• Kapelle in der Justizanstalt Innsbruck, in der Jesuiten Gottesdienste mit Gefangenen feiern

"Friede auf Erden!"

Die Weihnachtsbotschaft zeugt vom Einbruch überirdischen Lichtes in eine finstere, gewalttätige Welt. Ein Beitrag von P. Karl Kern SJ.

Der Höhepunkt der Weihnachtsgeschichte: das Wickelkind im Futtertrog und der „Friede auf Erden“ (Lk 2,1-14)! Beides eine Botschaft aus einer anderen Welt, von Engeln überbracht. Viele Kunstwerke zeugen von diesem Einbruch überirdischen Lichtes in eine finstere Welt.

An Weihnachten 2023 beschleicht uns das bange Gefühl: Wachsen nicht dunkle Schatten rund um den Globus? Krieg in einer Region, die wir das „Heilige Land“ nennen. Seit bald zwei Jahren der unselige Ukraine-Krieg, zunehmende Spannungen zwischen den Weltmächten und gesellschaftliche Zerklüftung in der westlichen Welt. Viele Menschen, die sich von einer hochkomplexen, sich rasant entwickelnden digitalen Welt überfordert fühlen. Bei alldem verschärft sich die tiefe Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen nördlicher und südlicher Hemisphäre. Das Donnergrollen der Klimakatastrophe ist nicht mehr zu überhören.

Latente Angst steigt hoch, führt zu hektischer politischer Krisenbewältigung und befeuert die Ideologen der Abschottung und nationalen Selbstbehauptung. Und da lautet die Weihnachtsbotschaft: „Friede auf Erden!“ Sind wir von dieser Harmonie zwischen Mensch und Mitmensch – gesellschaftlich, staatlich und global – nicht himmelweit entfernt? Vom Einklang zwischen Mensch und Natur ganz zu schweigen! Die Botschaft der Engel, ein schöner, aber leerer Traum?

Verfinsterte Welt – damals wie heute

Die Kunde von Betlehem traf auch damals auf eine verfinsterte Welt: Kleine Leute werden herumgeschoben, weil der Kaiser für seine Soldaten Geld braucht. Die Heimat des himmlischen Kindes eine Unruheprovinz im Osten des Römischen Reiches, eine gespaltete Gesellschaft unter gewaltigem Steuerdruck, dem vor allem die mittleren und armen Schichten ausgesetzt sind. Hirten, gesellschaftliche Außenseiter mit zweifelhaftem Ruf, sind die Adressaten der Engelsbotschaft. Und jenes Kind, das „Licht zur Erleuchtung der Heiden“ und „Herrlichkeit für das Volk Israel“ (Lk 2,31) sein soll, wird mit seiner Friedensbotschaft – menschlich gesehen – scheitern. Sein Licht leuchtete „in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst“ (Joh 1,5).

Was kann dann heute Weihnachten sein? Ein bisschen Familienidylle – die auch nicht immer gelingt? Ein bisschen nostalgischer Friede, der „aus der Kindheit scheint“ (Ernst Bloch) und uns hinwegtäuscht über das Dunkel ringsum? Das Zentrum der Engelsbotschaft ist dieses „Kind, in Windeln gewickelt“. Das wahre Licht strahlt von einem Säugling aus. Das haben viele Künstler erfasst, als sie den Stall von Betlehem malten. Die „Herrlichkeit“, die Strahlkraft von Weihnachten geht ganz von diesem Kind aus. Allen, die dieses Friedenskind in ihr Herz aufnehmen, soll eine ungeahnte Kraft zuwachsen: die Macht, selbst ein Kind Gottes zu werden (vgl. Joh 1,12)!

