Exerzitien

„Exerzitien? Was ist das? Hat das was mit Exorzismus zu tun?“, fragen manchmal Menschen, wenn sie das Wort „Exerzitien“ zum ersten Mal hören. Sobald ich ihnen die Bedeutung des für sie komisch klingenden Wortes zu entschlüsseln versuche, reagieren sie überrascht und zugleich neugierig.

Meistens beginne ich mit einer etymologischen Erklärung des Wortes, also mit dessen Herkunft. Das Wort „Exerzitien“ kommt vom lateinischen „ex-ercere“, was so viel bedeutet wie „üben, einüben, trainieren, sich mit etwas intensiv beschäftigen“, um schließlich mit der Zeit soweit zu kommen, dass man mit einer gewissen Selbstsicherheit „etwas handhaben, bearbeiten, ausnutzen“ kann.

Unser Ordensgründer Ignatius von Loyola (1491-1556) greift in seinem Exerzitienbuch bei der Erklärung des Begriffs „Exerzitien“ Tätigkeiten auf, die allen vertraut sind. Er spricht zunächst von körperlichen Übungen wie „umhergehen, wandern und laufen“. Und dann kommt er auf „geistliche Übungen“ zu sprechen und bezeichnet damit jede Weise, „das Gewissen zu erforschen, sich zu besinnen, zu betrachten, zu beten und andere geistliche Betätigungen“.

Das eigene Leben ordnen

Während es beim Sport und bei körperlichen Übungen um Wiedererlangung oder Erhaltung der Gesundheit geht, haben die geistlichen Übungen einen anderen Zweck, nämlich, das eigene Leben zu ordnen bzw. neu auszurichten. Dazu ist es hilfreich, sich Zeiten der Stille zu nehmen inmitten des Alltags oder auch in der Abgeschiedenheit eines Klosters oder Exerzitienhauses.

Vom großen Komiker Karl Valentin stammt der bekannte Ausspruch: „Heute mach‘ ich mir eine Freude und besuch mich selbst. Hoffentlich bin ich daheim!“ Wir sind meistens „draußen“ unterwegs und mit allem Möglichen beschäftigt. Exerzitien sind eine Gelegenheit, innezuhalten und bei sich selber einzukehren. „Exerzitien“ kommt wie gesagt vom lateinischen „exercere – üben“. Doch seine eigentliche Wurzel lautet „arcere“, und das heißt „einschließen, umzäunen, umhegen“. In Exerzitien „schließen“ wir uns ein in einen äußeren Raum der Stille, um auch innerlich zunächst allen Lärm und alle Unruhe sich setzen zu lassen. Wenn wir dann allmählich bei uns selbst ankommen, kann Überraschendes zutage treten, Schönes, Freudiges, aber auch Trauriges und Leidvolles, vor allem dann, wenn wir uns nicht nur im schönen „Wohnzimmer“ aufhalten, sondern auch hinuntersteigen in den „Keller“.
 

Wachsamkeit für innere Bewegungen

Exerzitien sind nicht bloß eine „Kopfsache“, in denen ich versuche, rein auf der Verstandesebene zu bleiben, sondern Exerzitien wollen den ganzen Menschen ansprechen, auch das Herz und die Gefühle. Für Ignatius von Loyola war es immer wichtig, auch auf die inneren Regungen (mociones) zu achten. Er hatte selbst entsprechende Erfahrungen gemacht. Als er mehrere Monate mit zerschmettertem Knie auf dem Krankenlager zubrachte, hing er verschiedenen Tagträumen nach. Er träumte davon, sein Leben als Edelmann bei Hof zuzubringen. Diese Vorstellung ermüdete ihn mit der Zeit. So begann er ein Buch über das „Leben Jesu“ und Heiligengeschichten zu lesen. Dabei machte er eine wichtige innere Entdeckung! Das Träumen von Heldentaten in der Nachfolge Christi „nährte“ seine Seele länger als andere Tagträume. Es war eine erste Beobachtung und Unterscheidung von inneren Seelenbewegungen mit weitreichenden Konsequenzen.

Die zunehmende Wachsamkeit diesen inneren Bewegungen gegenüber ließ ihn aufbrechen aus seinem alten Leben und führte ihn als Pilger durch viele äußere und innere Landschaften und machte aus ihm einen Ordensgründer und gesuchten Begleiter vieler Menschen. Von daher spielen Wahrnehmen und Unterscheiden der inneren Bewegungen in den Exerzitien eine wichtige Rolle. Vier Augen sehen bekanntlich mehr! Und deswegen steht einem in Exerzitien eine Begleiterin/ein Begleiter zur Seite, mit der/dem man sich täglich trifft, um über das zu sprechen, was einen innerlich bewegt hat. Ausgehend von diesem Begleitgespräch bekommen die Exerzitanten dann einen Bibeltext, ein Bild oder sonst einen Text mit, anhand dessen sie ihren Weg weitergehen können. Gerade durch die Beschäftigung mit Bibeltexten kann einem deutlich werden, dass das Wort Gottes lebendig und kraftvoll ist und dass es einen mit dem in Kontakt bringt, der der Weg ist und uns zu einem sinnerfüllten Leben führen will!

