Jesuiten 2021-3

Jesuiten Zukunftslabore des Zusammenlebens 2021-3

Diese Druckerzeugnis wurde klimaneutral hergestellt, d.h. die mit der Produktion quantifizierten CO2-Emissionen werden durch Klimaschutzzertifikate kompensiert. Jesuiten 2021-3 1 Editorial Schwerpunkt 2 Schokoladen-Häuser, Schwimmbäder und Chill-Zonen 4 Die sozial-ökologische Transformation beginnt bei uns selbst 6 Ziel: Menschenwürdiges Leben innerhalb planetarer Grenzen 8 Gemeinsam leben – gemeinsam entscheiden 10 Menschen ein Zuhause geben 12 Erneuertes Zusammenleben in Wuppertal 15 Das „Drumherum“ für die innere Transformation 17 Blick in die Werkstatt 18 Auf gute Nachbarschaft 20 Nachhaltig bauen – eine positive Antwort geben 21 Die Kuh gegen eine Ziege tauschen Geistlicher Impuls 22 Prophetisch leben Was macht eigentlich? 24 Ludger Joos SJ Nachrichten 26 Neues aus dem Jesuitenorden Personalien 30 Jubilare 30 Verstorbene Medien/Buch 31 Fabian Moos SJ: Der Zukunft eine Zukunft geben. Vorgestellt 32 Safeguarding: Sensibel sein und werden 34 Die besondere Bitte Standorte der Jesuiten in Zentraleuropa Titelbild © fotografixx iStock.com Wie wollen wir eigentlich zusammenleben ... als einzelne Menschen mit anderen, als Familie, als generationsübergreifende Gruppe? Die Bilder in diesem Heft zeigen, wie Menschen mit dieser Frage umgehen. Da sind Erwachsene, die neue Formen ausprobieren und das Dach einer Industrieanlage zum Garten machen. Oder die Wand zur vertikalen Oase. Und da sind Kinder, die sich im Sommer während einer Ferienwoche im Heinrich Pesch Haus in Ludwigshafen mit ihren Wohnträumen der Zukunft beschäftigt haben. Das Ergebnis waren mehr als bunte Bilder – sondern ganz konkrete Konzepte. Oder wie es ein Junge formuliert hat: „So finde ich das gut. Ziehst du auch mit ein?“ Stefan Weigand

EDITORIAL 1 „Glaube und Gerechtigkeit!“ Liebe Leserinnen und Leser, diese Leitlinie aus Dekret vier der 32. Generalkongregation von 1974/75 macht deutlich, dass es uns Jesuiten in der Nachfolge Jesu immer um den ganzen Menschen geht: um Seele und Leib. Um ein Leben in Würde im Jetzt ebenso wie um das ewige Seelenheil. Um die einzelne Person und um gesellschaftliche Strukturen, die ein Leben in Würde ermöglichen. Wir tun das in praktischen Projekten wie durch die Reflexion der Grundlagen einer humanen Gesellschaft: So hat sich P. Rupert Mayer SJ zwischen den Weltkriegen in München in der Männerseelsorge eingesetzt für die Heerscharen alleinstehender Männer, oft an Leib und Seele versehrt. P. Delp dachte mitten im Untergang mit Gleichgesinnten aller konfessionellen und politischen Lager nach über die Grundlagen einer gerechten Gesellschaftsordnung nach dem Zusammenbruch der Diktatur. P. Nell-Breuning etablierte in der jungen BRD eine Tradition sozialethischer Reflexion neu, die bis heute wichtige Akzente im politischen Diskurs setzt. In der DDR setzten sich Jesuiten für die Bewahrung spiritueller Zugänge mitten im herrschenden Materialismus ein. Mit Jesuiten-Flüchtlingsdienst und Missionsprokur setzen wir deutliche Zeichen, dass wir Christen unter dem Anspruch stehen, uns für Glaube und Gerechtigkeit in einem globalen Kontext einzusetzen. Heute verändern technische Innovationen und globale Vernetzung die Lebensbedingungen immer rasanter. Die Natur macht uns deutlich, dass wir uns den gewohnten Raubbau an den natürlichen Ressourcen nicht mehr leisten können. Gleichzeitig müssen wir mehr Menschen Teilhabe an besseren Lebensbedingungen und Wohlstand ermöglichen. Viele Menschen erleben diese Herausforderungen als bedrohlich. Wir denken, wir brauchen Orte, an denen wir uns neu verständigen und aufeinander einstellen können. Und wir wollen Ihnen solche „Zukunftslabore“ vorstellen, Pro- jekte auch des Ordens, wo wir versuchen, unser Zusammenleben als Menschen und mit der Natur neu zu justieren. Wir wollen dadurch Ihre Neugier und Ihren Optimismus wecken: Gemeinsam können wir diese Herausforderungen meistern und sogar Freude daran finden, uns auf neue Perspektiven einzulassen, z.B. auf Städte, die wieder mehr den Menschen gehören und weniger dem Profit und den Autos. Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen! Fabian Retschke SJ Fabian Moos SJ Tobias Zimmermann SJ

SCHWERPUNKT 2 Schokoladen-Häuser, Schwimmbäder und Chill-Zonen Wie möchtet ihr wohnen? Wie soll eure Umgebung aussehen und was ist euch wichtig? – Über diese Fragen haben Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren bei einer Zukunftswerkstatt im Ludwigshafener Heinrich Pesch Haus (HPH) nachgedacht – und erstaunliche Antworten gegeben. „Ihre Ideen werden in die Planungen für die Heinrich-Pesch-Siedlung einfließen, die in direkter Nachbarschaft zum HPH entsteht. Denn auch die Meinung von Kindern ist wichtig ”, sagt Jana Sand, die Leiterin der Familienbildung im HPH. Ich möchte am Rande des Waldes leben und nicht in der Stadt, da ist es immer so laut. Natalia, 9 Jahre Ich wünsche mir einen Spielplatz mit 30 Karussells, einem Klettergerüst und einer Achterbahn. Moritz, 6 Jahre

SCHWERPUNKT 3 Mein Haus soll aus weißer Schokolade und ganz vielen Keksen sein. Die Straßen sollen aus brauner Schokolade und die Gehwege aus Marzipan sein. Emily, 6 Jahre In meiner Siedlung sollen Tiere leben und die Autos sollen gesund für die Umwelt sein. Ahmet, 7 Jahre Jedes Kind sollte ein eigenes Zimmer haben, denn jedes Kind braucht Privatsphäre. Dazu braucht man große Wohnungen, die aber bezahlbar sein müssen. Lea, 10 Jahre Ich wünsche mir mehrere Schwimmbäder, ein Jugendzentrum, Plätze zum Chillen für Jugendliche und Spielplätze mit Angeboten für kleine und ältere Kinder. So kann Streit vermieden werden. Anna, 10 Jahre Mir ist wichtig, dass man sich von den Nachbarn nicht abschließt, sondern dass man ein Gemeinschaftsding hat, einen gemeinsamen Garten zum Beispiel, um den sich alle kümmern. Und man sollte respektvoll miteinander umgehen. Sue, 10 Jahre

