P. Jan Korditschke und das Einmaleins der Exerzitien

Fernöstliche Meditationspraktiken sind weithin populär, dabei hält auch die christliche Tradition Formen für innere Betrachtung, Spiritualität und Gottesbeziehung bereit, die es lohnt wiederzuentdecken. Ein besonders gutes Werkzeug sind die Exerzitien, die Ignatius von Loyola vor 500 Jahren als „geistliche Übungen“ entwickelt hat. Pater Jan Korditschke SJ ist Seelsorger und Kursleiter im Exerzitienhaus HohenEichen bei Dresden. Hier beantwortet er die wichtigsten Fragen für Neugierige und Anfänger.

Was sind Exerzitien?

Im Alltag sind wir Menschen oft hin- und hergerissen zwischen den vielen Stimmen in uns und um uns herum. Manches zerrt von außen an uns. Auch in uns selbst geht es hoch her: Der Kopf will eine Sache, der Bauch verlangt etwas anderes, und das Herz möchte noch einmal ganz etwas anderes. Exerzitien sind Übungen, um aus dem Lärm des Alltags herauszutreten, das Durcheinander der vielen Stimmen zu sortieren und auf das zu hören, was Gott uns durch Worte der Bibel, durch die Natur und durch Ereignisse unseres Lebens sagen will. Mit Exerzitien können wir einen frischen Blick auf Sinn und Ziel unseres Lebens sowie ein neues Gespür für unseren persönlichen Weg gewinnen.

Was macht man bei Exerzitien?

Üben, immer wieder üben! Um deutlicher zu spüren, wonach wir uns eigentlich sehnen. Um uns bewusster zu werden, wie sehr Gott sich nach uns sehnt. Um mehr Raum zu haben für die Begegnung mit Gott, der uns seine Liebe zeigen will. Um besser wahrzunehmen, was uns bewegt. Um die Bilder mehr in Frage zu stellen, die wir uns von uns selbst und von Gott gemacht haben.

Wie konkret geübt wird, hängt stark vom Exerzitienformat ab. Bei vielen Kursen hat jede*r Übende für die gesamte Dauer der Exerzitien eine feste Begleitperson, mit der er*sie einmal am Tag ein Gespräch führt. In diesem Gespräch werden die Übungen für die nächsten 24 Stunden je nach Situation der Einzelnen festgelegt. Oft gibt die Begleitung ein oder zwei Bibelstellen mit, die über den Tag verteilt insgesamt drei- bis viermal jeweils 30 bis 60min lang meditiert werden.

Exerzitien finden oft in durchgehendem Schweigen statt, um Ablenkungen zu vermeiden und sensibler zu werden für das, was sich im eigenen Inneren tut. Die Teilnehmenden werden gebeten, für die gesamte Zeit des Kurses „offline“ zu gehen. Lektüre und Musikhören sind auch nicht vorgesehen. Für viele ist das eine echte „Challenge“!

Sie haben gesagt: Die Begleitung gibt den Übenden Bibelstellen zum Meditieren mit. Wie meditiert man eine Bibelstelle?

Die Übenden meditieren die Bibelstelle, indem sie auf spielerische Weise ihre Vorstellungskraft einsetzen. Viele kennen das von Traumreisen aus der Schule: Ich versetze mich mit Hilfe meiner Fantasie in eine Szene. Ich stelle mir konkret den Raum vor, in dem die Szene spielt, die Personen, die vorkommen, sowie das, was diese Personen sagen oder tun. Ich achte dabei auf alles, was ich mit meinen Sinnen wahrnehmen könnte: Wie sieht es da zum Beispiel aus? Was höre ich?

Bei der Bibelmeditation versuche ich mich in die einzelnen Figuren einzufühlen: Was denken oder empfinden sie gerade? Wie ist die „Chemie“ zwischen den Personen der Szene? So lasse ich die biblische Szene innerlich lebendig werden, „inszeniere“ sie in meinem Bewusstsein neu.

Dieses Vorgehen bewirkt, dass ich viel tiefer vom Bibeltext berührt werde, als wenn ich ihn bloß lese und darüber nachdenke. Ich nehme wahr, welche Einzelheiten der Szene in mir spontane Reaktionen hervorrufen und was das für Reaktionen sind, z.B. wenn ein bestimmtes Wort, das gesprochen wird, mich tröstet, oder ein bestimmtes Verhalten einer Figur in mir Traurigkeit oder Ärger wachruft.

