Jesuiten 2014-2

Ignatius und Luther 2014/2 ISSN 1613-3889 Jesuiten

Statue des Ignatius in der Basilika von Loyola (lks.) © SJ-Bild / Müller Luther-Denkmal Wittenberg (re.) © Fotolia / Steschum Ausgabe Juni/2014 Jesuiten 1 Editorial Schwerpunkt 2 Luther aus der Sicht eines Jesuiten heute 4 Stolz und Vorurteil 6 Der Beitrag von Ignatius und Luther zur Konfessionalisierung 8 Luther und Ignatius im Wortlaut 10 Jesuiten und die Reformation im 16. Jahrhundert: Peter Faber 12 Exerzitien und Ökumene 14 Machen Unterschiede Unterschiede? 16 Ignatianische Spiritualität und Ökumene heute 18 Ökumene der Märtyrer 20 Gelebte Ökumene Geistlicher Impuls 22 Vom Ausrichten Jubiläum 2014 24 Von Roothaan zu Lefrank: Jesuiten in der Exerzitienarbeit Nachrichten 25 Neues aus dem Jesuitenorden Medien 28 Ignatius-CD Personalien 29 Jubilare / Verstorbene Vorgestellt 30 Unsere Ausbildungskommunitäten in München 33 Autoren dieser Ausgabe Die besondere Bitte 34 Weltweit unterwegs für Christus 37 Standorte der Jesuiten in Deutschland Jesuiten 1 Editorial Schwerpunkt 2 Virtualität – Anwesenheit des Abwesenden 6 Virtualität aus der Schulperspektive 8 Mailgewitter & Twitterstürme 10 In die Computerzeit hineinleben 11 Erreichbarkeit 2.0: Facebook ohne Ende 14 Online-Exerzitien 16 Pastorale Projekte 17 Warum ich (noch) nicht bei Facebook bin 18 Warum ich bei Facebook bin 20 blog.radiovatikan.de 21 Jesuiten in Facebook Geistlicher Impuls 22 Von der Versuchung, virtuell zu leben Nachrichten 24 Neues aus dem Jesuitenorden Vorgestellt 29 Gebetsapostolat Nachrufe 2012 30 Unsere Verstorbenen Medien 32 DVD: Die Schrittweisen. Zu Fuß nach Jerusalem 33 Autoren dieser Ausgabe 34 Die besondere Bitte 34 Ein Abonnement „Stimmen der Zeit“ 37 Standorte der Jesuiten in Deutschland Inhalt Ausgabe 2012/4 2012/4 Titelbild: @ Fotolia „Virtualität ist die Eigenschaft einer Sache, nicht in der Form zu existieren, in der sie zu existieren scheint, aber in ihrem Wesen oder ihrer Wirkung einer in dieser Form existierenden Sache zu gleichen.“ Diese Definition aus „Wikipedia“ auf vielfältige Weise umzusetzen, nahm sich Simon Lochbrunner SJ mit seinen Bildern im Schwerpunktteil dieser Ausgabe vor.

Editorial Liebe Leserinnen, liebe Leser, bis heute gelten Martin Luther und Ignatius von Loyola als Symbole von Reformation und Gegenreformation. Bereits Jerónimo Nadal, der nach dem Tod des Ignatius im Jahre 1556 das Ordensideal der Jesuiten wie kein anderer prägte, porträtierte Ignatius als den neuen David, der gegen den Goliath Luther antritt. Bald breiteten sich Gegenüberstellungen wie die folgenden aus: Als in Deutschland die Reformation Fahrt aufnimmt und 1521 über Luther die Reichsacht verhängt wird, weil er sich seine Thesen zu widerrufen weigert, da wirkt Gott im spanischen Loyola die Konversion des Ignatius. Er entfacht apostolischen Eifer in ihm und seinen Gefährten, sich ganz für die Verteidigung des Glaubens einzusetzen. Denn während die Protestanten die „Irrlehrer“ vorziehen, folgen die Jesuiten den Lehrern der Kirche und den Konzilien; während die Protestanten neue Glaubenssätze lehren, die alten entstellen und den Papst hassen, zeichnet die Jesuiten ein spezielles Gelübde des Papstgehorsams aus; während jene die Beichte abschaffen, fördern die Jesuiten den häufigen Empfang dieses Sakraments. Diese parallelisierende Kontrastierung wurde bei Historikern und noch mehr bei Polemikern zu einem beliebten Sujet. Doch war die Akzentverschiebung gegenüber der Gründungsidee des Ordens verhängnisvoll. Die ersten Gefährten beabsichtigten keineswegs, ihn zur Gegenreformation zu gründen, waren sie selbst doch auf ihre Weise Teil der Reformbewe- gungen innerhalb der Kirche. Nicht wenige ihrer geistlichen Anliegen waren denen der Reformatoren ähnlich: Predigt und ein persönlicher Glaube aus der Hinwendung zur Person Christi und zur Heiligen Schrift, die Reform des eigenen Lebens gegen ein unmoralisches Verhalten im Klerus, das große Vertrauen auf die Gnade statt einer einseitigen Betonung der guten Werke. So konnten sie leicht den Ruf, Neuerer zu sein, auf sich ziehen – als „reformierte Priester“ galten sie ohnehin. Luther und Ignatius sind sich nie begegnet und lasen die Schriften voneinander nicht. Doch trafen sich Jesuiten der ersten Generation und Lutheraner auf Religionsgesprächen. Der erste deutsche Jesuit, Petrus Canisius, war einer der ersten Jesuiten, der reformatorische Schriften im Original las und daraus zitierte – freilich in kontroverstheologischer Absicht. Zur Vorbereitung auf das Reformationsgedächtnis 2017 stellen wir uns die Frage, wie Ignatius von Loyola und Martin Luther heute zueinander stehen: Wie sehen wir sie in ihrer Geschichte? Was bedeutet diese ambivalente Geschichte für den Orden heute? Wie engagieren sich Jesuiten in der Ökumene mit evangelischen Christen? Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre mit vielen Entdeckungen! Bernhard Knorn SJ Johann Spermann SJ 1 Jesuiten n Juni 2014 n Ignatius und Luther