SCHWERPUNKT 4 Die sozial-ökologische Transformation beginnt bei uns selbst Mit der sozial-ökologischen Transformation verbinden viele vor allem Einschränkungen und Verzicht. Doch sie eröffnet neue Freiräume für die persönliche Entwicklung und ein gelingendes Miteinander. Ich liebe es, Fahrrad zu fahren. Jedes Mal, wenn ich auf meiner Trainingsrunde in den ersten Waldweg einbiege, freue ich mich. Die Luft ist klarer und angenehmer als in der Stadt, ich fühle mich sofort freier im Kopf, die Tour durch den Wald ist Entspannung und Erholung. Auch wenn es oft nur ein flüchtiges Gefühl ist, über das ich nicht weiter nachdenke: Es tut gut, in der Natur zu sein. Zu schützen und zu stärken, was uns guttut – das ist die Grundidee der sozial-ökologischen Transformation. Es geht um Wirtschafts-, Gesellschafts- und Lebenskonzepte, die keinen Raubbau an Umwelt und Mensch betreiben, die nicht zerstören und ausbeuten, sondern sorgsam mit der Natur umgehen und gleichzeitig Raum schaffen für soziale Beziehungen und die Entfaltung des Menschen. In der Debatte um den Klimawandel erlebe ich oft Abwehrreaktionen, deren Wurzel eigentlich Verlustängste sind: Wir müssen uns einschränken, wir sollen auf liebgewordene Dinge verzichten. Das schlechte Gewissen wird zum ständigen Begleiter, wenn wir ins Flugzeug steigen oder Fleisch essen oder ein neues Auto kaufen. Mit unseren Gedanken und Gefühlen kreisen wir um Beschränkungen, die uns drohen. Wir haben Angst, etwas zu verlieren. Und das blockiert einen offenen und positiven Blick auf die sozial-ökologische Transformation. Zwei Erfahrungen helfen mir, aus dieser Bedrohungs- und Verlustschleife herauszukommen. Ich habe zwölf Jahre in Venezuela gelebt und als Direktor unseres Hilfswerkes Jesuitenweltweit besuche ich regelmäßig Länder und Projekte im globalen Süden. Dort erlebe ich immer wieder, dass Menschen mit sehr viel weniger Konsumgütern auskommen als bei uns und trotzdem ein glückliches und erfülltes Leben haben. Es geht mir nicht um eine Verklärung der Armut, sondern um eine Zufriedenheit, die sich eben nicht an der Anhäufung von Gütern, sondern an menschlichen Beziehungen festmacht. Daran, Teil einer Gemeinschaft zu sein und einer sinnvollen Beschäftigung nachzugehen. Lebensfreude und Lebensbejahung sind oft viel greifbarer und scheinen mir auch tiefer verankert zu sein. Daraus erwächst eine starke Resilienz, denn oft fehlt die Zukunftsabsicherung und Lebensumstände sind deutlich prekärer. Von diesen Erfahrungen des globalen Südens können wir uns inspirieren lassen. Eine ähnliche Bewegung nehme ich auch bei der jüngeren Generation in unseren Kulturkreisen wahr. Das eigene Wohlbefinden, der eigene Status hängt für viele Jüngere nicht mehr am Besitz von Gütern, sondern an ihrem Gebrauch. Man kann ein Auto, ein © fotografixx iStock.com

SCHWERPUNKT 5 Ferienhaus oder eine Bohrmaschine mit mehreren zusammen benutzen und teilen. Sharing Economy ist der Begriff dafür und es ist alles andere als freudloser Verzicht. Über Apps kann ich mich mit Gleichgesinnten vernetzen, um Alltagsdinge und -dienste anzubieten oder zu nutzen. Neue, durchlässige und flexible Formen von Gemeinschaft können so entstehen. Wenn man genau hinschaut, entsprechen beide Erfahrungen dem ursprünglichen Charisma unserer Ordensgemeinschaften: Leben in Gemeinschaft und Verzicht auf persönlichen Besitz. Ordensgemeinschaften und Klöster waren in der Vergangenheit immer wieder Impulsgeber für gesellschaftliche Veränderungen. Die Grundanliegen der sozial-ökologischen Transformation fallen in unseren ureigenen Kernbereich: dem Leben in Fülle, um es theologisch auszudrücken. Wir brauchen auch innerhalb des Ordens unter uns Jesuiten einen neuen Aufbruch, einen Verzicht auf liebgewordenen Besitz, um Freiräume zu öffnen und Experimente zu wagen. Impulsgeber können wir nur dann sein, wenn die sozial-ökologische Transformation bei uns selbst beginnt. Klaus Väthröder SJ war zwölf Jahre in Venezuela tätig. Derzeit ist er Leiter von jesuitenweltweit in Nürnberg und Wien. In der neuen Zentraleuropäischen Provinz der Jesuiten ist er Delegat für Ökologie und Soziales.

SCHWERPUNKT 6 Das Ziel: Menschenwürdiges Leben innerhalb planetarer Grenzen Um die bereits einsetzende ökologische Katastrophe zu stoppen, brauchen wir eine tiefgreifende Veränderung von Wirtschaft, Gesellschaft und Lebensstilen – also eine sozialökologische Transformation. Erderhitzung und Artensterben sind nur zwei offensichtliche Aspekte der drohenden ökologischen Katastrophe. Zu sehr haben wir die ökologischen Belastungsgrenzen unseres Planeten überschritten, wie sie Johan Rockström im Konzept der „planetary boundaries“ beschrieben hat. Werden diese Grenzen weiter überschritten, drohen unabsehbare Folgen. An- gesichts von sogenannten „Kipp-Punkten“ und Dominoeffekten könnten diese verheerenden Folgen noch schneller eintreten als bislang gedacht. Die Rede von der „Katastrophe“ ist kein übertriebener Alarmismus, sondern schlicht realistisch. Die Lage ist todernst – für die Menschen, aber auch für viele Mitgeschöpfe. Eine ethisch anspruchsvolle sozial-ökologische Transformation hat nicht „nur“ das Ziel, die endgültige ökologische Katastrophe abzuwenden und das Überleben der Menschheit zu sichern. Es geht ihr darum, allen Menschen – weltweit und auch in Zukunft – ein menschenwürdiges Leben innerhalb planetarer Grenzen zu ermöglichen. Zu den Voraussetzungen eines menschenwürdigen Lebens gehören aus einer menschenrechtlichen Perspektive neben der unbedingt zu sichernden Umweltqualität die angemessene Befriedigung aller Grundbedürfnisse, aber auch Teilhabe- und Handlungschancen, um an vielfältigen Bezügen teilhaben, sich in ihnen einbringen und entfalten zu können und dadurch (Selbst-)Achtung und Sinn zu erfahren. Wichtig sind auch reale Möglichkeiten, an gesellschaftlichen und politischen Prozessen mitwirken zu können. All diese Voraussetzungen können – eine Transformation vorausgesetzt – verwirklicht werden, ohne die ökologischen Belastungsgrenzen zu überschreiten. Das kann für manche mit einem quantitativmateriellen „Weniger“ verbunden sein, ist aber mit hoher Lebensqualität durchaus vereinbar. Werden Ressourcen menschen- und umweltgerecht verteilt, können alle Menschen genug haben für ein Leben, das sie selbst als gut empfinden und das zugleich die Schöpfung bewahrt. Obwohl immer mehr Menschen die Dringlichkeit der Transformation erkennen, fehlt es ihr an Tempo und Intensität. Noch blockieren machtvoll vertretene Partikularinteressen, ein unzureichender (auch globaler) Ordnungsrahmen, strukturelle Beharrungskräfte, teils irreführende gesellschaftlich-kulturelle Leitbilder und eingefahrene Verhaltensroutinen die notwendigen Veränderungen. Was also tun? Politisch muss ein Ordnungsrahmen geschaffen werden, der gemeinwohlschädliche Partikularinteressen zurückdrängt, umweltfreundliche Infrastruktur fördert und Anreize für ökologisch verantwortbares Handeln setzt. Besonders wichtig ist hier die Bepreisung von © Anette Konrad - HPH

