Bildungsdebatte: Schüler sind mehr als nur Noten

„Unsere Schüler sind zufrieden. Genauer gesagt: 94 Prozent der Schüler am Canisius Kolleg in Berlin geben in einer aktuellen Sinus-Studie an, dass sie zufrieden oder eher zufrieden mit ihrer Schule sind. Die Studie hat das „Zentrums für ignatianische Pädagogik“ (ZIP) in Auftrag gegeben, der Think Tank der Jesuiten-Schule im deutschsprachigen Raum. Bei den Eltern ergibt sich ein noch positiveres Bild. Hier sind sogar 96% ganz – oder eher zufrieden. Bodo Flaig, Chef des renommierten Sinus-Instituts, schreibt dazu: „Es gehört Mut dazu, sich auf eine externe Evaluation einzulassen, so wie es das ZIP jetzt mit der Studie „Sharing the Vision“ getan hat. Wir haben untersucht, was an den ignatianischen Schulen gut läuft und wo es Probleme gibt – und zwar aus der Sicht der „Betroffenen“ selbst, d.h. der Schüler, Lehrer und Eltern. Überrascht hat uns dabei nicht nur das außergewöhnlich positive Bild, das die Befragten von den Schulen gezeichnet haben, sondern auch die ambitionierte Umsetzung der Untersuchungsbefunde, die das ZIP derzeit betreibt: Die ignatianischen Schulen sollen noch besser werden – obwohl sie ja schon sehr gut sind.“

Wie passt das zum Bild einer Studie zur Qualität von „Privatschulen“, die das Berliner Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) für das Netzwerk Bildung der SPD nahen Friedrich-Ebert-Stiftung gestern der Öffentlichkeit vorgestellt hat? Tenor: Schüler, die auf Privatschulen lernen, schneiden bei Schulleistungstests teilweise besser ab. Rechnet man aber ihre sozialen Vorteile heraus, bleibt nur ein geringer Unterschied zu öffentlichen Schulen. Tiefergehend lässt sich sogar sagen, dass sich, wo durch private Träger Separierung nach Leistung betrieben wird, dies weder für deren Schüler übermäßig positiv auszahlt noch für die verbleibenden Schüler auf öffentlichen Schulen negativ auswirkt. Der vielfach beschworene Boom zu „privaten“ Schulen findet nicht statt, sieht man von einigen Regionen ab. Die Unterschiede bei Schulqualität und Separierung sind nach wie vor zwischen Schularten deutlich signifikanter als zwischen „öffentlichen“ und „privaten“ Schulen.

Was bringt also die Studie? Eine breitere Datenbasis und keine neuen Erkenntnisse. Verkürzt gesagt: 1. Bildung lässt sich nicht kaufen. 2. Zu guter Bildung gehört Vielfalt. 3. Alle öffentlichen Schulen, ob in staatlicher- oder „freier“ Trägerschaft müssen ihre Arbeit gut reflektieren und sich weiterentwickeln, um die Herausforderungen der Zukunft zu stemmen. All das gehört auch zu den Grundüberzeugungen des jesuitischen Bildungsideals.

Weder den staatlichen Schulen noch den sogenannten „privaten“ gelingt es in der Breite ausreichend, die gesellschaftliche Vielfalt in den Schulen angemessen abzubilden und alle Schüler unabhängig von der Herkunft dennoch zu guten Lernergebnissen zu führen. Dieser Konsens der anwesenden Bildungsexperten verhinderte aber nicht, dass anstatt über Schulqualität zu reden, erneut die Stellvertreterdebatte um die „Schulen für die Reichen“ begann mit viel Pathos auf beiden Seiten: Während Ernst Dieter Rossmann von der SPD den freiheitlichen Kampf für die „öffentliche Schule für alle“ für die SPD reklamierte, warben Vertreter der Freien Träger mit der Innovationskraft ihrer Schulen. So wenig Letztere dann genauer sagen können, was sie mit Innovation meinen, so wenig nehmen Herr Rossmann oder die heute laut auftrumpfende GEW zur Kenntnis, dass die aktuelle Studie ja gerade darlegt, dass ihr Dauerangriff auf die „Privatschulen“ längst als Problemvermeidungsdebatte entlarvt ist. Im Kleingedruckten gab Herr Roßmann dann zwar zu, dass auch der zweite Lieblingssündenbock, das Gymnasium, sich massiv verändert habe weg von der Devise Erfolg durch Aussonderung. Auf die Frage aber, ob die von der SPD verantwortete Politik in diesem Bereich nicht genau bestehende Probleme der Segregation verschärft, statt sie zu lösen, wenn z.B. Gymnasien in Berlin Schüler in zwölf Jahren zu Abitur führen müssen, es also langsameren oder leistungsschwächeren Schülern noch schwerer gemacht wird, am Gymnasium erfolgreich abzuschließen; Oder wenn Gymnasien keine Berufsbildungsreife verleihen dürfen, nicht einmal wenn sie – wie das Canisius-Kolleg – darum werben, um mehr Flüchtlingskinder integrieren zu können: Auf die Frage also, ob es nicht besser wäre, Schulen mit ihren Potentialen weiter zu entwickeln, statt sie schlecht zu reden und zu gängeln, bekam der Autor auch diesmal keine Antwort.