Albert Holzknecht SJ


Verschiedene Exerzitienformen

Exerzitien funktionieren nicht nach dem Motto: „Ich habe ein Problem und die Exerzitien werden es schon lösen.“ Zu fixe Erwartungen stehen fruchtbaren Exerzitien eher im Wege. Wichtig ist, Offenheit, Lust und Mut mitzubringen und sich auf den Prozess der Exerzitien einzulassen. Neben klassischen Einzelexerzitien gibt es eine Fülle weiterer Formate wie Wanderexerzitien, Straßenexerzitien, Schreibexerzitien, Filmexerzitien, Exerzitien mit Bibliodrama und Kurzexerzitien für junge Erwachsene.

  • Klassische ignatianische Exerzitien

    Schweigen und hören

    Exerzitien fordern heraus und sind intensiv. Aber sie sind immer eine bereichernde und überraschende Zeit zwischen Gott und dem oder der Übenden. Klassische ignatianische Exerzitien, die normalerweise sechs bis zehn Tage dauern, orientieren sich am Exerzitienbuch des hl. Ignatius von Loyola. Wesentliche Elemente sind durchgehendes Schweigen, mehrere feste Gebetszeiten am Tag, Teilnahme an der Eucharistiefeier und ein tägliches Einzelgespräch mit dem Begleiter oder der Begleiterin.

    Üben und ordnen

    Die Übenden beten mehrere Stunden am Tag meist mit Hilfe von Texten der Bibel. Im täglichen Begleitgespräch werden diese Impulse von der Begleitperson für das Gebet mitgegeben, je nachdem, welche Bibelstelle gerade zur jeweiligen Situation und inneren Dynamik passt. Manchmal ist es aber auch ein Bild, ein Gebet oder eine Lebenssituation, die betrachtet werden. Der Exerzitant oder die Exerzitantin kommt dann mit Hilfe dieses „Inhalts“ mit Gott über das je eigene Leben und über die Beziehung zu ihm ins Gespräch, wobei das Gebet immer wieder auch sehr einfach und schlicht sein wird, stilles Dasein vor Gott.

    Große Exerzitien

    In der Ursprungsform, den sogenannten Großen Exerzitien, die 30 Tage dauern, werden  neben „Schlüsselmeditationen“, die Ignatius vorgibt, vor allem die Geheimnisse des Lebens Jesu Christi von seiner Geburt über Leiden und Sterben bis zu seiner Auferstehung betrachtet. Der Exerzitiant oder die Exerzitantin sucht so, Jesus Christus mehr kennen und lieben zu lernen und zu erspüren, wie er oder sie ihm konkret nachfolgen kann.

  • Kontemplative Exerzitien

    Betrachten und schauen

    Das Wort «Kontemplation» kommt vom lateinischen Verb «contemplari» und bedeutet «betrachten, schauen». Es geht in der Kontemplation darum, das stille Wirken Gottes in sich selbst und im eigenen Leben wahrzunehmen. Kontemplation ist ein ganzheitlicher Weg und führt von der Unruhe des Geistes zur Ruhe des Herzens, von der Zerstreuung in ein achtsames Wahrnehmen.

    Verweilen und vertiefen

    Kontemplative Exerzitien führen in eine Kommunikation mit Gott, die in einem stillen Verweilen in seiner Gegenwart besteht. So wie gute Freunde tief miteinander verbunden sein können, ohne dass sie viel miteinander reden. Im christlichen Kontext ist diese Weise des Betens aus dem Herzensgebet der ersten Wüstenväter erwachsen. Mit Hilfe eines Psalmverses oder Gebetswortes, das ständig innerlich wiederholt wird, versuchen die Exerzitanten in der Gegenwart Gottes zu verweilen. Dies geschieht in der Weise des Jesusgebetes, wenn nicht nur ein inneres Wort wiederholt wird, sondern mit dem Namen „Jesus Christus“ gebetet wird.