SCHWERPUNKT 7 CO2-Emissionen und generell von umweltschädlichen Handlungsweisen. Es darf nicht sein, dass die Folgekosten auf Dritte abgewälzt werden. So eine Bepreisung ist ein effektives Lenkungsmittel. Sie muss freilich auch sozial ausgewogen gestaltet werden – Konzepte dafür liegen längst auf dem Tisch. Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit sind vereinbar! Zum Ordnungsrahmen gehören aber auch Verbote und Begrenzungen besonders schädlicher Handlungsweisen. Wer hier sogleich gegen „Verbotspolitik“ wettert, übersieht, dass wir auch sonst Verbote akzeptieren, wenn es um gravierende Verletzungen grundlegender Rechte von Menschen geht. Wir brauchen wissenschaftliche, technologische und soziale Innovationen, die helfen, alte, allzu oft umwelt- und klimaschädliche Pfade zu verlassen, anders zu produzieren und zu bauen, zu konsumieren, sich zu bewegen, sich zu ernähren und das Zusammenleben zu gestalten. Hier bedarf es kreativer unternehmerischer, zivilgesellschaftlicher und per- sönlicher Initiative sowie eines politisch gesetzten Rahmens, der Innovationen erleichtert und hilft, wertvolle Praxiserfahrungen in Nischen für die Gesellschaft fruchtbar zu machen. Nicht zuletzt besteht die Transformation in der Arbeit an gesellschaftlich-kulturell verankerten Leitbildern und in der Bildung für einen Bewusstseins- und Verhaltenswandel. So braucht es z. B. Persönlichkeitsbildung, in der ein gutes Leben jenseits der Wohlstands- und Statussteigerung eingeübt wird, oder auch eine politische Bildung, die nicht nur Wissen oder Appelle vermittelt, sondern unsere Vorstellungskraft und unser Empfinden dafür stärkt, wie sehr wir mit Menschen in anderen Teilen der Welt und auch in der Zukunft verbunden sind. All dies gelingt nur, wenn sich die Menschen aktiv beteiligen können und wenn sie mit ihren Erfahrungen und Kompetenzen, Sorgen und Problemen, aber auch Werten und Vorstellungen eines guten Lebens ernstgenommen werden. Die Ergebnisse der Transformation sind nur dann gerecht, wenn diese auch im Prozess den Anforderungen der Beteiligungsgerechtigkeit genügt. Keine sozial-ökologische Transformation ohne Partizipation! Dr. Thomas Steinforth verantwortet im Ludwigshafener Heinrich Pesch Haus den Themenschwerpunkt „Sozial- Ökologische Transformation“ und ist zugleich Wiss. Mitarbeiter im Zentrum für Globale Fragen der Hochschule für Philosophie.

SCHWERPUNKT 8

SCHWERPUNKT 9 Gemeinsam leben – gemeinsam entscheiden Wenn Menschen zusammenleben, gibt es häufig unterschiedliche Meinungen. Adela Mahling hat eine Lösung entwickelt: das systemische Konsensieren, kurz SK-Prinzip. Darf ich mich vorstellen? Ich bin Konsenslotsin und begleite Gruppen auf dem Weg zu einer tragfähigen Lösung. Besonders gern werde ich von Lebens- und Wohngemeinschaften, sowie Eigentümer*innen-Gemeinschaften angefragt. Menschen, die zusammenleben, haben beschlossen, viele existenzielle Entscheidungen gemeinsam zu fällen. Sie haben viel Erfahrung mit mühsamen oder gescheiterten Prozessen gemacht und sind auf der Suche nach neuen Ansätzen. Ich arbeite mit dem SK-Prinzip® (SK für Systemisches Konsensieren). Dieses regt einen heilsamen Paradigmenwechsel an: Vom Erfolgsfaktor Dominanz zur Gemeinwohlorientierung. Damit gelingt es auch heterogenen Gruppen in verhältnismäßig kurzer Zeit, gute Lösungen statt lauer Kompromisse zu entwickeln. Wenn wir mit dem SK-Prinzip entscheiden, gehen wir zunächst in eine kreative Lösungssuche. Dann messen wir die verbleibende Unzufriedenheit aller Beteiligten – und das zu jedem Vorschlag, einschließlich dem, untätig zu bleiben. So erhält die Gruppe drei wichtige Informationen: 1) Welchen Weg muss sie einschlagen, um die Unzufriedenheit am kleinsten zu halten? 2) Wie viel Verbesserung würde dieser Weg bringen im Vergleich dazu, es beim Alten zu lassen? 3) Wie weit ist dieser Weg noch von einer Lösung, mit der alle restlos zufrieden sind, entfernt? Wenn es sinnvoll ist, können Vorbehalte betrachtet werden und der Gruppe die Möglichkeit gegeben werden, sie zu adressieren. So wird ein konsensorientierter konstruktiver Dialog gefördert. Nein zu sagen und zu hören verliert seine Bedrohlichkeit, denn wir können diesen Widerstand als kreatives Potential nutzen, ohne die Entscheidungsfähigkeit zu verlieren. Wir werden motiviert, die Anliegen aller zu beachten, statt ihre Bedenken durch Machtkämpfe unwirksam zu machen. Die Würdigung einer Person zeige sich in der Würdigung ihres Neins, wie der Ko-Entwickler des Verfahrens, Erich Visotschnig, sagte. So oft habe ich erlebt, wie Co-Housing-Gruppen erleichtert aufatmen, denn die Streitigkeiten sind beigelegt, ein gangbarer Weg hat sich herauskristallisiert und die bis dato blockierte Umsetzungsenergie freigesetzt. Ob es nun um die neue Nutzungsordnung, die längst fälligen Baumaßnahmen oder die Vergütung von Eigenleistungen geht: Entscheiden ist entscheidend. Es hat Einfluss auf die Qualität und die Tragfähigkeit des Beschlusses. Es ist Zeit, dass wir uns dessen bewusstwerden und Verfahren nutzen, die unserer Gesellschaft und ihren Herausforderungen gewachsen sind und unser Zusammenleben fördern, statt es zu erschweren. Adela Mahling Adela Mahling, lebt in Berlin und ist freiberufliche Moderatorin, Prozessbegleiterin und Ausbilderin für das SK-Prinzip. Partizipation liegt ihr am Herzen. www.konsenslotsen.de © BrasilNut1 iStock.com

