• Dr. Frank Beyersdörfer und P. Klaus Mertes SJ
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Safeguarding: Sensibel sein und werden

P. Provinzial Bernhard Bürgler hat Herrn Frank Beyersdörfer als Präventionsbeauftragten benannt. Er soll die Provinz, die Werke und Kommunitäten darin unterstützen, Schutzkonzepte zu erstellen, bzw. die bestehenden weiterzuentwickeln und zu koordinieren. In einem Doppelinterview für JESUITEN spricht er mit Pater Klaus Mertes SJ über die Herausforderungen und Chancen seiner neuen Aufgabe.

Herr Beyersdörfer, können Sie kurz umschreiben, was Ihr Job ist?

Beyersdörfer: Es ist ja eine sehr große Provinz mit sechs Ländern. Im Moment besteht der Job darin, alle Kommunitäten und alle Werksleiter*innen zu befragen, ob die Mitglieder der Kommunität oder die Mitarbeitenden in den Werken Präventionsschulungen absolviert haben und ob es Schutzkonzepte gibt in den Werken. Danach werden wir uns sicher nochmal neu die Frage stellen, wie und auf welchen Ebenen brauchen wir Prävention?

Pater Mertes, was erwarten Sie von dem neuen Safeguarding Assistent Ihres Ordens?

Mertes: Ich finde die Frage der Koordination der vielen Aktivitäten, die es bereits gibt, wichtig. Es gibt Institutionen, die schon sehr viel gemacht haben. Und es gibt einige, die noch wenig gemacht haben. Und es gibt einige Mitbrüder, die nicht in Institutionen arbeiten. Dort ist die Frage, was wäre hier denn ein Safeguarding Konzept? Es ist gut, wenn da tatsächlich Ordnung geschaffen wird.

Ich rede jetzt aber aus der deutschen Perspektive innerhalb der Provinz mit den Regionen Österreich, Schweiz, Schweden, Litauen und Lettland. Wir müssen zueinanderkommen und einander unsere Geschichten erzählen. Voneinander zu lernen, ist eine der wichtigsten Aufgaben von Präventionsarbeit.

Was würden Sie beide sagen, was braucht es für einen guten Safeguarding Assistent für die Jesuiten?

Beyersdörfer: Ich glaube, es geht darum, Sensibilität zu schaffen für Machtverhältnisse. Manchmal muss eine Person erst realisieren, dass sie Macht hat und eine privilegierte Position. Es braucht aber auch ein gewisses Standing, Leute mit ins Boot holen. Viele stimmen dem Anliegen sehr zu, aber es kommen auch Leute, die sagen “Damit will ich nichts zu tun haben“ oder "mir reicht's". Und dann halt sagen können „Nein, das ist jetzt wichtig!“ Und es gibt auch eine römische Ebene, von der auch eine bestimmte Erwartung kommt.

Mertes: Was mich stört an der römischen Erwartung ist, dass die nur von Safeguarding sprechen und nicht von Aufarbeitung.  Also ich erwarte von einem Präventionsbeauftragten, dass er den Unterschied und den Zusammenhang begreift von Prävention, Aufarbeitung und Intervention.

Was sind denn die Herausforderungen, auf die Herr Beyersdörfer treffen wird, wenn Sie auf Ihre Mitbrüder gucken?

Mertes: Er wird natürlich auch im Orden auf Verweigerungsstrategien und Abwehrhaltungen stoßen. Eine klassische ist, zu sagen „ich lass mich nicht unter Generalverdacht stellen“. Da ist es ganz hilfreich, wenn ihnen die Struktur des Wegschauens deutlich gemacht wird und nicht nur die potentielle Täterschaft in den Blick genommen wird. Dann öffnen sich Kollegen/Mitbrüder für die große Frage: Was mach ich denn, wenn ein Mitbruder irgendwie gerne mal abends Jugendliche im Privatauto mit nach Hause nimmt? Das ist ja Teil des Problems, das zuschauende System.

Beim Thema „sexualisierte Gewalt“ richtet sich der Blick oftmals nur auf die Arbeit mit Kindern …

Beyersdörfer: Genau, so bin ich überhaupt zu dieser Tätigkeit gekommen. Der ehemalige Provinzial der Deutschen Provinz, P. Johannes Siebner SJ kam auf mich zu, weil ich in der Exerzitien-Arbeit tätig bin. Ihm ging es nicht primär um die Schulen, weil die inzwischen ganz gut aufgestellt sind. Er wollte vor allem die Seelsorge in den Blick nehmen.

