Grundübel im Zustand unserer Gesellschaft. Manche konzentrieren sich auf Strukturen und notwendige,wenngleich schmerzliche Strukturveränderungen,inklusive Einsparungen. Oder liegt alles an der Vermittlung des Glaubens,die nicht greift,weil wir nicht die rechte Sprache sprechen oder falsche Themen haben und damit Menschen verfehlen? Oder ganz leicht erklärt:Weil der Papst dies oder jenes gesagt oder getan hat – oder unsere Bischöfe,weil sie nicht so sind wie manche sie gern hätten.Oder die alten kirchlichen Dauerbrennerthemen – wenn die gelöst wären, dann … Möglicherweise liegt ein Problem darin,dass wir „gern“ oder zumindest recht lange auf Probleme schauen. Die kritische Analyse scheint unserer Kultur als eine „heftige Stärke“ gegeben.Die Attraktivität des negativen Blicks,der die Löcher schneller sieht als den Käse drumrum,kann leicht Kräfte einziehen, die wir dringend für den persönlichen und gemeinsamen Weg bräuchten, der weiter führt.Wir wollen uns ja gegenseitig am Ende nicht die Krisenfalten anmerken,wenn wir uns in die Augen schauen, sondern immer mehr unser Gottvertrauen,das Frohe am Leben, am Wort und Wirken der Christen. Krise hängt mit dem Griechischen „krinein“ zusammen,was „unterscheiden“ heißt.Ignatius spricht von der Unterscheidung und gibt den Rat,sich entschlossen in die Richtung zu bewegen,wo die inneren Regungen auf mehr Zuversicht,mehr Freiheit,mehr Glauben, Hoffen und Lieben verweisen.Eine Krise bedeutet Erschütterung.Das gilt es ernst zu nehmen und nicht abzutun.Aber die Richtung unserer Antworten darf nicht eng mit Blickrichtung auf die Krise geschehen,sondern in die Richtung, wo sich mehr Trost, Leben,auch Glaubensleben zeigt. Für alles,was im Leben von Christen wichtig und wesentlich ist,wird immer Christus Maßstab und Orientierungspunkt sein,auch im Verhalten in Krisen und aus ihnen heraus.Bei Jesus Christus lässt sich eine zweifache Ausrichtung entdecken:Einerseits ist er mit seiner

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