SCHWERPUNKT 10 Menschen ein Zuhause geben In Ludwigshafen haben sich die katholische Kirche und ein katholisches Bildungshaus zusammengetan, um eine Siedlung zu bauen, in der es um mehr als nur Wohnen geht. Die ersten Bagger rollen bereits auf dem Gelände der zukünftigen Heinrich-Pesch-Siedlung in Ludwigshafen. In direkter Nachbarschaft zum Heinrich Pesch Haus (HPH) entsteht hier auf mehr als zehn Hektar ein urbanes Gebiet, in dem Arbeiten, Wohnen, Bildung und Soziales miteinander verzahnt werden. Zentrales Konzept ist eine soziale Durchmischung, in der neue Wohnformen und Nachbarschaften entwickelt werden. Die Siedlung soll zu einem Ort vielfältiger Gemeinschaft werden, die ein lebendiges Miteinander der 1.500 Bewohner*innen fördert und zugleich Raum für Individualität lässt. Die Initiator*innen der Siedlung geben Einblicke in die Entstehung und Schwerpunkte dieses visionären Projekts. Warum Kirche eine Siedlung baut Dekan Alban Meißner Wohnen sieht er als originären Auftrag des Christentums. Alban Meißner ist Dekan der Katholischen Kirche in Ludwigshafen und gehört zu den Initiator*innen der Heinrich- Pesch-Siedlung in Ludwigshafen. Eines der großen Probleme der Gesellschaft ist seit einiger Zeit die Wohnungsnot. Als Kirche greifen wir dieses Problem auf und versuchen, für die Gesellschaft Wohnraum zu schaffen. Denn es ist der Auftrag von Kirche, etwas für die Gesellschaft zu tun. Mit dem Siedlungsbau wollen wir zu einem besseren Miteinander in Ludwigshafen beitragen. Zum einen möchten wir Menschen eine Heimat geben, zum anderen ihnen Perspektiven aufzeigen, wo es hingehen kann. Von Anfang an war klar, dass in einer Stadt wie Ludwigshafen mit einem hohen Migrantenanteil kein klassisches Siedlungsgebiet mit einer homogenen Gesellschaft entstehen würde, sondern ein sehr heterogenes Gebiet – und genau das ist in Ludwigshafen gefordert und notwendig. Ein Beitrag zur Integration Johann Spermann SJ P. Johann Spermann SJ ist Theologe und Psychologe. In seiner Zeit als Direktor des Heinrich Pesch Hauses initiierte er das Projekt der Siedlung. Aktuell arbeitet er als Provinz- ökonom der Jesuiten in Zentraleuropa. Was können wir Jesuiten beitragen? Diese Frage hat mich während der Flüchtlingskrise sehr bewegt. Dann kam die Chance, als wir gefragt wurden, ob wir Menschen aufnehmen könnten. Schnell haben wir in Gesprächen herausgefunden, dass wir uns etwas Dauerhaftes wünschten. Wir wollten einen Beitrag leisten, dass Integration gelingt – und zwar weit über die Flüchtlingskrise hinaus. Es ging uns darum: Wie kann in Ludwigshafen das Zusammenleben in so einer multikulturellen Gesellschaft gut gelingen – von Menschen, denen es im Leben schlechter geht, und denen, die es gut haben; Menschen verschiedener Weltzugänge und Möglichkeiten? Wie schaffen wir es, Vorurteile abzulegen? Wie schaffen wir es, aufeinander zuzugehen und dass die Menschen, die etwas haben, bereit sind, denen in Not etwas abzugeben. Danke an alle, die sich auf den Weg gemacht haben, auf das zu schauen, was Gesellschaft und Menschen zusammenhält.

SCHWERPUNKT 11 Von der Idee zum Projekt Dr. Michael Böhmer Als Wirtschaftsprüfer und Steuer- berater ist er für die finanzielle Seite der Heinrich-Pesch-Siedlung zustän- dig. Der Ludwigshafener gehört zu den Initiator*innen der Siedlung. Die Anfrage der Ludwigshafener Stadtverwaltung während der Flüchtlingskrise, ob wir auf unserem Grundstück Container oder Einfachhäuser aufstellen könnten, war die Initialzündung. Wir haben begonnen, über die wertschöpfende Nutzung der Grundstücke neben dem HPH nachzudenken. Früh haben wir Expert*innen für Wohnsoziologie und städtebauliche Entwicklung hinzugezogen. Außerdem haben wir uns viele bestehende Projekte angeschaut und gelernt, dass das Zusammenleben von unterschiedlichen Menschen mit Unterstützungsmaßnahmen noch verbessert werden kann. Daher haben wir sehr früh die soziale Dimension in den Vordergrund gestellt. Außerdem haben wir entschieden, die Grundstücke mit Erbbaurecht an die Investoren zu vergeben, verknüpft mit klaren Auflagen entsprechend unserer Projektziele. Ein Zuhause für alle Ulrike Gentner Die Theologin und Pädagogin prägt das Heinrich Pesch Haus in Ludwigshafen als stellv. Direktorin. Sie gehört zu den Initiator*innen der Heinrich-Pesch-Siedlung. Es gibt nicht oft im Leben die Möglichkeit, auf einer grünen Wiese ein Dorf zu bauen. Die Grundfrage war für uns: Wie gestalten Menschen ihr Zusammenleben? Wir haben angefangen, die Vision einer Siedlung zu entwickeln, in der Wohnen und Arbeiten, Bildung und Soziales gute Synergien finden. Die HeinrichPesch-Siedlung ist intergenerationell, inklusiv und interkulturell – die Menschen sollen mehr haben als eine Adresse: einen Ort, an dem sie zuhause sind. Wir haben dann im März 2018 eine „Kerngruppe Soziales“ gegründet, die Prinzipien entwickelt hat, wie Zusammenleben gelingen kann. Dazu gehören baulich beispielsweise Innenhöfe und Gemeinschaftsgärten als Begegnungsräume, Quartiersmanagement, ein Begegnungshaus und eine Nach- barschafts-App, aber auch Bildungsmaßnahmen und Kulturprojekte, die das Miteinander fördern. Vielfalt fordert heraus und bereichert das Zusammenleben.

SCHWERPUNKT 12 Erneuertes Zusammenleben in Wuppertal Wie kann es gelingen, eine Stadt in die Zukunft zu führen? Prof. Dr. Uwe Schneidewind, Transformationsforscher und neuerdings Oberbürgermeister von Wuppertal, über zahlreiche Aufbrüche der Stadt im Ruhrgebiet. Herr Schneidewind, was hat sozialökologische Transformation mit dem Zusammenleben zu tun? Für mich ist das eine Weise, „nachhaltige Entwicklung“ zu konkretisieren, und die ist ja kein technologisches Projekt, sondern die Frage, wie wir unser Zusammenleben in einer Welt mit bald 10 Milliarden Menschen organisieren wollen. Dahinter steht eine faszinierende Vision: dass jeder Mensch den gleichen Wert hat und die Chance haben sollte, sich zu entfalten und ein gutes Leben mitzugestalten. Können Sie uns dazu einige konkrete Projekte in Wuppertal beschreiben? Am berühmtesten ist die Utopia-Stadt. Auf fast 30.000 m2 Fläche entsteht dort eine Fülle von Bottom-up-Initiativen, und die Selbstbeschreibung ist: „Wir sind ein andauernder Gesellschaftskongress mit Ambition und Wirkung“. Ich finde das wunderschön, denn es geht um eine Form des Zusammenlebens, die demokratisches Aushandeln ins Zentrum rückt. Dann die „Nordbahntrasse“, eine über 20 km lange ehemalige Bahntrasse, die nun als Radtrasse über viele Viadukte und durch Tunnel führt und völlig neue Einblicke in die Stadt ermöglicht. Dadurch entsteht ein Naherholungsraum, und auch manche abgehängten Stadtviertel werden erschlossen. Auf den Weg gebracht wurde dieses Projekt durch die zivilgesellschaftliche „Wuppertal-Bewegung“. Ein drittes Projekt ist das Klimaquartier Arrenberg, ursprünglich eher ein Problemviertel, wo sich unternehmerisch und sozial engagierte Akteur*innen ein hochambitioniertes Ziel gesteckt haben: ein klimaneutrales Quartier zu schaffen. Dazu muss man ganz viele mitnehmen, und entscheidend sind dann gerade die Begegnungsorte, z. B. eine umgebaute Hauptschule mit einem wunderbaren Hinterhof, der ein zentraler Anlaufort für die ist, die im Stadtquartier wohnen. Wie kann hier Stadtpolitik unterstützend wirken? Eine der wichtigsten Aufgaben von Politik ist, Freiräume für solche Initiativen zu schaffen, denn es sind ja Bereiche, die klassischerweise nach ganz anderen Planungs- und Verwertungslogiken funktionieren. Es war z. B. für die Utopia-Stadt entscheidend, in einem Schulterschluss zwischen Stadt, Verwaltung, Sparkasse und gemeinwohlorientierten Privatinvestor*innen eine solche Fläche dauerhaft zu sichern, auch wenn sich viele Immobilienunternehmen vermutlich die Hände reiben würden, wenn sie auf diesen Flächen hochwertigen Wohnungsbau machen dürften. Und dann sind wir natürlich auch Vernetzungsplattform. Denn die Organisationskapazitäten solcher Initiativen reichen ja meist gerade aus, das eigene Projekt voranzutreiben, aber wenn man Erfahrungsaustausch or- © fotografixx iStock.com

