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Fotorealistische Kunst statt Schmierereien

Göttingen - Am 6. April eröffnete Eberhard Walter im Mittagstisch eine Ausstellung mit Werken von Margarethe Lilienthal. Seither zieren die Bilder der in Königsberg geborenen und 2006 in Göttingen verstorbenen Künstlerin die beiden Speiseräume. Solche Kunstausstellungen haben im Mittagstisch eine lange Tradition – allerdings nur im Inneren. Die Außenfassade zur Turmstraße hin ist seit Jahr und Tag wüst beschmiert, wie viele Häuser und Wände in unserem Viertel. Das soll bald anders werden. Vor dem Hintergrund eines größeren Begrünungsprojektes der Stadt Göttingen, bei dem sich auch der Mittagstisch als Kooperationspartner beworben hat, konnte der renommierte Fassaden- und Gebäudekünstler Friedel Deventer gewonnen werden, noch in diesem Sommer mit den Mitarbeitern und Gästen des Mittagstisches die gesamte Außenfassade des Mittagstisches künstlerisch zu gestalten. Angedacht sind großflächige Gemälde im fotorealistischen Stil, die mit den Garagentoren der Gemeinde Sankt Michael beginnen und bis an das Pfarrhaus heranreichen. Strukturgebende Elemente sind sechs vertikale Pfeiler, die die Gebäudefassade in fünf -  mit den beiden Garagen sogar in sieben - Abschnitte unterteilen. Diese Pfeiler sollen im Rahmen des städtischen Begrünungsprojektes mit Kletter- oder Hängepflanzen neugestaltet werden.

Unsere Motivation ist nicht allein ökologischer oder ästhetischer Natur. Die beabsichtigte Fassadengestaltung bringt etwas von unserem Selbstverständnis zum Ausdruck. Viele unserer Gäste leben unter sehr demütigenden Bedingungen. Sie sind es gewohnt als Bittsteller angesehen zu werden. Nicht selten schämen sie sich für ihre Existenz. Am Mittagstisch sollen sie ihre eigene Würde erfahren können. Deshalb bekommen sie für einen symbolischen Kostenbeitrag täglich ein warmes Essen – ohne davor irgendwelche Fragen beantworten zu müssen. Deshalb bemühen wir uns, durch Ausstellungen, Andachten oder kleine Empfänge eine Atmosphäre der Wertschätzung zu schaffen. Es ist uns wichtig, dass Gastgebern und Gästen einander auf Augenhöhe begegnen. Die Grenzen sind oft fließend: Jeder ist eingeladen, im Rahmen seiner Möglichkeiten mitzuarbeiten. Nicht wenige unserer Gäste setzen sich aktiv dafür ein, dass der Mittagstisch gut läuft. An diesem Punkt setzt auch das Fassadenprojekt an.

Friedel Deventer arbeitet sozialintegrativ. Das heißt, er lädt dazu ein, dass Gastgeber und Gäste des Mittagstisches sich am gesamten Prozess beteiligen können. In den nächsten Monaten plant der Künstler Treffen, um mit Gästen und Gastgebern im Mittagstisch ins Gespräch zu kommen und erste konzeptionelle Ideen zu sammeln. Und auch in der späteren Umsetzungsphase mit Pinsel und Farbe sollen Gäste und Ehrenamtliche mit Hand anlegen können. Wir wünschen uns, dass in ein paar Jahren möglichst viele unserer Gäste und Mitarbeitenden an der Fassade vorbeigehen und ihren Freunden sagen werden: „Schau mal, das haben wir 2018 gemacht. Ich habe damals mitgearbeitet.“ Selbstverständlich kostet so ein großes Kunstprojekt einen Batzen Geld, rund 40.000 € inklusive der Kosten für die Begrünung. Wir sind aber sehr zuversichtlich, dass wir diesen Betrag durch öffentliche und private Zuschussgeber einwerben werden. Denn schon jetzt zeichnet sich ein breites überregionales Interesse ab: bei Wohlfahrtsverbänden, in der Kirche, in der Politik und auch bei privaten Förderern. Wir rechnen mit vielen Menschen, die sich für dieses Projekt begeistern und auch nach Projektabschluss mit dem Mittagstisch verbunden bleiben.

Ludger Joos SJ

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