Interview mit dem Leiter des Lassalle-Instituts in Zürich und Begleiter von Führungskräften P. Tobias Karcher darüber, woran Manager scheitern, was das für sie bedeutet und wie sie damit umgehen (sollten).
Pater Karcher, haben Sie einen Neujahrsvorsatz für sich formuliert?
Ja, habe ich. Ich bin seit Dezember in Zürich, nachdem ich viele Jahre im Lassalle-Haus auf dem Land war. Ich möchte wieder anfangen zu schwimmen und regelmäßig morgens ins Hallenbad gehen. Außerdem habe ich mir vorgenommen, meinen Laptop aufzuräumen und den Datenschrott zu entsorgen.
Wie hoffnungsfroh sind Sie, dass Sie nicht scheitern in ihren Vorsätzen?
Das mit dem Schwimmen schaffe ich sicher, weil ich das sehr gern mache. Am Laptop könnte ich scheitern.
Wenn Sie das jetzt schon wissen, sind Vorsätze wie dieser überhaupt sinnvoll?
Doch, und zwar nicht nur, weil wir Jesuiten immer große Fans des Betrachtens sind, des Rückblicks und des Ausblicks. Vorsätze werfen eine Frage auf: Was ist mir wichtig? Ich blicke über den Vorsatz quasi von extern auf mich selbst und betrachte mich und sehe, was mir gefällt und was nicht. Beim Laptop sehe ich etwas an mir, das mir nicht so gefällt.
Was ist dann ein guter Vorsatz? Worauf kommt es an?
Vor allem, dass wir nicht gleich mit dem Vorsatz beginnen: Ich will… Das wäre egozentrisch und unreflektiert. Es sollte besser ein Dreischritt sein: Erstens Dankbarkeit, was gelungen ist bisher, das öffnet den Horizont. Zweitens ein Hinspüren auf das, was bereits wachsen will in mir, was sich vielleicht schon in Ansätzen zeigt. Und erst dann, drittens, die Frage: Was kann ich selbst dazu beitragen, damit das besser wachsen kann, wovon kann ich mich trennen, was kann ich suchen, was kann ich tun.
Wo ein Vorsatz, ist das Scheitern nicht weit. Aber wie kann man Scheitern eigentlich definieren?
Sie fragen mich ja als Begleiter von Führungskräften: In der Wirtschaft heißt Scheitern, wenn ein Unternehmen vitale Ziele nicht erreicht. Und vital meint vital: lebenswichtig. In so einem Fall sind wirklich schwerwiegende Fehler gemacht worden, Fehler, die das Unternehmen gefährden. Es geht hier nicht darum, dass man Quartalsprognosen verfehlt, sondern um Grundlegendes.
Was ist Scheitern dann, wenn nicht die Verfehlung von Prognosen?
Ich denke, wir müssen Scheitern in drei Spannungsbögen einordnen, um zu verstehen, worum es dabei geht. Es sind letztendlich Bögen zwischen je zwei Polen der menschlichen Existenz: Zum einen ist da der Bogen zwischen dem Leben als Geschenk und dem Leben, das wir selbst in der Hand haben. Dann die Spannung zwischen der Fähigkeit des Menschen, über sich hinauszugreifen, in der Kunst, der Philosophie, der Spiritualität – und ja, auch als kongenialer Unternehmer und großartige Führungskraft – und auf der anderen Seite unseren Begrenzungen, die uns Fehler machen lassen. Und drittens die Spannung zwischen der Freiheit des Menschen – und der Schuld, in die er sich verstricken kann, wenn er scheitert, und die ihn dann möglicherweise extrem unfrei macht.
Wie kommt man wieder raus, aus dieser Unfreiheit?
Durch Versöhnung. Mit anderen, aber vor allem mit sich selbst. Das gilt in besonderem Maße für gescheiterte Manager. Sie sind schuldig geworden an ihrem Unternehmen, an dessen Mitarbeitern, an anderen Menschen, an sich selbst. Aber auch für Top-Manager gehört Scheitern zum Menschsein.
Wie können sie dann richtig damit umgehen?
Das ist schwierig. Gescheiterte Manager werden häufig entlassen, ihnen wird die Aufgabe genommen. Die Öffentlichkeit ist in Vorverurteilung oft gnadenlos, manche sind regelrechter Hetze ausgesetzt. Es kann sein, dass sie sich rechtlich gar nichts haben zuschulden kommen lassen. Trotzdem ist das Vertrauen weg, die Reputation, der Inhalt, der Sinn ihres bisherigen Lebens.
Wie gehen Manager damit um?
Die meisten kämpfen: um ihren Ruf, auch um Satisfaktion. Aber kämpfen verengt auch – rein biologisch schon – den Blickwinkel, denn der ganze Körper fokussiert auf den Kampf. Dabei wäre manchmal mehr gewonnen, wenn man Distanz zum Scheitern suchen und finden könnte. Ignatianisch bedeutet das, die innere Freiheit zu sich selbst zu erlangen. Das erfordert genau das Gegenteil von kämpfen, nämlich Abstand gewinnen, betrachten, eingestehen, reflektieren. Und dann aus dieser Position heraus sich selbst vergeben. Ich weiß, wie hart es ist, sich mit dem eigenen Versagen zu versöhnen. Aber nur dann kann ich tatsächlich über das Scheitern hinweg wieder Freiheit finden.
Das klingt nach einem aufwändigen Prozess.
Ja, das ist er auch. Versöhnen, vergeben klingt so einfach und ist doch wahnsinnig schwer. Anderen gegenüber und sich selbst oft noch viel mehr. Trotzdem ist der christliche Gott ein Gott der Versöhnung.