SCHWERPUNKT 13 ganisieren will, kann die Stadt eine wichtige Katalysator-Rolle spielen. Wenn ich nun in meiner Stadt die Nachbarschaft stärken will, wo kann ich da konkret anfangen? Man sollte einfach den Mut haben, dort, wo es sich auch vom Bauch her interessant anfühlt, einzutauchen, sich einzubringen, sich aber auch nicht forcieren zu lassen, sondern sich auf diesem Weg ein Stück leiten zu lassen. Transformation lebt davon, dass sie mit den guten und kraftvollen Energien geht. Ein ordentliches Stück Selbst- und Gottvertrauen ist da sehr hilfreich. Dazu ist es gut, viel ins Gespräch zu gehen mit Menschen, die einen gut kennen, und solchen, die in verschiedenen Initiativen aktiv sind. Im Austausch mit anderen kommt einem auch eine Kraft zu, denn das zeigen ja diese vielen Gemeinschaften des Zusammenlebens: dass sich solche Dynamiken gegenseitig verstärken.

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SCHWERPUNKT 15 Das „Drumherum“ für die innere Transformation In Frankreich gibt es südlich von Paris einen ganz besonderen Ort: den Campus de la Transition. Hier treffen sich Ökonomie, Ökologie und Humanismus. Fabian Moos SJ gibt Einblicke in den Alltag. Der Campus de la Transition ist ein alternativer Hochschul-Campus 70 Kilometer südlich von Paris. Seit 2018 kommen Studierende und Young Professionals für mehrere Tage oder Wochen zu Ausbildungskursen und machen dabei eine „Immersion“-Erfahrung: Vorlesungen, angewandte Forschungsprojekte, aber auch einfaches vegetarisches Essen, Mithelfen beim Kochen, Putzen, Gemüseanbau, ein offenes Abendprogramm, Austausch- und Arbeitsgruppen. Das eigentlich Besondere ist aber die Tatsache, dass der Campus auch ein vielfältiger Lebensort ist. Es wohnen etwa 30 Menschen in dem alten Schloss des AssumptionistinnenOrdens. Rundherum gibt es einen Gemüsegarten, eine Obstplantage, eine große Wiese für Zelte von Kursteilnehmenden oder für weidende Schafe. Neben den „Schlossbewohner*innen“ sind je nach Kurs und (Corona-) Saison noch Dutzende oder Hunderte andere Menschen da. Persönlich habe ich mich zwei Jahre lang auf dem Campus engagiert und seit Kurzem wohne ich auch selbst als Teil der zehnköpfigen Stammkommunität dort – das ist die Gruppe derjenigen, die für mindestens ein Jahr bleiben. Was mich fasziniert, sind vor allem die zahlreichen Elemente, die dafür sorgen, dass die Menschen sich auf einer tieferen Ebene begegnen. Für alle beginnt beispielsweise jeder Tag mit dem „Wort am Morgen“: Nach einem Gongschlag gibt es eine kurze Stille zur Besinnung, dann ein „Check-in“, wo jede*r in einem Satz sagt, wie es ihm oder ihr gerade geht, und darauf wird ein weisheitlicher, religiöser oder poetischer Text vorgelesen, auf den nochmals eine Stille folgt. Die Zusammenkunft wird mit einem Gruppenspiel beendet (Evolutionsspiel oder Ähnliches), wodurch der Tag nicht selten mit einem herzlichen Lachen beginnt. Die akademischen Inhalte der Kurse sind auf höchstem Niveau. Entscheidend ist für die meisten aber wohl eher das „Drumherum“. Viele, die hier ankommen, haben den Kopf bereits voller Ideen, wie sie die Welt retten wollen. Das, was der Campus bietet, ist ein Anstoß zu einer „inneren Transformation“, hin zu einer anderen Weise, in Beziehung zu treten. Dazu braucht es Orte und Zeiten der Begegnung, aber auch der persönlichen und gemeinschaftlichen Reflexion. Ich will nichts idealisieren, es gibt auch Konflikte und Schwierigkeiten, und nicht alle lassen sich auf eine solche ganzheitliche oder spirituelle Erfahrung ein. Unterm Strich aber erlebe ich, dass Wachstum stattfindet, wo Menschen sich begegnen. Als Christ glaube ich, dass genau da auch Gott seine Finger im Spiel hat. Fabian Moos SJ studiert Theologie in Paris. Neben seinem Studium engagiert er sich für die sozialökologische Transformation. Er ist ausgebildeter Gymnasiallehrer für die Fächer Französisch und Spanisch. © boonsom iStock.com

SCHWERPUNKT 16 Blick in die Werkstatt Studierende denken über die Gestaltung von sozial-ökologischem Wohnen nach. Wie kann zukünftig unser Wohnen aussehen? Wie groß sollen Wohnungen sein und wie können Menschen gut zusammenleben? Wohnen neu denken, ohne Vorgaben, ohne Budgets – dazu hatten Studierende bei einer Sommerakademie die Gelegenheit. Bauen und Wohnen neu denken, kreativ und visionär – das ist das Ziel der Sommerakademie der Architektur, die vor einigen Jahren von der GAG, dem städtischen Wohnungsbauunternehmen in Ludwigshafen, ins Leben gerufen wurde. 2016 beschäftigten sich die teilnehmenden Studierenden mit dem noch unerschlossenen Areal der zukünftigen Heinrich-Pesch-Siedlung. Im Mittelpunkt stand die Erstellung neuer Initiativen und Impulse bei der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum. Dazu entwickelten Studierende der Hochschulen Mainz, Ludwigshafen, Heidelberg und Kaiserslautern flächenoptimierte Lösungen für den Wohnungsbau. Auch eine kleine Wohnung kann alle notwendigen Funktionen haben – das zeigten die Studierenden mit ihrer Idee des „Mikro-Wohnens“. Dazu konzipierten sie ein Gebäude mit einer Skelettstruktur, in das gleich große Boxen beliebig hineingeschoben werden können. Die Wohnboxen bieten auf knapp 14 Quadratmetern Platz für Bett und Bad. In ihnen können Singles, Paare oder zwei Kinder wohnen. Wohnen, Kochen und Essen finden in Gemeinschaftsräumen statt. Die Boxen können beliebig zusammen- und auch wieder zurückgebaut werden. Auch mit „Wohn-Bau-Kästen“ kann Wohnraum weitestgehend minimiert und immer wieder den verschiedenen Wohnbedürfnissen angepasst werden. Die Studierenden entwarfen hier einen Bauteilekatalog mit Quer- und Längswänden, die per Stecksystem einfach zu montieren sind. Unter dem Namen „Smartbox“ präsentierten die Studierenden eine Idee, bei der Wohnen in bewegte, installierte und ruhige Zonen unterteilt wird. Die einzelnen Zonen lassen sich verdichten und überlagern. Umgesetzt wird die „Smartbox“ mit fest installierten Boxen sowie Raummodulen, die variable Grundrissformen und stapelbare Gebäude ermöglichen. Klappbare oder eingebaute Möbel tragen ebenfalls zur Platzoptimierung bei. Neben dem Wohnen befassten sich die Workshop-Teilnehmenden auch mit dem Zusammenleben der Bewohner*innen. Um Inklusion, Integration und das Miteinander der verschiedenen Menschen zu erreichen, sahen die Studierenden Orte für Begegnungen wie einen zentralen Platz und Innenhöfe vor. Das neue Stadtquartier wurde zudem in drei Zonen „Wohnen, Bildung und ein gewerblich genutztes Gebiet“ aufgeteilt. Die Studierenden schlugen vor, die Siedlung autofrei zu gestalten und planten ein Parkhaus entlang der angrenzenden Hauptstraße. All diese Impulse ließ Prof. Rolo Fütterer von der Hochschule Kaiserslautern in einen ersten Entwurf für den Masterplan für die Heinrich-Pesch-Siedlung einfließen, der die Grundlage für die weiteren Planungen wurde. Ernst Merkel Der Diplom-Ingenieur ist Geschäftsführer der HPS GmbH & Co. KG. Zuvor war der Ludwigshafener Vorstand der GAG Ludwigshafen und Bau- und Umweltdezernent der Stadt Ludwigshafen. © Anette Konrad - HPH