    Der Grieser Weg

    Das Exerzitienhaus Gries ist ein Werk der Zentraleuropäischen Provinz der Jesuiten, das 1984 von Pater Franz Jalics SJ gegründet. Es gilt als Mutterhaus der kontemplativen Exerzitien. Der sogenannte Grieser Weg beginnt mit Wahrnehmungsübungen in der Natur und Atem- bzw. Körperwahrnehmungsübungen. Es folgt das aufmerksame Erspüren der Handmitten als ein Tor, das uns in die Gegenwart führen kann. Dann führen wir in die Meditation mit einem inneren Wort, das mit dem Atemrhythmus verbunden wird und auf dessen Klang und Resonanz in uns wir achten. Das Beten mit dem Namen Jesus Christus ist das Herzstück unseres Gebetsweges. In unseren Gebetsübungen disponieren wir uns für eine lebendige Beziehung zu Jesus Christus indem wir das üben, was für eine Beziehung wesentlich ist: Aufmerksamkeit, Präsenz und Du-Bezogenheit.

    Hier finden Sie einen Erfahrungsbericht.

  • Film-Exerzitien

    Vom Film zur eigenen Geschichte

    Mancher Film wirkt wie ein Schlüssel zu fremden Sälen unseres eigenen Schlosses und hilft bei dieser Art von Exerzitien, uns Gott zu nähern. Die Botschaft von Filmen erfassen wir, selbst wenn wir von Religion nichts mehr erwarten. Filme legen die Perspektive auf Größeres, Allumfassendes frei. Sie eröffnen nicht nur neue Geschichten, sondern ermutigen auch zum neuen Blick auf eigene Geschichten. „Movie“, das englische Wort für Film, bedeutet gleich zweifaches Bewegen: Einerseits drückt es aus, dass in einem Film Bilder bewegt werden. Anderseits meint es, dass die Bilder uns Zuschauerinnen und Zuschauer emotional anrühren - bewegte und bewegende Bilder für unseren eigenen Film.

    Filme setzen Impulse

    Film-Exerzitien dauern in der Regel sechs bis acht Tage. Es sind klassische ignatianische Einzel-Exerzitien im Schweigen, doch die geistlichen Impulse werden nicht vom Kursleiter, sondern von Filmen vermittelt. An den ersten drei Abenden wird jeweils ein Film gezeigt, darauf folgt ein stiller Tag. Das ist sehr notwendig, weil in Exerzitien die Filme eine Intensität entwickeln, die man im Alltag sonst nicht kennt. Normalerweise geht man zusammen ins Kino, bespricht gleich das Gesehene, und dann geht der Alltag weiter. Wenn ich jedoch mit niemandem Gedanken austauschen und auch nicht in alltägliche Geschäftigkeit abtauchen kann, sondern mit mir und meinen Eindrücken ganz allein in der Stille bin, dann entwickeln die Filme eine geradezu überwältigende Kraft. Am vorletzten Abend gibt es nochmals einen Film und dann klingt die Woche mit dem Angebot einer eucharistischen Anbetung aus. Ein weiteres wesentliches Element für die Gruppe ist die tägliche Eucharistiefeier: Man erfährt sich als feiernde und betende Gemeinschaft im Angesicht Gottes. Was sonst jeder individuell tut, nämlich Beten in Stille und Abgeschiedenheit, wird in der Gruppe zur gemeinsamen religiösen Erfahrung.

    Hier erfahren Sie mehr.

  • Surf & Soul

    Vom Surfen fürs Leben lernen

    Surf & Soul ist ein Exerzitienformat, das Windsurfen und klassische Elemente der ignatianischen Tradition verbindet. Surfen ist ein Sport, der nicht nur den Körper herausfordert, sondern auch spirituelle Komponenten wie zum Beispiel Demut gegenüber Wind und Wasserkraft kennt. Metaphern wie Balance finden, Ziele setzen und ansteuern, Frust und Freude, Orientierung, Halt etc. bilden die Brücke zwischen Surfkurs, Geistlichen Übungen und persönlichem Alltag.

    Mit Gott auf den Wellen reiten

    Diese Grundbegriffe der Spiritualität werden zusammen mit den persönlichen Erfahrungen auf dem Wasser reflektiert und auf die Relevanz für das je eigene Alltagsleben hin befragt. Surf & Soul bietet sowohl einen VDWS-konformen 12-stündigen Windsurfkurs (ggf. mit Prüfung) als auch Zeiten der Stille, Anleitung zu Gebet und Meditation sowie Impulse zur persönlichen Reflexion. Vorkenntnisse sind weder erforderlich noch hinderlich. Veranstaltet von Esther Göbel, Pastoralreferentin im Erzbistum Berlin und VDWS Windsurf Instructor.