Luther aus der Sicht eines Jesuiten heute Martin Luther (1483–1546) und Ignatius von Loyola (1491–1556) waren sich einerseits recht ähnlich und waren andererseits auch recht verschieden. Das eröffnet für einen Jesuiten heute die Möglichkeit, eine differenzierte Sicht auf den Wittenberger Reformator zu wagen. Leitend wird dabei sein, Luther einerseits in seiner menschlichen Suche nach Gott zu würdigen, andererseits aber auch seine Version des Fühlens mit der Kirche zu thematisieren. Wie finde ich einen gnädigen Gott? Martin Luther lebte als Augustinermönch und Priester ein strenges Leben gemäß den Ordenssatzungen. Er unterstützte die Bewegung innerhalb seines Ordens zu größerer Regeltreue. Er meinte es ehrlich. Dennoch kam seine Seele nicht zur Ruhe und zum inneren Frieden. Martin Luther litt immer mehr an der Frage: „Wie finde ich einen gnädigen Gott?“ Die Rede von der iustitia Dei (z.B. Röm 1,17) in den biblischen Schriften machte ihm große Angst. Der Augustinermönch verstand darunter die strenge richterliche Gerechtigkeit Gottes, vor der kaum ein Mensch bestehen kann. Erst als ihm nach langem Ringen im sogenannten „Turmerlebnis“ aufging, dass die Gerechtigkeit Gottes in der Bibel Gottes eigene Gerechtigkeit ist, die er dem Menschen durch Christus im Glauben schenkt, fand er Frieden für sein Leben. Als Jesuit erinnert mich dieses Ringen Luthers an das verzweifelte Suchen des heiligen Ignatius nach Gottes Barmherzigkeit in seinem Leben, als er in Manresa weilte. Auch im Blick auf mein eigenes Leben wird mir Martin Luther hier zum Bruder. Und schließlich bestätigen mir viele Begegnungen, wie sehr bis heute diese Frage die Menschen umtreibt. Das Fühlen mit der Kirche Der Augustinermönch Martin Luther lebte und arbeitete als Priester in der Kirche. Als Theologieprofessor war er geübt, zu beobachten und zu reflektieren. Dabei wurden ihm die Missstände in der Kirche fast unerträglich. Beim Ablasshandel nahm Luthers Kritik schließlich ihren Ausgangspunkt. Ursprünglich dachte er ganz kirchlich und wollte eine Reform innerhalb der Kirche. Was mit notwendiger und berechtigter Reformforderung begann, führte ihn später zur Alternative zwischen Evangelium (Wort Gottes) und Kirche: Die Kirche predige und lebe nicht mehr das Wort Gottes. Martin Luther folgte aus seiner Sicht dem Evangelium und verursachte die bekannten Folgen bis heute. Dass aber nicht allein Luther für die Spaltung verantwortlich ist, sondern auch die damalige Kirche, macht das Ökumenismusdekret „Unitatis redintegratio“ des Zweiten Vatikanischen Konzils deutlich: Diese und andere Trennungen geschahen „oft nicht ohne Schuld der Menschen auf beiden Seiten“ (UR 3). Die Entgegensetzung von Kirche und Evangelium mag menschlich nachvollziehbar sein, schmerzt aber aus theologischer Sicht. Entscheidend ist hier die 2 Schwerpunkt Jesuiten n Juni 2014 n Ignatius und Luther

Haltung Luthers zur Kirche: Wer kann letztlich entscheiden, was das wahre Wort Gottes ist? Ist die Kirche nicht mehr als die Summe ihrer Fehler, als eine Gemeinschaft fehlbarer Menschen? Der Zwiespalt Luthers bringt mir die Worte von Papst Franziskus in Erinnerung, die es auf den Punkt bringen: So „empfangen wir die Botschaft des Evangeliums in der Kirche, und in der Kirche heiligen wir uns. Unser Weg verläuft innerhalb der Kirche“. Der Papst wählt starke, aber treffende Worte, wenn er von einer „absurden“ Entgegensetzung spricht, weil wir nur in der Gemeinschaft der Gläubigen die frohe Botschaft hören können (L’Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, 7. Februar 2014). Als Jesuit liegt mir viel am Fühlen mit der Kirche, das letztlich ein Fühlen in der Kirche ist. Martin Luther kann uns heute ein Begleiter in seinem Ringen um die Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes sein. Seine Entgegensetzung von Evangelium und Kirche wird dagegen eine Mahnung sein, das Fühlen mit der Kirche ernst zu nehmen. Markus Schmidt SJ 3 Jesuiten n Juni 2014 n Ignatius und Luther © Herzog August Bibliothek Foto: Archiv Luther als Augustinermönch, Triptychon von Veit Thim, 1572 Thesenblatt von Martin Luther, Wittenberg 1517

Stolz und Vorurteil Wie sehen Protestanten heute Ignatius? Mit Heiligenverehrung haben wir Protestanten wenig am Hut – auch wenn wir in der Lutherdekade schon mal bereit sind, die entsprechenden reformatorischen Prinzipien über Bord zu werfen. Was geht mich also Ignatius an? Viel wichtiger ist die Frage: Wie sehen Protestanten heute die Jesuiten? Mein erster Eindruck stammt kurioserweise aus Rom. Es war allerdings kein Geistesblitz an Ignatius Grab in der Kirche Il Gesù, sondern die abfällige Bemerkung eines Waldenserpfarrers: „Puzza di gesuita!“, sagte Giorgio Tourn in einer Diskussion an der evangelischen Facoltà Valdese. Ich hatte es gewagt, in Sachen Ökumene den Namen Hans Küng ins Gespräch zu bringen. „Der stinkt nach Jesuit!“ Dass Küng gar kein Jesuit ist, tut wenig zur Sache. Wer intelligent ist und trotzdem katholisch, der muss Jesuit sein. Trauen sollte man ihm lieber nicht. Für uns Protestanten sind die Jesuiten heute tatsächlich in erster Linie die „Schlauen Jungs“: qualifizierte Wissenschaftler, hervorragende Theologen, gewandte Diskussionspartner und gute Lehrer. Zu verdanken haben sie das auch ihrem Ordensgründer. Erstaunlich, dass Ignatius als Denker, Bildungstheoretiker und Universitätsreformator im Unterschied zu Philipp Melanchthon fast vergessen ist. Spirituell suchende Zeitgenossen kennen Ignatius als Verfasser der Exerzitien. Der Renaissancemensch Ignatius betonte – protestantisch durchaus anschlussfähig – die Verantwortung des freien Individuums für die eigene Frömmigkeit. Er verband das mit Disziplin und methodischer Strenge. Das hat bis heute eine hohe Attraktivität, wirkt aber auch technisch und kühl. Kühl wirken auf einen Protestanten auch die Baudenkmäler: Das Jesuitenkolleg, das im 17. Jahrhundert ins oberpfälzische Amberg geklotzt wurde, ist eine der schlimmen Bausünden der Architekturgeschichte. Die Kirchen der Jesuiten sind Monumente der Einschüchterung und des Triumphalismus. Besonders weh tut das in Neuburg an der Donau, wo Jesuiten eine evangelische Hofkirche verschandelt haben. In Loyola habe ich mit Tucholskys Pyrenäenbuch unter dem Arm eine Landschaft glorios verfallender Kirchen, Institute und Kollegien erkundet: zu groß gewordene Gehäuse der Macht, die sich selbst im frommen Spanien nicht mehr füllen lassen. Nur versteckt in der kleinen Bekehrungskapelle im Geburtshaus des Ignatius haben ein paar italienische Priester konzentriert Eucharistie gefeiert. Hat dieser Kontrast etwas mit Ignatius selbst zu tun? Auf der einen Seite der empfindsame, gebildete Christ, gereift in 4 Schwerpunkt Jesuiten n Juni 2014 n Ignatius und Luther

existenziellen Lebenskrisen. Auf der anderen Seite der schlachtenerprobte und machtbewusste Offizier. Den Protestantismus betrachtete Ignatius als „Gift“ und „Krebsgeschwür“. Darunter haben nicht nur die verfolgten Waldenser gelitten. Auch andernorts ging der katholische Roll-Back der Jesuiten Hand in Hand mit massiven staatlichen Repressionen. Der Schwefelgeruch der Protestantenfresser ist spätestens seit Karl Rahner verflogen. Aber wie ökumenisch sind die Jesuiten wirklich? Gibt es ein vorbehaltsloses Ja zu kirchlicher Pluralität, die sich nicht dem Diktat Roms unterwirft – so freundlich Herr Bergoglio auch erscheinen mag? Der ignatianische Gehorsamsgedanke bleibt für mich zutiefst befremdlich: „Wir sollen uns dessen bewusst sein, dass ein jeder von denen, die im Gehorsam leben, sich von der göttlichen Vorsehung mittels des Oberen führen und leiten lassen muss, als sei er ein toter Körper“. Mir ist klar, dass sich Jesuiten durchaus zu ‚Widerspruch aus Loyalität‘ verpflichtet fühlen – und dass Ignatius die Dialektik von Freiheit und Bindung kannte. Aber als Protestant erscheint mir Gehorsam doch mindestens genauso sehr als Laster wie als Tugend. Dann lieber Luther: „Ich bin gefangen an dem Wort Gottes, weil wider das Gewissen zu handeln beschwerlich, unheilsam und gefährlich ist.“ Christoph Picker 5 Jesuiten n Juni 2014 n Ignatius und Luther © SJ-Bild / Müller © SJ-Bild / Müller Ignatius-Handschrift, Generalskurie Rom Ignatius in Manresa. Gemälde von Sebastino Conca (um 1750) Universität Salamanca