Jesus hat in seiner besetzten Heimat eine große Friedens- und Sammlungsbewegung initiiert. Dabei konnte er nur wenige junge „Aussteiger“ gewinnen, die jedoch sein innerstes Anliegen bis zuletzt nicht verstanden. Er starb – allein und verlassen am Kreuz. Sein Tod, ein Komplott eines kleinen Zirkels der jüdischen Oberschicht in Jerusalem im Verbund mit der römischen Besatzungsmacht. Jesus, ein Opfer von Realpolitik. So ist der Lauf der Welt bis heute. Die Macht triumphiert. Die Botschaft von Weihnachten jedoch relativiert und hinterfragt jegliche irdische Macht.

Ist das wirklich so? Die Geschichte der Menschheit spricht eine andere Sprache! Wir müssen deshalb die Engelsbotschaft noch genauer in den Blick nehmen, um den Kontrast zwischen Himmelsbotschaft und Erdenwirklichkeit zu verstehen.

Vor der Zusage des Friedens wird das Lob Gottes verkündet: „Ehre sei Gott in der Höhe!“ Das innerste Wesen des Friedenskindes können wir nur verstehen, wenn wir die göttliche Geisteskraft bedenken, die diesen Menschen Jesus von Nazareth ein Leben lang beseelte.

Das Licht Gottes mitten im Dunkel

Wegen seiner einzigartigen Gottesintimität ist er das „Licht der Welt“ (Joh 8,12). Sein Gott ist der barmherzige Vater, der „seine Sonne aufgehen lässt über Bösen und Guten“ (Mt 5,45) und der jeden Menschen unendlich liebt. An Weihnachten blitzt auf der dunklen Erde der Friede des Himmels auf. Das ist die eigentliche Botschaft! Als Jesus wenige Tage vor seiner Hinrichtung in Jerusalem einzieht, loben die Jünger Gott „freudig und mit lauter Stimme“: „Im Himmel Friede und Ehre in der Höhe!“ (Lk 19,38) Von „Friede auf Erden“ ist hier nicht mehr die Rede. Der Friede Gottes kommt aus dem Herzen dieser Jünger.

Was heißt das für die Weihnachtsbotschaft heute? „Friede auf Erden“ lebt nur in Menschen, welche die Macht des göttlichen Friedens erfahren haben. In Menschen, die von der Vision dieses Friedens gepackt sind. Friedensmenschen sind alle, die in einer friedlosen Welt dennoch der Kraft des Friedens trauen und ihn weitertragen, weil sie glauben: Trotz allen Scheiterns kommen Friede und Liebe aus dem innersten Geheimnis der Welt, aus Gott. Der Geist Gottes ist der Geist des allumfassenden „Schalom“.

Mit diesem einen Wort hat Jesus seine Leute ausgesandt, denn es fasst seine gesamte Botschaft zusammen. Bezeichnenderweise sandte er sie nicht auf die öffentlichen Plätze oder in die Synagogen, sondern in die Dörfer Galiläas, in die Häuser, und damit in die Begegnung mit Menschen. Friede kann nach Jesu Vorstellung nur aus der Begegnung von Mensch zu Mensch wachsen, sich nur von innen und von unten her ausbreiten.

„Selig, die Frieden stiften“ – und dabei entschieden, sanft und mit reinem Herzen vorangehen, verkündet er in der Bergpredigt (vgl. Mt 5,5-9). Und er steigert diesen Friedenswillen bis zur Feindesliebe. Seine Begründung: So erweist ihr euch als wahre Kinder eures himmlischen Vaters, der alle liebt. Unsere interessen- und machtbestimmte Welt und unser modernes Leben, das zunehmend von einem unpersönlichen Totalitarismus bedroht wird, brauchen mehr denn je diesen jenseitigen göttlichen Bezugspunkt. Das Irdische, das nur sich selbst die Ehre gibt, führt unsere Welt in den Abgrund.

Es schlägt heute von neuem die Stunde der persönlichen Gottesbeziehung! Die Weihnachtsbotschaft verbindet in diesem Wickelkind das Urmenschliche und das Göttliche. „ER ist unser Friede!“ (Eph 2,14) Diese Botschaft geht weit über das institutionelle Christentum hinaus. Sie ist wahrhaft universal! Nur der Glaube an den Frieden Gottes kann unsere Welt retten! Religionen sollten dafür Vorreiter sein!