SCHWERPUNKT 17

SCHWERPUNKT 18 Auf gute Nachbarschaft „Gute Nachbarn“ gehören zu einem Zuhause. Wie sehen für Sie „gute Nachbarn“ aus? Für mich gehen sie achtsam mit den Menschen ihrer Umgebung um. Ihre Freundlichkeit lässt andere spüren, dass sie willkommen sind. Sie schauen nicht weg, wenn Hilfe gefragt ist. Gute Nachbarschaften sind kein Allheilmittel. Aber unter guten Nachbarn braucht es Entschlossenheit, um zu vereinsamen. In guter Nachbarschaft kann ich mich auch zurückziehen, ohne meine Privatsphäre ständig vor Neugier schützen zu müssen. Nachbarschaften sind Bausteine am Fundament der Gesellschaft. Sie tragen bei zu Lebensqualität und Integration von Menschen in die Stadtgesellschaft. Dafür machen wir uns erstaunlich wenig Gedanken über ihr Gelingen. Dabei machen zunehmende Individualisierung und Vielfalt der Gesellschaft das Zusammenleben nicht unbedingt einfacher. Die meisten von uns schätzen die Freiräume für Individualität und die kulturelle Vielfalt unserer Gesellschaft. Aber abweichende Lebensrhythmen, fremde Gerüche und ungewohnte Sitten bringen uns dann doch schnell aus dem Konzept und an unsere Grenzen. Das betrifft das Zusammenleben unterschiedlicher Generationen ebenso wie das von Menschen unterschiedlicher sozialer Milieus und Kulturen. Wie kann gutes Zusammenleben gelingen? Diese Frage ist für den sozialen Frieden einer Stadtgesellschaft zukünftig genauso wichtig wie die Planung und Organisation eines städtischen Lebens, das die natürlichen Ressourcen nachhaltig schont. Das eine wird ohne das andere nicht gelingen. Gute Nachbarn können wir uns nicht backen. Aber wir können Stadtquartiere so planen und das Zusammenleben so organisieren, dass Begegnungen gefördert werden und Konflikte ihre Bedrohlichkeit verlieren. Bewohner*innen werden damit nicht allein gelassen. Dafür haben die Projektinitiatoren*innen der Heinrich-Pesch-Siedlung bereits in einer frühen Entwicklungsphase begonnen, gemeinsam mit Verbündeten aus Wissenschaft, Sozialarbeit und Stadtverwaltung ein soziales Konzept zur Förderung guter Nachbarschaften zu planen und maßgebliche Akteure zu vernetzen. Auf der Basis einer „Charta des Zusammenlebens“, die geprägt ist von den christlichen Wertvorstellungen der kirchlichen Projektträger wie von Erkenntnissen der Sozialwissenschaft, wenden sie sich an alle Menschen und Initiativen guten Willens, mit ihren Ideen, ihren Überzeugungen und ihrem Engagement bei- © RyanJLane iStock.com

SCHWERPUNKT 19 zutragen zum Gelingen des Zusammenlebens in der Heinrich-Pesch-Siedlung. Es ist ein Modellprojekt, dessen Erfahrungen auch auf andere Stadtquartiere übertragen werden sollen. Welche Aufmerksamkeit der Förderung von Nachbarschaft und Begegnung real geschenkt wird, drückt sich bereits in Flächennutzung und Raumkonzepten aus: Die Heinrich-Pesch- Siedlung verzichtet auf die maximale Verdichtung des bebaubaren Raums, also auf Profit, zugunsten von viel öffentlichem Raum, der zur Begegnung einlädt; Innenhöfe, Spielplätze, Mietergärten und Grünzüge, mit denen die Natur Rückzugsräume inmitten des städtischen Quartiers erhält. Die Diversität der Bauformate vom Einfamilienhaus über das Stadthaus bis hin zum Mehrfamilienhaus, sorgt dafür, dass die erwünschte soziale Mischung von Menschen aller Einkommen erreicht werden kann. Die Anforderung, dass alle Häuser und öffentlichen Einrichtungen barrierefrei sein müssen, verhindert, dass Menschen aufgrund ihres Alters oder eines Handicaps vom Leben im Quartier ausgeschlossen werden. Baulich bildet der Platz mit einem „Begegnungshaus“ das markante Zentrum. Errichtung und Unterhalt werden ebenso wie die anderen sozialen Einrichtungen finanziert aus den Erträgen der HPS Projektgesellschaft. Sie alle dienen subsidiär dazu, die Bewohnerinnen und Bewohner zu ermutigen, sich selbst mit ihren Ideen und ihrem Engagement einzubringen in die Gestaltung „ihres“ Viertels. Dem dient auch ein professionelles Quartiersmanagement. Anders als in vergleichbaren Projekten sind damit jedoch nicht Einzelkämpfer*innen gemeint, die erst Netzwerke mit sozialen Diensten, Bildungseinrichtungen und kulturellen Anbietern aufbauen müssen. In der Heinrich-Pesch-Siedlung wird das Quartiersmanagement selbst von Anfang an von den multiprofessionellen und gut vernetzten Teams von Caritas und Heinrich Pesch Haus konzipiert und aufgebaut. Ein Team wird Bewohner*innen für gemeinsame Initiativen zur Gestaltung des Zusammenlebens im Bewohner*innenverein gewinnen, Menschen in Krisen beraten und Konflikte schlichten. Und weil der Reichtum von kultureller und sozialer Vielfalt vor allem dort aufscheint, wo Menschen einander ihre Geschichten erzählen, wird in der Heinrich-Pesch-Siedlung neben Bildungsangeboten, Sport und Spiel die Kultur des Geschichten-Erzählens eine zentrale Rolle spielen. Alle, die das Heinrich Pesch Haus kennen, wissen, das ist uns ein Herzensanliegen. Tobias Zimmermann SJ ist Direktor des Heinrich Pesch Hauses in Ludwigshafen und Prokurist der Heinrich-PeschSiedlung GmbH & Co. KG. Pater Zimmermann ist außerdem Chefredakteur des JESUITEN-Magazins und leidenschaftlicher Künstler.