Der Beitrag von Ignatius und Luther zur Konfessionalisierung Das späte Mittelalter war religiös betrachtet alles andere als eine einförmige Größe. Dem Verfall in Sitte und Moral in weiten Kreisen der spätmittelalterlichen Gesellschaft stand die Ausbreitung tiefgreifender Frömmigkeitsformen gegenüber. Dazu zählten die neu aufkommenden Reformbewegungen. Volksprediger der großen Reformorden belebten nicht nur die Klöster, sondern durchdrangen auch das Leben in den Städten. Zahlreiche Amtsträger der Kirche gehörten zu den Exponenten dieser Erneuerungsbewegungen. In Spanien kam es im Ausgang des Mittelalters zu einer geistig wie religiös motivierten Blüte des kirchlichen Lebens. Die Gründung des Jesuitenordens in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts durch Ignatius von Loyola ist hierfür ein Beispiel. Die in Deutschland sich verbreitende Wittenberger Reformbewegung ist von der Person und dem theologischen Werk Martin Luthers zutiefst geprägt. Im Kern als ein geistiger und religiöser Vorgang verstanden, greift die Reformation in ihrem weiteren Verlauf nach 1525 auf Politik, Gesellschaft und Staat über. Damit lässt sie sich auf die Person Martin Luthers und sein Reformanliegen allein nicht beschränken. Zu den Hauptvorgängen dieses sich schließlich zur Reformation auswirkenden Zeitalters gehört die Herausbildung konfessionell verschiedener Kirchen. Dieser Prozess der Konfessionsbildung betraf ebenso politische, gesellschaftliche wie kulturelle Lebensbereiche. Die Konfessionalisierung führte schließlich zu einer geistigen und organisatorischen Verfestigung auseinander strebender christlicher Bekenntnisse, in Glaube, Lehre, Verfassung und religiössittlicher Lebensform. Diese Entwicklung streng gegeneinander abgegrenzter Konfessionen wird mit Luther, schärfer noch mit Calvin, und auf der anderen Seite mit Ignatius von Loyola und dem Jesuitenorden verbunden. Martin Luther (1483–1546) und Ignatius von Loyola (1491–1556) waren zwar Zeitgenossen, doch haben sie sich nie kennengelernt. Während Luther von Ignatius nichts wusste, soll Ignatius von Luther gehört haben. Die von Deutschland ausgehende Reformation erschien ihm allerdings beunruhigend und zerstörerisch. Ignatius blieb dagegen lutherischen Theologen lange Zeit unbekannt. Vor den Jesuiten wurde freilich schon lange gewarnt. Sie seien dazu da, den Protestantismus auszurotten. Ignatius und Luther wurden in den jeweiligen konfessionellen Selbstdarstellungen konträr zueinander beschrieben. So wurden sie zu Exponenten der jeweiligen Konfessionen stilisiert. Damit trugen sie die Last einer konfessionalistischen Deutung der Konfessionen. 6 Schwerpunkt Jesuiten n Juni 2014 n Ignatius und Luther

Sieht man heute genauer hin, ohne die konfessionellen Differenzen hochzurechnen, dann kann man das innere Motiv erkennen, das Luther und Ignatius jeweils leitete. Es ist derselbe Geist Gottes, der die Seelen leitet und zu Gott führt. Vor diesem Grundgedanken erscheinen beide, Luther und Ignatius, als Reformer, jeder auf seine Weise. Sie gehen vom selben Grundverständnis geistlichen Lebens aus, persönlich und innerlich. Erst im Laufe des 20. Jahrhunderts beginnt man auf evangelischer Seite mit der Lektüre des Exerzitienbuches von Ignatius. Auch die katholische Theologie lernt allmählich, sich Luther und seiner Theologie vorurteilsfrei zu nähern. Mehr und mehr tritt nun die gemeinsame Ausgangsbasis beider Männer hervor, das ist die Praxis der Frömmigkeit. Auf dem Weg des gegenseitigen Kennenlernens können falsche Vorwürfe und gegenseitige Abgrenzungen überwunden werden. Hervor treten bei beiden Reformern Erfahrungen der inneren Auseinandersetzung mit Gott, die scharfe, innere Anfechtung, ein gemeinsamer heilsindividueller Ausgangspunkt. So ist heute eine Überwindung konfessioneller Einseitigkeiten, mit denen Luther und Ignatius über Jahrhunderte belastet erschienen, möglich. Wolfgang Thönissen 7 Jesuiten n Juni 2014 n Ignatius und Luther © creative commons © SJ-Bild / Müller Ignatius von Loyola, Gemälde von Jacopino del Conte, 1556 Martin Luther, Gemälde von Lucas Cranach d. Ältere, 1529

Luther und Ignatius im Wortlaut Ordensmann, Priester und geistlicher Lehrer: Damit ist sowohl der AugustinerEremit Martin Luther (1483–1546) wie auch Ignatius von Loyola (1491–1556) zu charakterisieren. Beide wussten den überlieferten Glauben radikal auf ihre eigene Person zu beziehen und viele Menschen zu einem intensiven geistlichen Leben anzuleiten. Die folgenden Zitate mögen einen kleinen Eindruck davon vermitteln. Sie finden sich in den „Geistlichen Übungen“ von Ignatius und in der Weimarer Ausgabe der Werke von Martin Luther. Wozu der Mensch geschaffen ist Wir können Gott nichts anderes geben als Lob und Dank, zumal wir alles andere von ihm empfangen, es sei Gnade, Wort, Werk, Evangelium, Glaube und alle Dinge. Der Mensch ist geschaffen, um Gott unseren Herrn zu loben, ihm Ehrfurcht zu erweisen und zu dienen und mittels dessen seine Seele zu retten; und die übrigen Dinge … sind für den Menschen geschaffen und damit sie ihm bei der Verfolgung des Ziels helfen. Indifferenz Unser Herrgott hat alles zum Genuss und Gebrauch gegeben, nicht aber zur Anbetung und zur religiösen Verehrung. Darum brauche das Brot, den Wein, die Kleidung, den Besitz, das Geld usw., doch setze nicht dein Vertrauen darauf und rühme dich nicht dessen. Denn rühmen soll man sich allein Gottes und auf ihn vertrauen. Ihm aber gebührt die Liebe, die Furcht und die Verehrung. Deshalb ist es nötig, dass wir uns gegenüber allen geschaffenen Dingen in allem, was der Freiheit unserer freien Entscheidungsmacht gestattet und ihr nicht verboten ist, indifferent machen. Wir sollen also nicht unsererseits mehr wollen: Gesundheit als Krankheit, Reichtum als Armut, Ehre als Ehrlosigkeit, langes Leben als kurzes; und genauso folglich in allem sonst, indem wir allein wünschen und wählen, was uns mehr zu dem Ziel hinführt, zu dem wir geschaffen sind. Üben Dies Leben ist nicht ein Frommsein, sondern Frommwerden, nicht ein Gesundsein, sondern Gesundwerden, nicht ein Sein, sondern Werden, nicht Ruhe, sondern eine Übung. Denn wie das Umhergehen, Wandern und Laufen leibliche Übungen sind, genauso nennt man »geistliche Übungen« jede Weise, die Seele darauf vorzubereiten und einzustellen, alle ungeordneten Anhänglichkeiten von sich zu entfernen und, 8 Schwerpunkt Jesuiten n Juni 2014 n Ignatius und Luther