Den Frieden leben, den uns Jesus gibt

Diesen wahrhaft göttlichen Frieden können wir Menschen nicht aus uns selbst schaffen. Das übersteigt unsere Kräfte, denn der Unfriede steckt auch in jedem von uns. Deshalb verheißt Jesus den Seinen beim Abschied: „Meinen Frieden gebe ich euch.“ (Joh 14,27) Nur in der Kraft Gottes können wir Menschen des Friedens sein, für die „Frohe Botschaft des Friedens“ (Eph 6,15) kämpfen und dem Unfrieden oder faulen Frieden wehren.

Wie hat Jesus in einem Land, das von einer brutalen Weltmacht beherrscht war, den Frieden gelebt? Er vermeidet in seinem Auftreten die politischen Obertöne. Er agitiert nicht gegen seinen Landesherren Herodes Antipas, der sich mit der Besatzungsmacht arrangiert hat. Jesus will die bestehenden Verhältnisse mit langem Atem von innen her verändern. Deshalb schwört er jeglicher Gewalt ab! „Alle, die zum Schwert greifen, werden auch durch das Schwert umkommen“ (Mt 26,52), sagt er zu einem Anhänger, der ihn bei seiner Festnahme verteidigen will. In der Vision Jesu kann dieser umfassende Friede nur evolutiv entstehen. Und er kann schon jetzt erfahren werden in einem neuen Miteinander von Mensch zu Mensch, das sich immer mehr ausbreitet – in alle Lebensbereiche.

Friede im „Heiligen Land“ und „auf Erden“

Die Friedensbotschaft Jesu ist bis heute ein Stachel im Fleisch des Christentums. Sie ist klar codiert in der Person Jesu. „Es gab im Grunde nur einen Christen“, notiert Nietzsche einmal lakonisch, „und der starb am Kreuz.“ In seinem Heimatland drang Jesus mit seiner Friedensbotschaft nicht durch. Im Jahre 66 kam es zum Aufstand gegen Rom. Nach vier Jahren des Jüdischen Krieges war das Land verwüstet, die Bevölkerung dezimiert und Jerusalem samt dem Tempel zerstört. Die Stadt war mit Kreuzen umsäumt. Nach einer letzten, gescheiterten Revolte 50 Jahre später durfte kein Jude mehr das ehemalige Jerusalem betreten.

Unsere Blicke richten sich an Weihnachten 2023 in besonderer Weise auf dieses heilig-unheilige Land. Die Friedensvision des Juden Jesus ist heute so aktuell und dringlich wie damals! Doch sollten wir auch die anderen Konfliktherde unserer Erde nicht vergessen. „Friede auf Erden“ beginnt auch 2024 dort, wo sich Menschen vom Gott des Friedens packen und begeistern lassen und diesen Frieden täglich zu leben suchen. Wir müssen das Friedenslicht von Betlehem in uns einlassen und weitertragen! Geteiltes Licht wird nicht weniger, sondern mehr!

Der Beitrag von P. Kern erschien im Weihnachtsmagazin der Mediengruppe Landshuter Zeitung/Straubinger Tagblatt. Abdruck mit freundlicher Genehmigung.

Autor:

Karl Kern SJ

Pater Karl Kern SJ stammt aus Obernburg am Main in Unterfranken. 1968 trat er mit 19 Jahren in den Jesuitenorden ein und wurde 1976 zum Priester geweiht. Er hat als Hochschulseelsorger und Gymnasiallehrer gearbeitet. Ab 1996 hat er in Nürnberg die Cityseelsorge in der "Offenen Kirche St. Klara" aufgebaut. Von 2010 bis 2022 war er Kirchenrektor der Jesuitenkirche St. Michael in München. Seitdem ist er als Seelsorger sowie für das Fundraising der Hochschule für Philosophie in München tätig.

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