SCHWERPUNKT 20 Nachhaltig bauen – eine positive Antwort geben Wie müssen wir bauen, wenn wir sozial und ökologisch verträglich zusammenleben wollen? Diesen Fragen stellen sich die Mitwirkenden der Heinrich-Pesch-Siedlung bei der Planung des neuen Quartiers, das in Ludwigshafen entstehen soll. Das Ziel der sozialen Ausrichtung ist es, Wohnraum für alle Einkommensschichten zu bieten und den gesellschaftlichen Zusammenhalt mit einem Quartiersmanagement zu stärken. Um die Siedlung auch ökologisch nachhaltig zu gestalten, werden Konzepte zu den Schwerpunktthemen Energie, Mobilität, Grünraum, Wasser und Kreislaufwirtschaft untersucht. Die Planung einer Siedlung ist komplex. Viele Themen müssen beachtet werden und beeinflussen sich gegenseitig. Die Klimakrise und die notwendige ökologische und soziale Transformation betreffen nahezu alle Aspekte unseres Lebens und Arbeitens. Die Suche nach Lösungen kann deshalb nicht reibungslos verlaufen, aber es ist wichtig, dass wir jetzt beginnen. Die Grundlage für eine emissionsarme Siedlung sind eine nachhaltige Energieversorgung und Gebäude, die wenig Energie im Betrieb verbrauchen. Erneuerbare Energie mit Photovoltaik-Anlagen an Gebäuden lokal zu erzeugen, eine Wärmeversorgung über den Rücklauf der Fernwärme und eine Pilotanlage zur Erzeugung von Wasserstoff aus Solarenergie bilden die Bausteine. Der Freiraum ist ein zentrales Element, der viele Weichen für soziale und ökologische Qualitäten stellt. Ein großer Anteil an Grünflächen sorgt für viel Aufenthaltsqualität für die Bewohner und erreicht mit einer artenreichen Bepflanzung eine hohe Biodiversität. Ermöglicht wird solch ein Freiraum durch ein Mobilitätskonzept, das den Schwerpunkt auf den Fußgänger- und Fahrradkomfort legt und dem Auto an den Rändern der Siedlung Platz einräumt. Der Versieglungsanteil wird minimiert und das Regenwassermanagement kann lokal gelöst werden. Das Regenwasser kann als Gestaltungselement im Freiraum zu einem angenehmen Mikroklima im Quartier beitragen. Für die Gebäude wird eine ressourcenschonende Bauweise mit einer guten Ökobilanz durch die Optimierung des Materialverbrauchs der konventionellen Bauweisen angestrebt. Überlegungen zur Brauchwassernutzung, z. B. für die WC-Spülung, haben das Potenzial, den Trinkwasserverbrauch stark zu reduzieren und den Abwasseranfall zu verringern. Das Ziel, nachhaltig zu bauen, wäre erreicht, wenn wir auf die Frage: „Können mit dem Quartier positive Effekte für Mensch und Umwelt erreicht werden?“ nach der Realisierung eine positive Antwort geben können. Uta Ehrhardt Die Architektin arbeitete zunächst als Entwurfsarchitektin in Darmstadt und Amsterdam. Sie absolvierte ein Aufbaustudium „Architektur und Umwelt“ und ist seit 2014 als Nachhaltigkeitsberaterin tätig.

SCHWERPUNKT 21 Die Kuh gegen eine Ziege tauschen Hier verbinden sich Ökologie und Gerechtigkeit: Im Februar 2020 hat die Gesellschaft Jesu in Valladolid einen offenen Gemeinschaftsort für Jesuiten, Laien und Geflüchtete eröffnet. In den letzten zwölf Jahren hat die Gesellschaft Jesu in Valladolid viele Projekte rund um Ökologie und die Arbeit mit Migrantinnen und Migranten initiiert. Das Einzige, was sich nicht geändert hatte, war unsere persönliche und gemeinschaftliche Lebensweise: der gleiche Lebensort, die gleiche Art, miteinander in Beziehung zu treten… Es war Zeit für eine radikalere Entscheidung, die unser eigenes Leben betraf. So hat uns eine gemeinsame Unterscheidung dazu gebracht, einen offenen Gemeinschaftsort zu gründen, in dem Jesuiten und Laien zusammenleben und in dem wir Migrantenfamilien in Notsituationen oder Geflüchtete aufnehmen können. Im Februar 2020 haben wir mit 16 Leuten angefangen. Das ist unser Projekt namens „Ecología y Acogida Ana Leal“: Ein Ort zur Aufnahme von Migrantenfamilien, aber offen für alle, die eine Erfahrung der sozial-ökologischen Transformation oder Umkehr machen wollen. Und das in dem außergewöhnlichen Kontext von INEA, der jesuitischen Bio-Agrar-Hochschule in Valladolid, mit ihren zahlreichen Projekten wie etwa den 430 ökologischen Gartenparzellen für ältere Menschen (www.ecoinea.org). Das vergangene Jahr hat uns geholfen, unsere Entscheidung zügig umzusetzen und unsere ersten Erfahrungen zu machen. Ein Mitbruder benutzte ein Gleichnis, um auf unsere Situation hinzuweisen: „Du hast die Kuh gegen eine Ziege ausgetauscht“, um anzudeuten, wie gut es uns vorher ging und wo wir jetzt angelangt waren. Aber die Wahrheit ist, dass die Ziege sehr produktiv ist. Für uns gilt: „Wer verliert, gewinnt“. Wir erleben die Tatsache, das Leben so mit anderen zu teilen, als ein unverdientes Geschenk. Eine Familie hat bereits wieder zu einem normalen sozialen Leben zurückgefunden. Immer wieder kommen Menschen, um ein paar Tage bei uns zu verbringen, sich auszutauschen, ein Stück Leben zu teilen ... Wir haben Platz, um sie willkommen zu heißen. Nach dieser Zeit könnten wir in den Sonnengesang des Heiligen Franz von Assisi einschwingen und beten: „Gelobt seist du, mein Herr, für die Schwester Ziege, die Milch gibt wie die beste aller Kühe und die du unverdientermaßen an unsere Seite gestellt hast, um die kostbaren Dinge des Lebens zu erfahren, die uns mit Sinn erfüllen“. Der Motor dieses Projekts ist ein Aufruf, in Liebe und Respekt vor der Schöpfung und den Geschöpfen zu leben. Das ist es, was Papst Franziskus als Ganzheitliche Ökologie bezeichnet. Um sich auf alternative Erfahrungen einzulassen, bedarf es aber einer bewussten Entscheidung, denn der Ruf ergeht an uns alle. Félix Revilla SJ Direktor des Bio-AgraringenieurInstituts INEA, Mitglied des Wohnprojekts "Ecología y Acogida Ana Leal", Valladolid, Spanien.