nachdem sie entfernt sind, den göttlichen Willen in der Einstellung des eigenen Lebens zum Heil der Seele zu suchen und zu finden. Meditieren Du sollst meditieren, d.h. nicht allein im Herzen, sondern auch äußerlich die mündliche Rede und die Worte im Buch nach dem Buchstaben immer treiben und reiben, lesen und wieder lesen mit fleißigem Aufmerken und Nachdenken, was der heilige Geist damit meint. Und hüte dich, dass du nicht überdrüssig wirst …, denn da wird nimmermehr ein besonderer Theologe draus. Kniend oder sitzend, … und wie ihn mehr Andacht begleitet, dabei die Augen geschlossen oder auf eine Stelle fixiert haltend, ohne mit ihnen hin- und herzugehen, soll er sagen: „Vater“. Und er verweile bei der Erwägung dieses Wortes soviel Zeit, als er Bedeutungen, Vergleiche, Geschmack und Tröstung in zu diesem Wort gehörigen Erwägungen findet. Und in der gleichen Weise mache er es bei jedem Wort des Vaterunsers oder eines beliebigen anderen Gebets, das er in dieser Weise beten will. Kirchlicher Gehorsam Es ist ernstlich befohlen, dass sich in der Kirche niemand unterstehe, etwas … aus seinem eigenen Verstand oder auf eines Menschen Rat und Gutdünken vorzuschreiben oder zu tun. Sondern wer da etwas lehren oder tun will, der rede und tue es so, dass er zuvor gewiss sei, dass das, was er redet und tut, wahrhaftig Gottes Wort und Werk sei, von ihm befohlen. Wir müssen immer festhalten, um in allem das Rechte zu treffen: Von dem Weißen, das ich sehe, glauben, dass es schwarz ist, wenn die hierarchische Kirche es so bestimmt, indem wir glauben, dass zwischen Christus unserem Herrn, dem Bräutigam, und der Kirche, seiner Braut, der gleiche Geist ist, der uns leitet und lenkt zum Heil unserer Seelen. Zusammengestellt von Bernhard Knorn SJ 9 Jesuiten n Juni 2014 n Ignatius und Luther

Jesuiten und die Reformation im 16. Jahrhundert: Peter Faber Kann meine Arbeit im Deutschen Reich nachhaltig erfolgreich sein? Peter Faber (1506–1546), der im Dezember 2013 von Papst Franziskus heiliggesprochene Jesuit, stellte sich diese modern anmutende Frage immer wieder. Mit der Unterscheidung der Geister, die er vom Hl. Ignatius gelernt hat und die ihm half, seiner von Fragen geplagten Seele Frieden zu verschaffen, konnte er der schmerzlichen Situation der Kirchenspaltung und der Konfrontation zwischen Katholiken und Protestanten standhalten. Es gab durchaus Momente, an denen er niedergeschlagen und tief bestürzt war. Trotz allem wollte er lieber im kalten Deutschland als im warmen Spanien arbeiten. Die Meinung des Nächsten retten, seine Sicht der Dinge zu verstehen versuchen und dann erst Stellung beziehen: das hatte Faber aus den Exerzitien gelernt, und er lebte es wie kein Zweiter. Dennoch zögerte er nicht, die Gefolgsleute des Reformators als „Luther-Sekte“ zu bezeichnen. Er warf den kaiserlichen Städten vor, sie hätten den Eifer und ihre frühere Liebe vergessen. Gleichzeitig rät er in den Anweisungen für den Umgang mit Protestanten, die er seinem Gefährten Diego Laínez im März 1546 sandte, ihnen mit Liebe zu begegnen, denn sie hätten „das gute Gespür, nicht aber den guten Glauben“ verloren. Faber war nach dem Urteil des Hl. Ignatius der begabteste Exerzitienbegleiter. Aus den Exerzitien übernahm er eine weitere wichtige Grundhaltung: die Regeln zum Fühlen mit der Kirche. Mit viel Gespür, und zwar bevor das Konzil von Trient in den schwierigen theologischen Streitfragen der Reformation Stellung bezog, geben jene Regeln vor, wie man beim Sprechen und Predigen vorsichtig und ausgewogen vorgehen soll: Nicht mit Nachdruck über Rechtfertigung, Prädestination, Glaube und Gnade sprechen, weil sonst der freie Wille und die guten Werke – also die Wertschätzung für den menschlichen Beitrag zur Umsetzung des Reiches Gottes – darunter leiden. In Speyer lernte er Johannes Cochläus kennen, aus dessen Feder jenes biographische Bild von Luther geflossen ist, das am stärksten eine kritische und verdrehte Sicht auf Luther geprägt hat. Der berühmte Theologe machte bei Faber die Exerzitien, und es ist bezeichnend, wie Cochläus in einem Brief erinnert, dass der Jesuit aus Savoyen von ihm verlangte, nicht in dieser erbitterten Feindschaft zu verharren. Sie haben nicht den guten Glauben verloren. 10 Schwerpunkt Jesuiten n Juni 2014 n Ignatius und Luther

Er versuchte, ihm eine freundliche Einstellung beizubringen, gemäß dem oben erwähnten Vorsatz. Das Klischee des Ignatius als Anti-Luther förderte wenige Jahre später allerdings Pedro de Ribadeneira in seiner Ignatius-Biographie. Wie zunächst Cochläus, sparte er nicht mit Schmähungen gegen den Reformator und die Protestanten. Peter Faber rang in seinem Inneren mit zwei gegenläufigen Kräften: Zum einen war er sich sicher, dass die Wege der Protestanten falsch waren; er und die ersten Jesuiten waren der Ansicht, die Reformation sei eine Folge verkommener Lebensführung im Klerus und kirchlichen Amtsmissbrauchs. Zum anderen bemühte er sich um einen wertschätzenden Blick und eine wohlwollende Einstellung gegenüber allen Personen und ihren Beweggründen. Von daher kommt sein aufrichtiges Gebet für den Kaiser, für Luther, Melanchthon, Bucer, für Süleyman, Heinrich VIII. oder für die Städte Wittenberg und Genf. Ohne Zweifel liegt hier ein Keim jener geistlichen Ökumene verborgen, die das Ökumenismusdekret des II. Vatikanums vor Augen hat, wenn es nachdrücklich die persönliche Umkehr und das Gebet fordert (UR 8). Dennoch ist die Haltung des Konzils noch weit davon entfernt, Luther als Glaubenszeugen anzuerkennen, der sich innerlich tief von jener großen Frage bewegt fühlte: „Wie finde ich einen barmherzigen Gott?“ Ist das nicht derselbe barmherzige Gott, den Faber im dichten Nebel dieser schweren Kirchenkrise des 16. Jahrhunderts suchte? Santiago Madrigal SJ 11 Jesuiten n Juni 2014 n Ignatius und Luther © SJ-Bild / Müller Gelübdefeier des Ignatius und der ersten Gefährten auf dem Montmartre in Paris (1534) Gemälde von Konrad Baumeister 1881

