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Wie auf Weihnachten zugehen?

Gerade in den Wochen vor Weihnachten hilft es, sich Zeiten zu nehmen, um inne zu halten und zu überlegen, worauf es in diesen Tagen tatsächlich ankommt. Pater Bertram Dickerhof vom Ashram Jesu begleitet seit vielen Jahren Menschen in Exerzitien und auf Besinnungstagen. Mit Blick auf Weihnachten stellt sich die Frage: Was bringt es, bewusst mit geistlichem Angebot auf Weihnachten zuzugehen?

Befragt nach ihren Erfahrungen mit einer täglichen etwa halbstündigen „stillen Zeit“ des Innehaltens und einer Schriftbetrachtung antworteten die zwölf Praktiker: man fühle sich zentrierter und gelassener, am Tage achtsamer, seiner selbst bewusster, d.h. seiner Stimmung und dessen, was einen antreibe, man fühle sich freier und kraftvoller, mehr bei sich selbst und näher bei den anderen. Eine kleine Übung mit offensichtlich großen Wirkungen. Allerdings – so klein ist die Übung nicht. Denn es wurde auch von den Schwierigkeiten gesprochen, die das Innehalten macht: nicht nur Pflichten und Aufgaben, das Getriebe und die Ablenkungen des Alltags stellen die stille Zeit in Frage, sondern auch eine Angst vor der Stille, so dass man Ausflüchte suche, die rechtfertigen, sich vor der Stille zu drücken.

Was die Befragten von der täglichen stillen Zeit sagen, das gilt entsprechend auch für Tage des Innehaltens und seiner selbst Innewerdens wie Exerzitien und Besinnungstage. In ihnen geht es darum, wie Ignatius sagt, die Dinge – die Betrachtungsgegenstände; das, was sich zeigt, – von innen her zu verkosten, da dies die Seele sättige, nicht aber das Erstreben von Wissen. Es geht also um Verkosten. Wer z.B. einen Wein verkostet, betrachtet und beriecht ihn zunächst „von außen“. Dann nimmt er ihn in seinen Mund, in sich hinein, und spürt als erstes seine Süße und Säure. Danach „durchkaut“ er ihn, damit die Geschmacksaromen sich in ihrer ganzen Fülle entfalten können. Gleichwohl besteht die Tätigkeit des Verkostenden vor allem in einer gesammelten und wachen Offenheit und Empfänglichkeit, dessen bewusst, was sich ihm zu gewahren gibt. Diese Nicht-Aktivität muss „exerziert“, geübt, werden. Sie ist ja geradezu das Gegenteil des Tuns und Machens, Wollens und Erstrebens, des dauernden, mindestens gedanklichen Beschäftigtseins, das unseren Alltag prägt, und setzt dem eine Grenze. Wo die Übung des Verkostens ansatzweise gelingt, wo wir Süße und Säure, d.h. Tröstliches und Enttäuschendes „durchkauen“, all ihrer Facetten innewerden, wird offenbar, was den Übenden wirklich antreibt und welche Bedeutung sein Streben eigentlich für ihn hat: ein selbstverständlicher, wenig bewusster und machtvoller Teil seines Selbstverständnisses zeigt sich ihm. Dieser zwingt der Person auf, eine Welt nach seinen Vorstellungen zu schaffen, einer Person, die nie daran zweifelte, so zu leben. Eine solche Versehrtheit entdecken zu müssen, ist die Wurzel der Angst vor dem Innehalten und eine Triebfeder unserer alltäglichen Fluchten.

Dennoch zieht die Stille Menschen immer wieder an. Es liegt eine Verheißung in ihr, die dem Übenden erlaubt, diesen ihn knechtenden Teil seines Selbstverständnisses zu verkosten. Und schließlich kann er ihn lassen, obwohl damit sein bisheriges Selbstverständnis stirbt. Gefühlt stirbt er selbst. Doch er stirbt in seine Auferstehung hinein: er merkt, dass er gar nicht sein muss, wie er es glaubte und dennoch leben darf. Das Leben ist ihm geschenkt, gratis. Er fühlt sich wie neu geboren, befreit zu seinem wahren Selbst: Christus wird in ihm geboren. Im ganzen Prozess des Verkostens teilt sich ihm der Grund aller Wirklichkeit mit in einem Wissen, das nicht weiß.

Ein Geschehen dieser Art ist es, von dem die Erfahrungen der in die Stille Gehenden zeugen. Es ist ein österlich-weihnachtliches Geschehen. Als christliches Fest ist Weihnachten in unserer Gesellschaft weitgehend abgeschafft. Heute ist es durch Kommerz, Santa Claus und Urlaubsreisen ersetzt, nachdem der Versuch vielfach scheiterte, es als Fest der Familie zu etablieren. Guter Wille, schöne Geschenke und feierliches Essen reichen nicht aus, um die Erwartungen von Weihnachten als Fest der Liebe zu erfüllen. Liebe ist eben nicht das Ergebnis guten Willens allein. Sie ist die Frucht der Gottesgeburt im Menschen, die im Verkosten der Stille und dem Loslassen seiner selbst geschenkt wird.

Autor:

Bertram Dickerhof SJ

P. Bertram Dickerhof SJ studierte zunächst Mathematik, trat 1977 in den Orden ein; er arbeitete in der Jugend- und Krankenhausseelsorge; 10 Jahre Leiter des Aus- und Fortbildungsinstituts der deutschsprachigen Orden (IMS). Seit 2005 leitet er den Ashram Jesu - tief im Christlichen verwurzelt, offen für die Wahrheiten anderer Religionen - eine alte Wassermühle Im Westerwald, der sich auch "Christliche Lebensschule" nennt. In Indien ist ein "Ashram" eine Schule unter Bäumen, wo die Menschen nach Antworten suchen auf ihre Lebensfragen.

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