In den vergangenen Monaten gab es in den „Stimmen“ mehrere Beiträge, die sich mit verschiedenen Untergangsszenarien befasst haben. Die politische Welt scheint aus den alten Fugen geraten, der Klimawandel bedroht das Leben auf der Erde, wie wir es kennen – und die Corona-Pandemie hängt wie ein dunkler Schatten über uns. Stefan Kiechle SJ fragt der Dezember Ausgabe der ‚Stimmen der Zeit‘ nun: „Ist das Ende nahe?“ „Warum bricht gerade jetzt so massiv die apokalyptische Stimmung auf?“ Und was hat uns die Frohe Botschaft zur Apokalypse (dt. „Offenbarung“) heute zu sagen?
Die vierte Welle der Pandemie rollt – die es wissen konnten, wussten es, aber niemand hat rechtzeitig gegengesteuert. Neue Varianten wirken noch heim- tückischer. Manche rufen in Todesangst nach noch strengeren Maßnahmen, andere verweigern aus Angst vor Nebenwirkungen die schützende Impfung – ein Vertrauensproblem auf beiden Seiten. Außerdem die immer drängendere Klimakatastrophe: Junge Leute fürchten den Untergang, fordern härtere Klimapolitik und gehen dafür in Hungerstreik; Ältere und sich für klüger Haltende warnen, dass man keinesfalls die Wirtschaft zu sehr schädigen dürfe, das wäre der andere Untergang. Dann jene unheimlich erscheinenden Großmächte, die unser europäisches Lebensgefühl bedrohen: China und auch wieder Russland setzen ihre geopolitischen Interessen erfolgreich durch, und bei den USA zweifelt man, ob diese Großmacht nicht in innerer Spaltung und in Hasstiraden versinkt. Schließlich autokratische Herrscher wie Lukaschenko oder Erdoğan, Trump oder Putin: Rücksichtslos regieren sie durch zugunsten ihrer Macht, grenzen Oppositionelle brutal aus, schüren im Volk Ängste, um von ihnen zu profitieren. Und die Kirchen: Sie zerbröseln hierzulande, und im Innern reiben sie sich in kulturkämpferischem Streit auf. Was bleibt? Überall Spaltungen und Gewalt, düstere Mächte und Untergangsszenarien, und alles beherrscht von Angst? Naht die Apokalypse?
In dieser Zeitschrift wurden in den letzten Monaten mehrere Artikel zu apokalyptischen Themen aufgenommen: Jan Juhani Steinmann zeigt auf, dass die Apokalypse nicht zuerst katastrophischer Untergang ist, sondern, christlich gesehen, Entschleierung von Wahrheit und am Ende – ja! – Vergöttlichung des Menschen (Heft 11/2021). Margareta Gruber ofm beschreibt, wie nach der Johannes-Offenbarung die neue Welt Gottes nicht das verlorene Paradies wiederherstellen wird, sondern einen neuen urbanen Raum bildet, eine erlöste Kultur (12/2021). Mari- anne Heimbach-Steins und Georg Steins lesen die biblische Schöpfungserzählung (Gen 1) als von einer zentralen politisch und ethisch geprägten Hintergrundmetapher gesteuert, die für die Gestaltung der nächsten Zukunft globale ethische Konsequenzen zeitigt (12/2021). Philipp Adolphs erzählt vom derzeit in den Kinos laufenden vierten Teil der Matrix-Trilogie, in dem eine Apokalypse voller religiöser Symbolik erzählt wird (12/2021). Klaus Mertes SJ deutet den apokalyptischen Roman The Stand von Stephen King theologisch (erscheint demnächst). Werden wir derzeit von apokalyptischen Phantasien und – in seriösen Kreisen – von entsprechenden Weltdeutungen überrollt? Ist das Ende nahe?
Kritisch dagegen ist zu sagen, dass es in der Geschichte der letzten Jahr- hunderte immer wieder Krisen und Katastrophen und die entsprechenden Ängste gab – aber warum bricht gerade jetzt so massiv die apokalyptische Stimmung auf? Wirken die Bedrohungen jetzt nochmals globaler? Und daher auch finaler – die Klimaveränderung könnte ja wirklich das Ende menschlichen Lebens auf diesem Planeten bedeuten? Fragen kann man auch, ob in Untergangs-Ängsten die Menschen egoistischer werden und in endzeitlicher Lebensgier nur noch ihre Haut retten wollen. Deutlich ist: Sie bleiben gerne in ihrer kommunikativen Blase und nehmen die Welt nur in oft simplen, manchmal irrationalen und unverrückbaren Plausibilitäten wahr. Fragen lässt sich auch, warum in Europa die Menschen so viel Angst um sich haben, auf meist hohem Lebensniveau – in armen Ländern ist die Lage viel bedrohlicher. Dort wäre Angst besser begründet, dennoch ist die Stimmung oft besser…
Das Neue Testament kennt sowohl eine präsentische wie auch eine futurische Apokalyptik. Präsentisch bedeutet: Hier und jetzt kippt die Zeit zur Endzeit, vergeht Altes und beginnt Neues, wirkt Gott Rettung durch alle Krisen und Abstürze hindurch; jetzt schon ist das Heil da, vielleicht nur im Fragment, aber wirksam und sichtbar. Futurisch bedeutet, dass diese Weltzeit noch bleibt, wir sie zu gestalten und uns in ihr zu bewähren haben und dass das Ende erst in einiger Zukunft und nach großen Umwälzungen kommen wird. Apokalypse ist beides, in Paradoxie, geheimnisvoll. In jedem Fall vollzieht sich Apokalypse nicht in einer weiterlaufenden Weltgeschichte, sondern sie ist das Kommen Gottes zu deren Abbruch. Sie ist Endkampf zwischen den Mächten des Guten und denen des Bösen; dieser Kampf ist nur in der Hoffnung lebbar, dass am Ende das Gute siegen wird – so die christliche Verheißung und der christliche Glaube.
Im Neuen Testament sagt Jesus zu den apokalyptischen Verwerfungen: „Wenn all das beginnt, dann richtet Euch auf und erhebt Eure Häupter; denn Eure Erlösung ist nahe… Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen“ (Lk 21,28.33). Im Alten Testament verkündigt Jesaja Gottes Wort: „Schon erschaffe ich einen neuen Himmel und eine neue Erde“ (Jes 65,17). Am Ende der Bibel zitiert der apokalyptische Seher von Patmos diese prophetische Vision als erfüllt (Offb 21,1). Vielleicht ist ja tatsächlich das Ende nahe. Aber wäre das wirklich schlimm? Danach wird es uns nur besser gehen.