Exerzitien und Ökumene Schweden Die ökumenische Situation in Schweden ist von einer großen Dynamik gekennzeichnet. Lutheraner und Katholiken stehen sich nicht einfach statisch und gleich stark gegenüber. Zahlenmäßig ist die ehemalige Staatskirche zwar in der Übermacht. Doch die junge, internationale und spirituell innovative katholische Minderheit fordert viele freikirchliche und traditionell lutherische Schweden heraus. So nimmt das Interesse an Ignatianischen Exerzitien unter nichtkatholischen Christen seit etwa 15 Jahren deutlich zu. Dies wird z.B. daran deutlich, dass die Diözese Uppsala der Schwedisch-Lutherischen Kirche regelmäßig einen Ausbildungskurs zur Exerzitien-Begleitung im Geist der Ignatianischen Spiritualität für Pastoren anbietet. Den Kurs leiten eine katholische Schwester, zwei Priesterinnen der Schwedischen Kirche und ich. Wir arbeiten dabei Hand in Hand mit unserem Newman-Institut, das den Teilnehmer/ innen Vertiefungskurse anbietet, etwa zur katholischen Theologie und zur Geschichte der ersten Jesuiten. Sie reflektieren, wie eine katholische Spiritualität in den lutherischen Kontext integriert werden kann. Die unvermeidlichen zwischenkirchlichen Spannungen werden in einer Atmosphäre des gegenseitigen Kennenlernens angesprochen und bearbeitet. Fredrik Heiding SJ Dresden Christen in Dresden sind mit knapp 20 Prozent Bevölkerungsanteil eine Minderheit. In einem solchem Kontext drängt sich eine ökumenische Zusammenarbeit geradezu auf. Im Haus HohenEichen hat diese Zusammenarbeit eine lange Tradition. Unser Grundsatz ist: Verbindendes betonen – Unterschiedlichkeiten respektieren. Ob bei Betrachtungsexerzitien, kontemplativen Exerzitien oder ökumenischen Exerzitien, ob bei Fortbildungsveranstaltungen für Exerzitienleiter oder bei den Ausbildungsangeboten zur Begleitung von Exerzitien im Alltag, immer geht es darum, sich gemeinsam vor Gott zu stellen, sich auf sein Wort auszurichten und die Möglichkeiten und Grenzen eines solchen Tuns zu erfahren. Heute gibt es eine institutionelle Zusammenarbeit zwischen HohenEichen und dem evangelischen Exerzitienhaus. Diese wird in der Öffentlichkeit sehr deutlich wahrgenommen. Die menschliche Nähe zueinander und die inhaltlichen Anliegen verbindet die Leiter der beiden Häuser. Wir sind uns darin einig: Exerzitien tragen dazu bei, die persönliche Beziehung mit Jesus Christus zu vertiefen und die Verantwortung für die Gestaltung unserer Welt zu stärken. Erfahren können wir das, wenn wir uns gemeinsam auf Gott ausrichten und uns dem Prozess der inneren Erneuerung immer wieder aufs Neue aussetzen. Und das deshalb, damit in allem sein Wille geschehe. Wilfried Dettling SJ 12 Schwerpunkt Jesuiten n Juni 2014 n Ignatius und Luther © Fotolia / Ganimeh

13 Martin Luther Denkmal in Dresden

Machen Unterschiede Unterschiede? Zur Konfessionalität des Religionsunterrichts in öffentlichen Schulen Wenn konfessioneller Religionsunterricht „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ (GG Art. 7, Abs. 3) erteilt wird, so richtet der Staat diesen zwar ein, aber er überträgt den Kirchen oder Religionsgemeinschaften im Rahmen des schulischen Bildungs- und Erziehungsauftrags die Verantwortung für Ziele und Inhalte dieses Unterrichts. Der Staat schützt auf diese Weise das religiöse Selbstverständnis seiner Bürgerinnen und Bürger und garantiert die Religionsfreiheit in öffentlichen Schulen. Der Staat verfolgt also einerseits keine eigenen religiösen Interessen, er wird nicht zu einem Gottesstaat, fundamentalistisch unverständig. Der Staat verfolgt aber andererseits auch keine strikten Trennungsabsichten, er verbannt nicht alles Religiöse aus dem öffentlichen Leben. Jedoch erlauben aktuelle religionsdemographische Entwicklungen in vielen Regionen des Bundesgebiets nicht mehr die Einrichtung katholischer und evangelischer Lerngruppen. Vielmehr stehen konfessionelle Kooperation und die Klärung der Frage an, wie die grundgesetzlich geschützte Idee des konfessionellen Religionsunterrichts und damit der normative Bezug zum kirchlichen Glauben sich unter veränderten Bedingungen bewähren können. Diesen Fragen widmet sich ein jüngst in Sankt Georgen eingerichtetes Projekt zur Unterrichtsforschung – unter dem Titel: „Machen Unterschiede Unterschiede?“ Politisch brisant bleibt dieses Vorhaben auch in einer Zeit, die Martin Luther weder als Herkules Germanicus glorifiziert noch als Pestis Germaniae verteufelt und Ignatius von Loyola nicht als restaurativen Gegenspieler des Reformators reinszeniert. Heute zielen die meisten Theologiestudierenden auf das Berufsfeld Schule. Als Lehrkräfte klären sie theologische Sachverhalte, sie bezeugen aber auch den Glauben ihrer Kirche. Weil sie selbst jener religiös pluralen Welt entstammen, die ihnen in der Schule begegnet, sind sie auf Unterstützung und Fortbildung angewiesen: Es kommt auf ihre spirituelle Haltung an. Sie sollen einen Raum eröffnen, in dem Schülerinnen und Schüler sich mit Religion ist und bleibt ein Lernprozess – auch für die Lehrenden 14 Schwerpunkt Jesuiten n Juni 2014 n Ignatius und Luther

dem auseinandersetzen können, was sie unbedingt angeht. Religion ist und bleibt ein Lernprozess – auch für die Lehrenden: Denn die Suchbewegungen der Heranwachsenden lassen sich nicht lenken und auf eine feste Auslegung von Gott und Welt ausrichten, die mit der Lehre unserer Kirche(n) übereinstimmt. Dem steht die religiöse Vielfalt heutiger Lerngruppen entgegen, aber auch unser Bildungsbegriff: Ich bilde mich, verrät die Sprache; eine Form der Bildung hingegen, die mir Andere aufprägen, macht mich nicht zu einem Gebildeten, sondern zu einem Gebilde. Gleichwohl bin ich darauf angewiesen, dass Andere mich auf meinem Bildungsweg unterstützen – im Sinne jenes diakonischen Grundzugs von Kirche, den Papst Franziskus erfreulich stark macht. Die Konfessionalität des Unterrichts sieht unter katholischen Vorzeichen anders aus als unter evangelischen oder jüdischen oder muslimischen. Entscheidend erscheint mir die Option, eine spezifische religiöse Tradition als die Quelle zu verstehen, die Prozesse religiöser Bildung zu inspirieren und Anreize zu einer eigenen Positionierung zu schaffen vermag. Auf diese Weise können Schülerinnen und Schüler in der Vielstimmigkeit ihrer Welt zur eigenen Stimme finden. Sie lernen mündig mit der grundgesetzlich verankerten Religionsfreiheit umzugehen. Eine solche Bewegung kann aber nur einsetzen, wenn religiöse Phänomene in ihrem eigenen Zusammenhang gelesen, aus einer Innenperspektive nachvollzogen und rekonstruiert werden. In konfessionell kooperativen Lernprozessen kommt es zudem darauf an, dass religiöse Phänomene durch Außenperspektiven in Frage gestellt und dekonstruiert werden, allemal in der Auseinandersetzung mit Ignatius und Luther. Klaus Kießling 15 Jesuiten n Juni 2014 n Ignatius und Luther © KNA-Bild / Ebel Martin Luther im Kreis von Reformatoren, Genfer Refomationsmuseum