Verstehen Manager so etwas?
Die zu uns kommen schon. Und wer gescheitert ist, und darüber wirklich reflektiert, teilt häufig auch eine Art spiritueller Erfahrung, denn Scheitern ist ein Abgrund. Ich lade daher jedes Jahr zu unserer Konferenz auch bewusst fallen angels ein, also gescheiterte Unternehmer. Es ist mir wichtig, dass wir die unternehmerische Wirklichkeit in Ihrer Gänze abbilden, dass wir auch Fehler sehen und auch von denen lernen, die große Fehler gemacht haben.
Wer war schon dabei?
Das möchte ich nicht öffentlich machen, denn es ist gerade dieser geschützte Raum, der die fallen angels sich öffnen und reden lässt. Von ihren Erfahrungen kann man enorm viel lernen. Besonders von denen, die durch ihren inneren Versöhnungsprozess weitgehend durch sind und die ihre innere Freiheit wiedergefunden haben.
Woran scheitern Manager überhaupt?
Oft ist es die Aufsicht, es braucht für das Monitoring der Mitarbeiter ein gesundes Maß zwischen Vertrauen und Kontrolle. Zweitens, und das hängt mit dem ersten Punkt zusammen, ist die Transparenz in hochkomplexen technologischen wie wirtschaftlichen Prozessen oft extrem schwierig. Drittens überschätzen sich Manager immer wieder, meinen, sie wüssten alles, hätten alles schon mal erlebt. Die in der Regel hohe Selbsteinschätzung von Managern kann bis hin zur Hybris gehen. Der vierte Grund ist schlicht Betrug. Ich erinnere an den Theranos Skandal mit den Bluttests, mit denen man angeblich ganz viele Krankheiten prophylaktisch feststellen konnte. Es stellte sich aber heraus, dass sie schlicht nicht funktionierten. Die charismatische und hochintelligente Gründerin des Unternehmens Elisabeth Holmes wurde am Ende wegen massiven Betrugs an Patienten und Investoren ebenso zu Haft verurteilt wie ihr früherer Geschäftspartner. Oder nehmen Sie den Fall Wirecard. Das Gerichtsverfahren läuft noch, aber im Raum steht hier der möglicherweise größte Betrugsfall in der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Daran sind, wie es aussieht, nicht nur die beteiligten Wirtschaftsprüfer gescheitert.
Kann im Scheitern auch etwas Gutes liegen?
Das würde ich nicht sagen. Wenn ein Unternehmen bankrottgeht, werden Menschen arbeitslos, das ist niemals gut. Von der Wortbedeutung geht Scheitern auf Scheit zurück. Wir kennen heute noch das Holzscheit, also etwas in Stücke Gebrochenes. Das Sprachbild trifft das Phänomen ganz gut. Ich halte die Frage nach einem möglicherweise positiven Scheitern sogar für gefährlich. Sie geht in Richtung Selbstoptimierung und könnte dazu führen, dass man die Tragweite des Scheiterns wegschiebt, überspielt, marginalisiert, umdichtet. Man muss Scheitern schon als das sehen, was es ist: etwas sehr Grundsätzliches, nicht irgendeinen Lapsus. Und auch nicht ein sportlicher Wettbewerb. Scheitern ist oft eine menschliche Tragödie. Ich erinnere einen Familienvater, aufgrund dessen Schuld seine Kinder tödlich verunglückten. Wie kommt der da jemals wieder raus? Die innere Freiheit nach so einem Scheitern wiederzufinden, ist extrem schwierig. Aber manche Menschen schaffen das. Dafür habe ich meinen höchsten Respekt
Dann versuche ich es anders: Kann man trotz allem gut scheitern?
Wenn man so will: Gut scheitere ich, wenn es mir gelingt, dass ich nach einem Prozess die innere Freiheit von meinem Scheitern wiederfinde. Wenn ich mich nicht länger im Kreis drehe, nichts überspiele mit Aktivität, nichts verdränge, sondern mein Scheitern ehrlich betrachte.
Wie geht das?
Dafür haben die Jesuiten einen großen Instrumentenkasten. Gescheiterte Manager, die freigestellt sind, haben zum Beispiel eine der in ihrem Berufsleben seltenen Gelegenheiten, Exerzitien zu machen, und immer wieder fragen auch Interessierte danach. Und ein häufiges Motiv, auf das man bei Exerzitien stößt, ist das Weg-Motiv in der Bibel: dass es sich lohnt sich aufzumachen, neu anzufangen. Darin steckt ein unglaublich optimistisches Menschenbild. Manchen gelingt das, andere verkraften ihr Scheitern nicht.
Kann man von einem Leben sagen, dass es gescheitert ist?
Das würde voraussetzen, dass ich auf einer Meta-Ebene wüsste, was ein gelingendes Leben ist, dass es dafür feste Kriterien gäbe, aber das dürfte für jeden Menschen individuell sein. Aber natürlich gibt es Menschen, die aufgrund von Schicksalsschlägen, Sucht oder anderer Abhängigkeit in eine Spirale geraten, in der sie ihr Leben immer weniger in der Hand haben. Ich würde dann von einem tragischen Leben sprechen. Aber ich wäre vorsichtig zu sagen, ein Leben ist gescheitert. Vielleicht in den Augen der Umwelt. Aber in den Augen desjenigen? Und vor Gott?
Dann kann ich vor Gott also auch nicht scheitern?
Ich würde meinen: nein. Auch in dieser Beziehung kann es tragisch werden. Ich kann der Gottesbeziehung im Weg stehen, oder ihr aus dem Weg gehen. Aber die Beziehung selbst besteht auch dann.
Interview: Gerd Henghuber