22 Prophetisch leben Am Doppelgebot der Liebe „hängen das ganze Gesetz und die Propheten“, sagt Jesus (Mt 22,40). Diese beiden Säulen der religiösen Tradition des jüdischen Volkes definiert Jesus damit neu. Die Auseinandersetzung mit dem „Gesetz“ geht weiter. Heute streiten wir über gewichtige Probleme der Kirchenstrukturen und des Kirchenrechts. Und die prophetische Seite? Oder bei der Taufe: Laut dem Gebet bei der Chrisamsalbung wird der Täufling hineingenommen in das dreifache Amt Christi, des Königs, Priesters und Propheten. Das allgemeine Priestertum und die Würde der Getauften und aller Menschen – also das „allgemeine Königtum“ – sind breit akzeptiert. Und das „allgemeine Prophet/in-Sein“ aller Getauften? Es geht sicher nicht darum, wer die besten Vorhersagen macht, wer etwa Wahlen gewinnt, wie sich die Pandemie entwickelt oder wie es mit der Kirche weitergeht,… Es geht auch nicht darum, im allgemeinen Meinungsstreit besonders profilierte Positionen zu vertreten oder mit anderen als Pressure-Group Themen zu setzen und voranzubringen. Biblisch sind die Propheten solche, die den Mund aufmachen, weil sie spüren, dass das Volk oder die Mächtigen oder die religiösen Autoritäten Gottes Willen nicht mehr suchen und nicht mehr aus der Nähe zu ihm leben. Sie reden gegen den Mainstream als Mahner gegen Oberflächlichkeit, gegen die Verführung durch Wohlstand und Macht, gegen Ungerechtigkeit und gegen Gottvergessenheit. Oder sie sind die Vermittler großer Hoffnungsbilder in Zeiten der Not oder des Exils. In der Regel sind es Einzelpersonen, die nicht begeistert in die ihnen von Gott gestellte Aufgabe hineingehen. Ihnen droht in der Regel Ärger wegen ihrer Botschaft. Aber es geht ihnen ja auch nicht darum, selber Recht mit der eigenen Meinung zu haben. Der Knackpunkt ist, dass sie gewiss sind, verstanden zu haben, was Gott von ihnen und in unserer Welt will und sich dann gesandt wissen, dafür einzutreten. In der Bibel findet dies für die besonders Berufenen oft in einem direkten Gespräch mit Gott statt, in dem Gott oft auch erst die Einwände des Propheten zerstreuen muss. Und als getaufter Mensch heute das „allgemeine Prophet-Sein“ zu leben: Was heißt das nun? Jede*r Getaufte ist grundsätzlich hineingenommen in diese Dynamik, auch wenn nicht jede*r öffentlich auftreten und für Gott und die Gerechtigkeit kämpfen muss. Entscheidend ist der zuletzt genannte Punkt: Wie verstehe ich, was Gott von mir will? Wo sehe ich seine Herausforderung an mich und unsere Welt in den Zeichen der Zeit? Und lasse ich mich dann, wenn auch vielleicht erst nach einer gewissen Überwindung, dazu herausfordern, mich aktiv dafür einzusetzen? Hilfreich sind die ignatianischen Grundprinzipien, wie Ignatius sie in den Exerzitien einzuüben hilft: das Bemühen, indifferent zu werden gegenüber allem, woran ich gerne mein Herz hänge; der nüchterne Blick auf die eigene Person, wie ich vor dem barmherzigen Gott stehe; die Unterscheidung der Geister, was in den vielen Stimmen der Welt wirklich vom guten Geist ist; die wachsende Bereitschaft, sich senden zu lassen in den guten Kampf. Wer ist heute ein Prophet, eine Prophetin? Sind Sie prophetisch? Bin ich es? © Anette Konrad - HPH Geistlicher Impuls

GEISTLICHER IMPULS 23 Am Ende steht alles dann unter dem Liebesgebot Jesu. Daran hängen ja nicht nur das Gesetz, das menschlich und gerecht bleiben muss, sondern auch die Propheten. Nur aus der Liebe zu Gott und den Menschen heraus kann ich verantwortungsvoll und frei von Eigeninteressen kämpfen für Glauben und Gerechtigkeit, gegen Ausgrenzungen und Gottvergessenheit. Nur in der realistischen Ehrlichkeit der Liebe kann ich die große Hoffnung aufzeigen, die trägt. Bernd Günther SJ Pater Bernd Günther SJ ist 1986 in den Jesuitenorden eingetreten. Nach seiner Priesterweihe war er Flüchtlingsseelsorger in Berlin und gründete dort das deutsche Büro des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes. Inzwischen ist er Kirchenrektor von St. Ignatius in Frankfurt und Delegat für Pastoral..

24 Ludger Joos SJ Die Augen leuchten, als Ludger Joos SJ von seiner „Sardinenbüchse auf drei Rädern“ schwärmt. Erst vor kurzem bekam er den dreirädrigen Kastenwagen geschenkt: „Damit werde ich auf den Marktplatz fahren, mit großem Logo vom ‚Mittagstisch‘ drauf. Was ich dann genau mache, weiß ich noch nicht.“ Der 53-jährige Jesuit betreut seit 2017 die Jesuitenpfarrei Sankt Michael in Göttingen, zu der auch der Mittagstisch gehört. Eine Einrichtung, die täglich 40 bis 70 Gäste mit einer warmen Mittagsmahlzeit und Lebensmitteln versorgt – auch in Coronazeiten. Der Jesuit bezeichnet sich selbst als Macher. Das habe er von seinem Vater, einem Lehrer, der Pfadfinderstämme gründete, sich politisch engagierte und mit 45 Jahren begann, in den Vogesen eigenhändig einen verfallenen Hof in ein Ferienhaus zu verwandeln. Von seiner Mutter komme ein kreatives Moment: „Ich mag rum friemeln, aufbauen, kreativ sein!“ Nach einem zweijährigen Aufenthalt in Polen organisiert Joos für den Weltjugendtag 2005 in Köln das ignatianische Vorprogramm „Magis“, das bis heute jeden Weltjugendtag mit Ignatianischen Experimenten begleitet: „Das hat uns an die Grenze gebracht, wir waren nur vier Leute. Aber ich will es nicht missen!“ Was macht eigentlich …? Bilder: © SJ-Bild „Ich wollte nie Pfarrer werden, aber jetzt liebe ich diesen Job.“

WAS MACHT EIGENTLICH...? 25 2007 kehrt der gebürtige Freiburger und Gymnasiallehrer zurück in den Südwesten und wird Kollegsseelsorger in St. Blasien im Hochschwarzwald. Dort ging es ihm darum, den Schüler*innen und Eltern, geistliche Erfahrungen zu ermöglichen, eine Verwurzelung im Glauben. Ein wichtiges Werkzeug dafür sind die Exerzitien, die Joos an die Lebenswelt der Jugendlichen anpasst. Die Pastoral in Göttingen ist bunter, das Repertoire an Begegnungen breiter. „Mein Alltag ist sehr geprägt vom Kirchenjahr, wird aber immer wieder von Taufen und Beerdigungen oder Besonderheiten der City-Kirche durchkreuzt“, so der Jesuitenpfarrer. Ein Beispiel für diesen Eigencharakter der Innenstadtkirche ist der Saint-Patrick’s-Day: Mitten in der Fastenzeit ein knallgrüner Gottesdienst mit Dudelsack und Trommeln. Die Pfarrei ist ein Gemeinschaftsprojekt. „Es geht um die Frage, wie wir Kirche in einem Umbruch aufbauen und mitgestalten. Von einer Dienstleistungskirche zu einer, wo die Gaben aller integriert sind.“ Es ginge darum, Räume zu bereiten, die noch nicht da sind. „Ein Wandel mit Katzenjammer, aber spannend“, schmunzelt Joos. Auch die fünfköpfige Jesuitenkommunität trägt die Gemeinde mit, vor allem durch den Schatz der gemeinsamen Exerzitienspiritualität: „Wir sprechen eine Sprache, wenn auch in Dialekten.“ Diese Spiritualität, gesendet in eine grundsätzlich liebenswerte Welt, bilde die Grundlage für die Seelsorge, um Menschen aufzufangen, ihnen bei Wahrnehmung und Unterscheidung zu helfen und dabei, ihre eigenen Widersprüche auszuhalten. Diese innere Freiheit hat auch Ludger Joos vor 25 Jahren angelockt und trägt ihn bis heute: „Kirche, Welt, ich selbst, Orden – das ist alles liebenswert.“ Dag Heinrichowski SJ

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