Ignatius von Loyola, Peter Paul Rubens, 1620/22, Warwick 16

© creative commons Ignatianische Spiritualität und Ökumene heute Die Vielfalt entdecken Für Luther gab es nur die eine Kirche. Die wollte er reformieren. Das verbindet ihn mit Ignatius von Loyola. Verschiedene Kirchen und Konfessionen nebeneinander, das war vor 500 Jahren undenkbar. Die „Reformation“ der einen Kirche hat zur Spaltung geführt. Aber unser Herz sollte nach wie vor für diese eine Kirche brennen. Heute können wir in unseren Städten erfahren, dass Gottes Kirche immer schon vielfältig war. Denn durch die Zuwanderung von Christen aus Osteuropa, Asien und dem Orient kann jeder der will erleben, wie verschieden und reichhaltig der christliche Glaube in den Kulturen gelebt wird. Die Begegnung von Bischöfen aus dem Westen mit den orientalischen Bischöfen war schon für das Zweite Vatikanische Konzil eine solche Erfahrung, um Kirche und Katholisch wieder tiefer und lebendiger zu verstehen. In Deutschland bleibt Ökumene vor allem die Gemeinsamkeit in Gebet, Gespräch und Praxis zwischen Katholisch und Evangelisch. Aber die durch Zuwanderung vielen „kleinen“ Kirchen sind für die Ökumene der großen Kirchen ein unschätzbares Geschenk. Sie helfen uns, die Vielfalt zu entdecken, die Gott für uns bereitet hat, damit jeder von uns mit dieser einen Kirche fühlt und lebt und sich für ihre Reform einsetzt. Martin Löwenstein SJ Schweige und höre, neige Deines Herzens Ohr, suche den Frieden … Dieser Kanon bündelt für mich die Erfahrungen igantianischer Spiritualität, die ich bei ökumenischen Treffen und im Rahmen kurzer Begegnungen mit „Exerzitien im Alltag“ machen konnte. In besonderer Weise hat mich dabei immer wieder das Zu-Lassen einer Begegnung mit dem „Wort Gottes“ berührt. Im Meditieren eines biblischen Textes sich erfassen und bewegen zu lassen, diese Erfahrung war für mich überraschend und befreiend. Der Umgang mit dem Wort Gottes ist Ausgangspunkt der theologischen Reflexion meiner Arbeit. Die reformatorische Theologie und insbesondere Martin Luther haben die Kirche als „creatura verbi“, als Schöpfung und Gestalt des Wortes Gottes, neu begriffen. So ist die „rechte“ Vermittlung des Wortes Gottes in Verkündigung, Seelsorge und Bildungsarbeit der Selbstanspruch, den ich als evangelische Pfarrerin letztlich immer mit mir trage. „Schweige und höre…“, aus diesen Worten spricht das Vertrauen, dass Gottes Wort sich seinen Weg zu mir längst gebahnt hat, es also keiner besonderen Verstärkung braucht, sondern sich durch Gottes Geist da vermittelt, wo ihm Raum gegeben wird. Auf diese Weise wirkt Gottes Wort entgrenzend und grenzüberschreitend als die Triebkraft ökumenischer Arbeit. Ursula Schoen Schwerpunkt 17 Jesuiten n Juni 2014 n Ignatius und Luther

Ökumene der Märtyrer In seiner Enzyklika „Tertio Millennio Adveniente“ schreibt Johannes Paul II.: „Der Ökumenismus der Heiligen, der Märtyrer, ist vielleicht am überzeugendsten. Die Gemeinschaft der Heiligen spricht mit lauterer Stimme als die Urheber der Spaltung.“ (Nr. 37) Wenn das so ist – und es ist ja so –, warum wird dann im Land der Reformation nur so leise darüber gesprochen, dass in demselben Land, „Gott unter den Getauften die Gemeinschaft unter dem höchsten Anspruch des mit dem Opfer des Lebens bezeugten Glaubens“ aufrecht erhielt (vgl. Ut unum sint, Nr. 84). Wie kann man auf 1517 zurückblicken, ohne sich den Blick durch 1944/45 verstellen zu lassen? Kurze Erinnerung an das besonders markante Beispiel der Märtyrer-Gefährtenschaft von Alfred Delp SJ und Helmuth J. von Moltke: Gemeinsam standen sie am 10. Januar 1945 vor dem Volksgerichtshof, der sie zum Tode verurteilte: da man ihnen nichts anderes nachweisen konnte als dies, dass sie miteinander im Kreisauer Kreis gesprochen hatten. Was die Gefährten aber am Prozessverlauf überraschte, war: Der Anklagepunkt wurde dahingehend präzisiert, dass sie als Christen miteinander über die Zukunft Deutschlands konferiert hatten. Seiner Frau Freya schreibt Moltke: „Und dann wird dein Wirt [„Wirt“ ist die übliche Selbstbezeichnung Moltkes in den Briefen an seine Frau] ausersehen, als Protestant vor allem wegen seiner Freundschaft mit Katholiken attackiert und verurteilt zu werden, und dadurch steht er vor Freisler nicht als Protestant, nicht als Adliger, nicht als Preuße, nicht als Deutscher – das ist alles ausdrücklich in der Hauptverhandlung ausgeschlossen –, sondern als Christ und als gar nichts anderes ... Zu welch einer gewaltigen Aufgabe ist Dein Wirt ausersehen gewesen: All die viele Arbeit, die der Herrgott mit ihm gehabt hat, die unendlichen Umwege, die verschrobenen Zickzackkurven, die finden plötzlich in einer Stunde am 10. Januar 1945 ihre Erklärung. Alles bekommt nachträglich einen Sinn, der verborgen war.“ Und er fügt in eindrucksvoller Souveränität hinzu: „Das hat den ungeheuren Vorteil, dass wir nun für etwas umgebracht werden, was wir a. gemacht haben, und was b. sich lohnt.“ Das Jubiläum 2017 wäre eigentlich ein Anlass, diese beiden Texte radikal ernst zu nehmen. Eine „gewaltige Aufgabe“ entKonfessionsgrenzen durch das Martyrium überschreiten, die Kirche neu aufbauen. 18 Schwerpunkt Jesuiten n Juni 2014 n Ignatius und Luther