    Hier finden Sie einen Erfahrungsbericht von Dag Heinrichowski SJ.

  • Straßenexerzitien

    Die Straße ist der brennende Dornbusch

    Straßenexerzitien kommen ohne Exerzitienhaus mit Kapelle und Meditationsraum aus. Stattdessen finden sie, wie der Name sagt, auf der Straße statt. Das ist wörtlich gemeint. Maßgeblich ist die Erfahrung des Moses am brennenden Dornbusch (Ex 3,1-14). Während seines normalen Ziegenhütens geht er über die Grenze seines üblichen Gebietes hinaus. Als er den Rand seiner Welt überschreitet, macht er eine Erfahrung der Gegenwart Gottes, und zwar an einem unwirtlichen Ort. Dornbüsche sind nicht schön, attraktiv oder verheißungsvoll.  Mose geht hellwach dorthin, ihm fällt auf, dass der Dornbusch zwar brennt, aber nicht verbrennt. Beim Busch angekommen, wird er mit seinem Namen angesprochen und lernt, dass er an einem heiligen Ort ist. Denn er begegnet Gott, der seinen Namen offenbart.

    Die Schuhe der Bequemlichkeit ablegen

    Die Straßenexerzitien greifen dies auf: Gott zeigt sich an Orten, die wir nicht mögen, die die Dornbüsche unseres Lebens darstellen. Dort erfahren wir unseren Weg, den wir im Auftrag Gottes gehen sollen. Gott lädt uns ein zu Begegnungen mit Menschen am Rand, die wir uns nicht aussuchen, in ungewohnten Milieus, an neuen Orten, bei Menschen, die Jesus seligpreist. Bei dieser Begegnung mit Gott soll Mose seine Schuhe ausziehen. Was Mose wortwörtlich tut, machen die Teilnehmenden der Exerzitien im übertragenen Sinn. Es geht darum, in der Begegnung mit jenen, die durch das soziale Netz gefallen und ganz unten angekommen sind, die Schuhe der Belehrung, des überlegenen Besserwissens, der bürgerlichen Sicherheit abzulegen. Genauso wie Mose mit Gott in Augenhöhe spricht, so nah kann eine Begegnung werden in Straßenexerzitien. Straßenexerzitien wollen die Begegnung mit Fremden einüben, sich einlassen auf Arme, Kontakt suchen mit dem, was ganz anders ist als ich, an neuen Orten, in neuen Gesprächen.

    Hier erfahren Sie mehr.

  • Online-Exerzitien

    Im Alltag Gott finden

    Unser Alltag ist in der Regel bestimmt durch den Rhythmus von Arbeit und Erholung. Oft wirkt der Versuch, noch „etwas Geistliches“ in diesen Rhythmus einzubauen, nur wie eine zusätzliche Belastung, ein weiterer Termin. Die Online-Exerzitien wollen helfen, aus dieser Zwickmühle herauszukommen, ein Leben in und mit der liebenden Gegenwart Gottes zu erproben, im Alltäglichen  – ergebnisoffen, ohne Leistungsdruck, aber doch nicht unverbindlich. Anders als bei vielen Exerzitienkursen wird keine Verwurzelung im christlichen Glauben vorausgesetzt. Gerade Anfänger*innen und Wiedereinsteiger*innen in Sachen Glauben sind besonders angesprochen – ohne andere auszuschließen.

    Tägliche Impulse für kurze Pausen

    Jeden Morgen gibt es einen Impuls, kurz genug, dass man ihn in der Mittagspause, auf dem Nachhauseweg oder wo auch immer bedenken kann. Einige Teilnehmer*innen beginnen spontan, mit Gott darüber zu reden, andere denken einfach über die Impulse nach. Das, was sie bewegt, halten sie am Abend in ein paar Sätzen fest. Diese Notizen sind Grundlage für den verpflichtenden Bericht, den die Exerzitant*innen einmal pro Woche – insgesamt also vier Mal im Rahmen der 28-tägigen Exerzitien – per E-Mail an ihren Begleiter, ihre Begleiterin schicken. Diese können sich so ganz auf die Situation der Exerzitant*innen einstellen, ihnen zurückmelden, was sie hören und so helfen, tiefer und umfassender wahrzunehmen und – es geht ja um Exerzitien – Spuren Gottes zu entdecken, wo der/die Übende sie vielleicht noch nicht gesehen hat. Sie können die nächsten Impulse passgenau auswählen, können ggf. helfen, mit Schwierigkeiten, Erfahrungen, Situationen so umzugehen, dass es die Exerzitant*innen weiterführt. So sind die Online-Exerzitien individuell begleitete Einzelexerzitien – mitten im Alltag.

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