Was wäre also, wenn der Boom von Schulen in Freier Trägerschaft in bestimmten Regionen der Republik genau damit zu tun hat, dass der die staatliche Schulpolitik in einigen Regionen bestimmende politische Diskurs eben nicht als „Freiheitsdiskurs“ sondern als staatliche Bevormundung erlebt wird?

Um zur Ausgangsfrage zurück zu kehren: Es gibt die Schulen in freier Trägerschaft so wenig wie die staatlichen. Studien wie die vorgelegte testen gerade einmal jenen schmalen Konsens zur Qualität von Bildung, der sich pointiert gesagt auf Rechnen und Lesen bezieht. Das ist unbestritten ein wichtiger Teil des Fundaments guter Schulbildung. Die Debatte hier zu beenden wäre aber ungefähr so, wie wenn das Gespräch zur Qualität von Autos beim Vergleich der Bremssysteme endete. Insofern scheint mir ein wenig voreilig, wenn Martin Spiewak in der Zeit konstatiert, die „Mission der Privatschulen sei erfüllt“. Die staatlichen seien genauso gut wie die „privaten“. Wenn demnächst rechnen und lesen sich leichter am Computer lernen lässt, wofür stehen dann Schulen und Lehrende überhaupt? Für die „weiche“ Qualitätsfaktoren wie das Zwischenmenschliche? Studien wie die von der Ebertstiftung vorgelegte messen einige Basiskompetenzen, nicht aber, wie man kritisch reflektieren lernt, wie man Menschen mit anderen Weltanschauung begegnet und wie es gelingen kann, Vielfalt als Reichtum und nicht als Bedrohung zu erleben.

Nach meiner Überzeugung sind Schulen wie das Canisius-Kolleg nicht deshalb ein wichtiges Element des öffentlichen Schulsystems, weil sie besser sind oder pauschal innovativer. Aber wir sagen sehr klar, was wir unter Bildung, insbesondere Persönlichkeits- und Charakterbildung verstehen. Und auf dieser Basis arbeiten wir daran, besser im Blick auf die Herausforderungen der Zukunft zu werden. Mir scheint, es ist ein wesentliches Problem unserer aufgeladenen, fruchtlosen Bildungsdebatten, dass Vergleichsstudien über Vergleichsstudien zur „Schulqualität“, die sich auf den schmalen, messbaren Outcome von Schule beziehen, nur unzureichend die Leere zuschütten können, die darin besteht, dass es keinen gesellschaftlichen Konsens mehr dazu gibt, was gute Bildung eigentlich ist. Die Debatte dazu vermeiden die wesentlichen Akteure in der Bildungspolitik. Möglicherweise liegt hier das innovative Störpotential der Schulen in Freier Trägerschaft, dass sie mit ihrer Existenz und ihrem Zulauf genau auf diese Leerstelle hinweisen. Wenn das stimmt, wäre es gut, statt sie weiter wegen einiger schwarzer Schafe pauschal zu diffamieren und den staatlichen Schulen angleichen zu wollen, mit ihnen als produktivem Teil des Schulsystems ins Gespräch zu kommen, ihre Vielfalt zu fördern, und insbesondere jene aktiv zu fördern, die sie sich auch aktiv in die gemeinsame Suche nach Lösungen bildungspolitischer Herausforderungen der Gesellschaft einbringen.“

Berlin, 16.3.2018, Tobias Zimmermann SJ

Autor:

Tobias Zimmermann SJ

P. Tobias Zimmermann SJ ist 1990 in den Jesuitenorden eingetreten. 2004 wurde er zum Priester geweiht. Nach Studien der Theologie, Philosophie und Kunstpädagogik in München war er seit 2003 am Canisius-Kolleg in Berlin tätig, zunächst als Schulseelsorger, von 2011 bis 2019 als Rektor. Er hat im September 2019 die Leitung des Heinrich Pesch Hauses und des Zentrums für Ignatianische Pädagogik (ZIP) in Ludwigshafen übernommen. Pater Zimmermann ist außerdem Chefredakteur der Publikation JESUITEN. Seit 2022 leitet er als Superior die neue Kommunität in Ludwigshafen.

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