All das bringe ich vor Gott ins Wort. Ich achte darauf, was diese innere Zwiesprache wiederum an Gedanken, Gefühlen und Wünschen in mir auslöst.

Was ist das Ziel von Exerzitien?

Erstens geht es darum, mich selbst und Gott besser kennenzulernen. Alles, worauf ich bei der Meditation stoße – angenehme Gefühle ebenso wie innere Widerstände – sagt mir etwas über mich selbst, es ist wie ein inneres Echo meiner Sehnsüchte und Ängste. Zugleich hinterfragen und verwandeln die Schriftmeditationen meine bisherigen Bilder von Gott, derer ich mir oft nicht bewusst bin, die aber mein Verhältnis zu Gott stark mitbestimmen.

Zweitens lerne ich mehr darüber, wie das, was ich denke, fühle und wünsche, sich auf mein Handeln auswirkt und mich prägt. Ich unterscheide zwischen solchen inneren Einflüssen, die für meine Gottesbeziehung und meine persönliche Entwicklung eher günstig sind, und solchen, die eher schädlich sind.

Wenn Gott mit mir bei den ersten beiden Lernschritten einen Weg gegangen ist, können Exerzitien drittens helfen, um – wenn es denn ansteht – zu einer Wahl darüber zu kommen, wie ich mein Leben zukünftig gestalten will. Bei so einer Wahl erspüre ich, wozu Gottes Liebe mich konkret bewegt.

Welche Formen von Exerzitien gibt es?

Sehr unterschiedliche: Zum Beispiel Kurzexerzitien zum Ausprobieren, Exerzitien, die ungefähr eine Woche dauern, sowie ein ganzer Exerzitienmonat. Darüber hinaus gibt es Wander-Exerzitien, Film-Exerzitien, Exerzitien mit Elementen aus dem Aikido, dem Bogenschießen oder anderen Sportarten wie z.B. Windsurfen, kontemplative Exerzitien mit der Meditation des Namens Jesu, Exerzitien auf der Straße, Exerzitien im Alltag…

Worauf kommt es an, dass Exerzitien gelingen?

Es geht bei Exerzitien nicht um Gelingen oder Misserfolg, sondern darum, dass ich mich einlasse auf das Format, auf die Stille und auf meinen inneren Prozess. Entscheidend sind Offenheit, Neugierde, eine gewisse Ausdauer… Es braucht „Großmut und Freigebigkeit“ gegenüber Gott, wie Ignatius es ausdrückt.

Für wen sind Exerzitien?

Für alle, die sich auf die Begegnung mit Gott einlassen. Die vor wichtigen Entscheidungen stehen oder ihren Lebenssinn suchen. Die Sehnsucht spüren nach dem „Mehr“, weil Erfolg, Prestige und andere innerweltliche Werte allein sie nicht ausfüllen.

Welche Fehler kann man machen bei Exerzitien?

Wenn in Begleitungsgesprächen Übende die Befürchtung äußern, sie könnten Fehler machen, ermutige ich sie, ruhig zu bleiben und Schritt für Schritt so weiterzugehen, wie sie können. Nichts lässt sich erzwingen. Alles darf so sein, wie es ist. „In allem will Gott Begegnung feiern“, wie Alfred Delp SJ schrieb. Gott wird für uns sorgen. An uns ist es lediglich, eine aktive Empfänglichkeit herzustellen, d.h. wie eine offene Schale zu sein, in die Gott sich hineinlegt.

Welchen Tipp haben Sie für den Einstieg in Exerzitien?

Wichtig ist es, sich in den ersten Tagen Zeit zum Ankommen zu lassen. Manche brauchen mehr Schlaf, andere mehr Bewegung. Es dauert, sich auf das Schweigen einzulassen. Die sich schwer tun mit dem Wahrnehmen, schicke ich raus. Die Natur ist eine wunderbare Lehrmeisterin in Achtsamkeit: der Wind, die Pflanzen, die Gerüche… Es gibt so viel zu entdecken, wenn wir wach sind! Solche Bewusstheit lässt sich auch im Alltag nach den Exerzitien gut üben.

Interview: Gerd Henghuber

Hier finden Sie eine Übersicht der Exerzitienhäuser der Jesuiten.

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