deckt Moltke. Es ist nicht mehr die Aufgabe, Deutschland nach dem Krieg wieder aufzubauen, sondern die noch größere, die Konfessionsgrenzen durch das Martyrium zu überschreiten, letztlich also: Die Kirche neu aufzubauen. Dazu sieht er sich rückblickend „ausersehen“. Das ist biblischer Sprachstil, „passivum divinum“. Moltke, der mit seinen Gefährten in der Gefangenschaft intensiv die Bibel gelesen hat, kennt die Sprache der Bibel. Er deutet sein Todesurteil geschichtstheologisch: Gott handelt in diesem Prozess selbst. Er hat Moltke „ausersehen“. Er gibt den ganzen Jahren vorher bis hin zum Prozess „nachträglich einen Sinn, der verborgen war.“ Und dieser Sinn heißt: Ökumene. Für Moltke „lohnt“ es sich, dafür zu sterben. Das ist der innere Friede, die „ignatianische“ Tröstung im Heiligen Geist, welche die theologische Erkenntnis Moltkes bestätigt. Glauben wir als Katholiken und Protestanten heute das, was Moltke da sagt? Wenn wir es glauben, dann hat das Konsequenzen. Dann ist das, was am 31.10.1517 in Wittenberg seinen sichtbaren Ausgang nahm, am 10.1.1945 in Berlin schon von Gott her überwunden worden. Wie kann man dann stehen bleiben und nicht eilends Schritte auf die volle Communio hin machen wollen? Die Ökumene der Märtyrer jedenfalls ist die eigentliche theologische Herausforderung an die Christenheit heute. Klaus Mertes SJ 19 Jesuiten n Juni 2014 n Ignatius und Luther © SJ-Bild © Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz Helmuth James Graf von Moltke und Alfred Delp SJ vor dem Volksgerichtshof, Berlin 10.1.1945

Gelebte Ökumene „Religion“ am Canisius-Kolleg Berlin „Hallo Chef“, so wurde ich einmal von Pater Mertes angesprochen, als er ins Lehrerzimmer kam. War nicht er als damaliger Rektor der „Chef“ des Canisius-Kollegs? Im Jahr 2007 war die Fachleiterin für Religion am CK erkrankt und hatte darum gebeten, mich als kommissarischen Fachleiter einzusetzen – obwohl ich Protestant bin! Der Rektor stimmte dem zu, und so war ich in dieser Funktion ihm als Religionslehrer sozusagen vorgesetzt. Vier Jahre lang übte ich dieses Amt kommissarisch aus, legte die entsprechenden Prüfungen ab, bewarb mich offiziell um die Stelle und bin seit Januar 2012 der wohl erste protestantische Fachleiter Religion an einer katholischen Schule. Bei anderen konfessionellen Schulen Berlins sieht das ganz anders aus. Selbstverständlich hat hier der Fachleiter Religion die Konfession des Trägers. In der Regel wird der Religionsunterricht auch ausschließlich in der Konfession erteilt, in deren Trägerschaft die Schule ist. Auch hier geht das CK seinen besonderen Weg. Der Religionsunterricht wird als katholischer und als evangelischer Unterricht angeboten. Nicht konfessionell gebundene Schülerinnen und Schüler nehmen in der Regel am katholischen Religionsunterricht teil. Immer wieder, z.B. bei gemeinsamen Projekten, werden die Gruppen zusammengeführt und von den beiden Religionslehrkräften gemeinsam unterrichtet. Mit den 8. Klassen führen wir alljährlich eine Exkursion zum „Hort der Reformation“ nach Wittenberg durch. Die wöchentlichen Gottesdienste der Sexten und Quinten werden konfessionsübergreifend gefeiert, in der Regel als Wortgottesdienst, aber auch als Heilige Messe. Das „Gottesdienstteam“, das diese Gottesdienste durchführt, vor- und nachbereitet, besteht aus Lehrerinnen und Lehrern beider Konfessionen – gelebte Ökumene. Mehr noch: Nicht zum ersten Mal feierte unsere Schule am Reformationstag 2013 in der evangelischen Kaiser-WilhelmGedächtniskirche im Zentrum Berlins einen Gottesdienst. Weshalb feiern wir als katholische Schule ein Ereignis, das zur Spaltung der Kirchen führte? Wir wollten damit nicht diese Frage einseitig beantworten. Entscheidend ist, dass wir uns als Protestanten ernst genommen fühlen. Ja, ich kann sogar konkret sagen: Ich fühle mich als Protestant von der katholischen Schulgemeinde, von den Jesuiten angenommen. Diese Wahrnehmung vermittelt sich auch den Schülerinnen und Schülern während ihrer Zeit am CK. Zu Beginn ihrer „Schullaufbahn“ erfahre ich immer wieder Ressentiments und Unsicherheit gegenüber der anderen Konfession. Bei den Katholiken kann eine vermeintliche Selbstgewissheit als „Rechtgläubige“ hin- 20 Schwerpunkt Jesuiten n Juni 2014 n Ignatius und Luther

zukommen, bei den Evangelischen eine gewisse Verunsicherung angesichts der Überzahl an Katholiken. Doch diese anfänglichen Irritationen legen sich während der Schulzeit recht schnell und spielen bald keine Rolle mehr. Wir versuchen zu einem anregenden Miteinander, einem gegenseitigen Lernen zu kommen. Da können auch unterschiedliche Denkweisen ans Tageslicht treten. Als wir einmal im Fachbereich über einen Text für die Homepage diskutierten, brachte ich die Formulierung ein, „im Zentrum des Religionsunterrichts steht die Botschaft vom Gekreuzigten“, eine Aussage, die für mich als Protestanten ganz selbstverständlich ist. Doch wie war ich überrascht, als die katholischen Kolleginnen und Kollegen dem heftig widersprachen und äußerten, es müsse doch heißen, „im Zentrum steht die Botschaft vom Auferstandenen“! Solche Diskussionen befruchten das Miteinander ungemein. Spreche ich mit Eltern am Tag der offenen Tür, an den Elternsprechtagen oder zu anderen Gelegenheiten über die ökumenische Situation an unserer Schule, so höre ich, dass sie den Weg, den das Kolleg hier einschlägt, kaum glauben mögen angesichts der Stagnation, die sonst im ökumenischen Dialog herrscht. Michael Ehrmann 21 Jesuiten n Juni 2014 n Ignatius und Luther in Motiv zum Themenjahr „Reformation und Politik“ der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) © ekd.de / Basti Arlt Luther-Statuen vor dem Reichstag in Berlin

