Wenn ein junger Mann sich entschließt Jesuit zu werden, kommt er zunächst für zwei Jahre ins Noviziat. Dort lernt er, was es heißt Jesuit zu sein und vor allem lernt er die Spiritualität des heiligen Ignatius von Loyola kennen. Wie man spirituell „Jesuit sein“ jungen Männern beibringt, erklärt Thomas Hollweck SJ. Er war bis 2024 Novizenmeister der Jesuiten im Innsbrucker Noviziat.
Wenn jemand im Noviziat anklopft und hereinkommt, um möglicherweise Jesuit zu werden, sage ich ihm etwas zugespitzt: „Ich möchte nicht, dass Sie Jesuit werden. Mein Wunsch für Sie ist, dass Sie im Vertrauen auf Gott Ihren persönlichen Weg finden und eine gute Entscheidung treffen können, wie auch immer diese am Ende aussehen mag. Wenn das möglich wird, ist das ein Grund zum Feiern.“
Die spirituelle Ausbildung im Noviziat besteht insofern in einer gewissen Paradoxie: Die jungen und bisweilen nicht mehr so jungen Männer sollen in aller Freiheit ihre eigene Persönlichkeit mit allen Gaben und Grenzen, mit Kopf und Herz, Körper und Geist, auch mit ihren Macken und Möglichkeiten immer deutlicher entdecken, entwickeln und wertschätzen können, ohne dabei durch ein Programm „zum Jesuiten gemacht“ zu werden. Wenn aber jemand im Laufe des Noviziates immer mehr sich selber entdeckt und angenommen hat und dabei – mit innerem Frieden und einem anhaltenden Gefühl der Stimmigkeit – merkt, dass sein Weg im Orden, also in einer Gemeinschaft mit gemeinsamen Projekten, weiter geht, dann sollte das Noviziat zu seiner Formung so beigetragen haben, dass er sich selber und andere ihm sein Jesuit-sein glaubwürdig anmerken können.
Spiritualität, nicht nur die ignatianische, sondern jede Spiritualität, die den christlichen Geist der Freiheit der Kinder Gottes atmet, gibt Raum, dass ein Mensch sich entfalten kann und auf seine Weise – wie er eben geschaffen und von Gott gewollt ist – die Sinnzusammenhänge seines Lebens immer mehr findet und „Gotteskontakt“ leben kann, was beides eng verbunden ist. Spiritualität ist nichts Abgehobenes, kein Säuseln über den Wolken, sondern zu einem großen Teil die Weise, mit dem Unmittelbaren umzugehen. Welche hellen oder dunklen Gefühle jemand gerade spürt; ob er einen lebendigen Zugang zu seinem Körper hat oder diesen gerade kopflastig vernachlässigt; menschliche Offenheit und innere Widerstände; die Fragen, die einen gerade umtreiben; eine Erinnerung aus der eigenen Biographie, die gerade schmerzlich oder freudig bewusst wird; ein hoffnungsvoller Tagtraum für die Zukunft oder ein beunruhigender Traum aus der letzten Nacht; wie Gemeinschaftsleben geht und wie ich mit Einsamkeit umgehe – was auch immer gerade auftaucht und sich mir zu Wort meldet, ist aktueller „Stoff“ für das geistliche Leben. Weil alles zu meiner Wirklichkeit gehört und in die Beziehung mit Gott hineingehört, im Idealfall hineinwill.
Die Bereitschaft und das Gespür dafür dürfen in verschiedenen Zusammenhängen wachsen:
Im Noviziat sind dazu an mehreren Stellen Exerzitien eingebaut, monatliche Besinnungstage, täglich Zeiten des expliziten Gebetes und der Stille, auch Wahrnehmungsübungen. Wenn es leiser wird um mich und in mir und meine Hörfähigkeit wächst, kann Neues hörbar werden, aber auch Altes, das längst mir etwas sagen möchte. Begegnung mit mir selbst (die nicht immer leicht und lustig ist) und „Gottesbegegnung“ (auch wenn sie vielfach nur tastend und mühsam und immer unbegreiflich ist) dürfen einen gemeinsamen Pfad beschreiten.
Ebenso gehören zum Noviziat „Experimente“, also Zeiten, wo „experimentiert“, ausprobiert, entdeckt werden darf. Nichts muss dabei perfekt laufen oder von Erfolg gekrönt sein. Aber die Bereitschaft braucht es, einzusteigen und weiter zu gehen, zu lernen, insofern das Leben einem immer etwas beibringt, wenn ich es nicht abblocke. Was zeigt sich, wenn einer acht Wochen im Krankenhaus in der Pflege mithilft und dabei darauf achtet, Menschen respektvoll und aufmerksam zu begegnen? Was passiert, wenn zwei Novizen miteinander für vier Wochen ohne Geld pilgern und sich Essen und Unterkunft erbitten müssen? Wie geht Lieben in der Begegnung mit Obdachlosen, Heimatlosen, Sprachlosen, Gefangenen, Aufgeschlossenen, Kirchenkritikern? Wie gehe ich in Kontakt mit Jugendlichen, Alten, Sympathischen und den anderen, die mir begegnen?
Und dann ist da die Gemeinschaft. Nicht der leichteste „spirituelle Ort“ für (angehende) Jesuiten, die sich spontaner auf die Kunst der individuellen Entwicklung und persönlichen Gottesbeziehung verstehen. Und doch (frei nach Dietrich Bonhoeffer): Christus im Andern erkennt manchmal mehr als Christus in mir. Es ist gut, auf ihn zu hören und mich auf ihn einzulassen. Außerdem ist da das Wort Jesu – wohl gerade für Menschen gesprochen, die sich Jesuiten und seine Gefährten nennen wollen: „Wo zwei oder drei …“ Das Leben miteinander, die Auseinandersetzung in der Gruppe, das gemeinsame Arbeiten, Denken, Planen, Ringen, Eucharistie feiern, Freizeit gestalten, auch das Einüben, sich ehrlich und wertschätzend kritische Rückmeldungen zu geben, tragen dazu bei, dass mehr Persönlichkeit, mehr Selbstbewusstsein, mehr Vertrauen, mehr Offenheit, mehr Klarheit entsteht. Eine überzeugende Glaubensgemeinschaft geht nicht im Singlemodus.
Was im Laufe des Noviziates herauskommt? Es ist immer wieder spannend. Ein lebendiger Mensch hoffentlich immer. Bisweilen zugleich ein Jesuit. Es dürfte durchaus öfter vorkommen. Vermutlich wäre es für viel mehr Menschen ein lohnender Lebens-Weg, wenn sie auf diese gute Idee kämen.
Pater Thomas Hollweck SJ war von 2015 bis 2024 Novizenmeister des Jesuitenordens in Zentraleuropa. Zuvor war der gebürtige Oberpfälzer als Spiritual und Priesterseelsorger im Erzbistum Hamburg tätig. 1992 ist er in die Gesellschaft Jesu eingetreten. Nach einem Aufbaustudium in "Spiritueller Theologie" in Madrid wurde er 1999 in St. Michael in München zum Priester geweiht. Ab 1998 arbeitete er in der Hochschulpastoral in München und von 2003 bis 2009 als Kirchlicher Assistent der Gemeinschaft Christlichen Lebens (GCL) in Deutschland.