Vom Ausrichten Wie ein Vorzeichen für jeden Tag, besonders aber für eine geistliche Übung, setzt Ignatius das sogenannte „Vorbereitungsgebet“: „Gott unseren Herrn um Gnade bitten, damit alle meine Absichten, Handlungen und Betätigungen rein auf Dienst und Lobpreis seiner göttlichen Majestät hingeordnet seien.“ (Exerzitienbuch Nr. 46) Dieses Gebet und eine erste Ahnung des Anspruchs, der da praktiziert werden soll, sind – wie oft bei Ignatius – zuerst einmal sperrig und fremd. Eigene Deutungsversuche brachten mich nicht weiter. Erst ein Spaziergang zu den mittelalterlichen Kirchen in Erfurt öffneten mir die Augen und erinnerten mich an Erfahrungen, die ich selbst schon längst gemacht hatte. Unsere Vorfahren gaben nämlich den Kirchen eine Ausrichtung, nach Osten, zur aufgehenden Sonne hin. Durch die Gewölbe und Fenster, durch die Portale und Gänge lenkten sie die Blicke und den ganzen Menschen. Das kann jeder auch heute noch erleben. Wie von selbst richten sich die Augen auf den Altar, auf ein Bild, auf ein Kreuz. Die Baumeister beherrschten die Kunst, den Menschen auf Transzendentes, Überschreitendes zu lenken. „Er leitet mich auf rechten Pfaden, treu seinem Namen.“ (Ps 3,3) Meine Eltern brachten uns Kindern das auf andere Weise bei: Bevor wir das Haus verließen und uns auf den Schulweg machten, stellten wir uns vor unser Kreuz, das in der Diele hing, und verrichteten unser Morgengebet. Damit waren die Vorzeichen vor den Tag gesetzt. Im Getümmel von Rom suchte ich in den letzten Jahren öfters einen Ort auf, der mir half, den Kopf wieder frei zu bekommen und meine Richtung wiederzufinden. Es war eine ganz einfache Kapelle, eigentlich eine Holzhütte am Stadtrand von Rom, in der immer schon Beterinnen waren, die das gleiche suchten. Vielleicht haben Sie also schon selbst Erfahrungen gemacht, von denen das „Vorbereitungsgebet“ spricht? Ignatius wollte wohl dem Leben vieler Menschen eine Richtung geben, in dem „alle meine Absichten, Handlungen und Betätigungen rein auf den Dienst und Lobpreis Gottes hingeordnet seien.“ Das fängt bei den kleinen Dingen am Morgen an und mündet in die Gesamtrichtung des Lebens. Es ist ihm so wichtig, dass er es immer wiederholt, insgesamt an 31 Stellen. Der Originaltext macht das noch deutlicher. Ignatius spricht von „intenciones, acciones, operaciones“. Da klingen also Neigungen, Ziele, Absichten, auch Motivationen an. Die „Handlungen und Betätigungen“ können das ganze Handeln, das innere und äußere, umfassen. Wenn Sie mit einen solchen Gebet Ihren Tag beginnen und an Ihre alltäglichen Aufgaben gehen, werden Sie feststellen, dass das überraschenderweise entspannt. Es wird klar, was an erster Stelle stehen soll. Nicht mehr der Druck, wie ich rechtzeitig noch eine bestimmte Aufgabe fertigstelle; auch die Zufriedenheit meiner Vorge- 22 Jesuiten n Juni 2014 n Ignatius und Luther Geistlicher Impuls

23 setzten, Kunden oder meine eigene sind nicht mehr das Wichtigste. Meine Arbeit soll für Gott und den Nächsten da sein, zum Dienst für Gott. Das altertümlich fremd klingende Wort „Lobpreis“ lässt ahnen, dass es um eine andere Melodie, nämlich das Danken, das Loben, das Preisen Gottes, geht, wie es in dem Lied „Alles meinem Gott zu Ehren“ anklingt. Nicht ein – noch göttlich verstärkter – Pflichtenkatalog oder eine Checkliste für mein Tagesprogramm stehen im Vordergrund, sondern Gottes Ehre. Das weitet nicht nur das Herz. Sie werden selbst Ihre Erfahrungen machen, wenn Sie einmal so in den Tag oder an die Arbeit gehen. Der geistliche Autor Henri Caffarel spricht vom „Autopilot“, der mit diesem Gebet „eingeschaltet“ wird, vieles bekommt dann wie von selbst eine Richtung. Oder vielleicht ist es, wie wenn Sie Ihr Navi auf „Zuhause“ einschalten. Eine moderne Übersetzung dieses Gebetes lautet: Guter Gott, ich möchte jetzt ganz bei dir sein: mit meinem Leib, mit meinem Geist, mit der Kraft und Liebe meines Herzens. Und ich bitte dich um die Gnade, dass alle meine Absichten, meine Handlungen und mein ganzes Dasein rein auf dich hin ausgerichtet seien. Amen. Konkrete Vorschläge: • Womit fange ich den Tag an und womit schließe ich? • Welches Zeichen in meiner Wohnung kann mir eine Ausrichtung geben? • Jede Wohnung hat eine eigene „Erinnerungs-Ecke“. Wovon erzählt sie und woran erinnert sie mich? • Welchen Ausdruck findet ein „Lobpreis Gottes“ in meinem Alltag? • Wie könnte mein eigenes „Ausrichtungs-Gebet“ lauten? Christoph Kentrup SJ Foto: suze/photocase.com

200 Jahre Wiedererrichtung des Jesuitenordens (1814-2014) Von Roothaan zu Lefrank: Jesuiten in der Exerzitienarbeit Nach der Wiedererrichtung des Ordens 1814 spielte in der Exerzitienbewegung der damaligen Generalobere Roothaan eine wichtige Rolle. Die Jesuiten waren bis zur Aufhebung des Ordens den Geistlichen Übungen der lateinischen Übersetzung gefolgt. Mit seiner Neuübersetzung ging es Roothaan darum, die Gesellschaft Jesu in ihrem Verständnis der Geistlichen Übungen an den ursprünglichen spanischen Text von Ignatius heranzuführen. 1834 bestand Roothaan darauf, dass im Noviziat und im Tertiat wieder die vollen 30-tägigen Exerzitien gehalten werden, und zwar genau nach dem Exerzitienbuch von Ignatius. In der Zeit vor dem II. Vatikanum gab es einen Neuaufbruch in den Exerzitien, vorbereitet durch die Arbeiten von Hugo Rahner und Erich Przywara. Eines der wichtigsten Anliegen war dabei, von den Vortragsexerzitien wegzukommen, hin zu mehr persönlich begleiteten Einzelexerzitien. Ebenso wichtig war, dass auch Ordensschwestern und Laien, Männer und Frauen Exerzitien begleiten durften. In den deutschsprachigen Ländern gab es seit 1968 jährliche Exerzitienwerkwochen. Seit 1987 wurde durch die „Gruppe ignatianischer Spiritualität“ (GIS) der Patres Lefrank, Falkner und Hock in Weiterentwicklung eines Exerzitienseminars der „Gemeinschaft christlichen Lebens“ (GCL) eine zweijährige „Exerzitienleiterausbildung“ in Gang gesetzt. Auch das Institut der Orden (IMS) veranstaltete unter Peter Köster Seminare für Exerzitienleiter. Wiederum andere Ausbildungskurse wurden von André Falkner und Paul Imhof angeboten. Die „Korrespondenz zur Spiritualität der Exerzitien“, herausgegeben von der GCL bearbeitete seit Mitte der 60er Jahre, zahlreiche Themen der Exerzitienarbeit, unter anderem auch in Kooperation mit der ADDES (Diözesane Exerzitienreferate). Dort spiegelt sich die ganze Entwicklung der Exerzitien, herausgefordert durch die Psychologie, die Exegese, die Leibarbeit (Eutonie), die Meditations-Bewegung auch durch östliche Formen wie dem Zen. Parallel dazu entwickelten sich weitere Formen wie z.B. die Bewegung der Exerzitien im Alltag, Online-Exerzitien, Exerzitien mit Filmen und die Straßenexerzitien von Pater Christian Herwartz. Wichtig war auch, dass die ignatianischen Exerzitien im Bereich der evangelischen Kirche gute Aufnahme erfuhren und dadurch eine neue Basis für ein ökumenisches Miteinander bildeten. Dabei spielten evangelische Klöster (Selbitz, Wülfinghausen, Schwanberg und Kloster Bursfelde), das Pastoralkolleg der Evang.- Lutherischen Kirche in Bayern und das Referat Geistliches Leben in der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau eine Rolle. Gundikar Hock SJ 24 Jesuiten n Juni 2014 n Ignatius und Luther

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