Mertes: Ich finde wichtig, überhaupt die Symptomatik von Übergriffigkeit in den Blick zu bekommen. Ich nenne mal ein Beispiel. Ich habe vor einigen Jahren einen Brief bekommen von einer Person, die bei einem Jesuiten in einer Gruppe ungefragt bei der Vorstellungsrunde aufgenommen wurde. Dem Mitbruder war das Problem überhaupt nicht bewusst.

Wenn Sie beide aus Ihrer beider Blickwinkel die vergangenen 11 Jahre sich anschauen. Was braucht die Kirche und der Orden?

Beyersdörfer: Kulturwandel, Bewusstseinswandel, Mentalitätswandel, diese Begriffe wären mir sehr wichtig. Und zwar unabhängig davon, ob wir damit eine große Ausstrahlung haben und wieder glaubwürdig werden, sondern einfach, weil es auch der Sache Jesu dient.

Mertes: Wenn es uns gelingt, die Kultur des ‚miteinander Umgehens‘ auch im Sinne einer höheren Sensibilität für Macht-Asymmetrien und ein dafür angemessenes Verhalten zu verändern, können wir in der Nebenwirkung auch wieder etwas in der kirchlichen und der gesellschaftliche Kultur verändern. Das Sauerteig Motiv sozusagen.

Eine weltweite Konferenz des Jesuitenordens behandelte kürzlich die Fragen, was hilft die Ursachen zu verstehen und wie lässt sich eine Schutzkultur entwickeln?

Mertes: Die Wahrheit. Die bittere Wahrheit in den eigenen Reihen sehen und anerkennen. Dann ist die Motivation da, wirklich verstehen zu wollen. Und daraus kommt dann der Kulturwandel. Ich habe in den letzten zehn Jahre in St. Blasien gelebt, in einer Kommunität, in der viele über 80 Jahre alt waren. Das Thema war in der Kommunität höchstens in allgemeiner Form ansprechbar. Denn wenn es an die Frage kam, was war denn bei uns in Sankt Blasien los, verstummte das Gespräch. In gewisser Weise verändert das die gesamte Sicht auf ihre Biografie. Es tut wahnsinnig weh, im Alter diese Sicht nochmal umzustellen. Vielleicht sollte man auch Generationen spezifisch vorgehen.

Was würden Sie denn sagen, braucht es für diese gelingende Aufarbeitung?

Beyersdörfer: Wir müssen uns hüten, ein „Thema“ zu behandeln, oder Menschen dafür zu instrumentalisieren, dass die Jesuiten wieder gut dastehen. Aber was heißt es, wenn man das nicht macht? Ich würde sagen, der Weg führt nach innen: Selbstbesinnung, Gespräche.

Mertes: Da unterscheide ich zwischen der persönlichen und der institutionellen Aufarbeitung. Es gibt bei ganz vielen Betroffenen, die in der Öffentlichkeit überhaupt nicht erscheinen wollen, aufgrund der individuellen Gespräche geradezu Versöhnung. Ich habe kürzlich einen Brief bekommen von einem ehemaligen Schüler, der sich nach sechs Jahren Gesprächen bei mir bedankte. Jetzt plötzlich sind seine Albträume weg. Institutionell ist das Thema Gerechtigkeit für die Opfer. Da ist schon viel erreicht, wenn wir Verfahren entwickeln, über die so etwas wie Gerechtigkeit annäherungsweise erreicht werden kann. Wir haben uns z.B. an die Entschädigungsregelung der Deutschen Bischofskonferenz angeschlossen. Das ist mal ein Ergebnis. Das finde ich gut. Dasselbe gilt auch für die Frage der Aufklärung. Wir haben in einigen Bereichen aufgeklärt. Dazu gehört eine die Persönlichkeitsschutzrechte sowohl der Betroffenen wie auch der beschuldigten Personen wahrenden Veröffentlichung. Da ist einiges geschehen, aber kann noch einiges gemacht werden.

Was müsste denn aus Ihrem Blickwinkel heraus noch geschehen?

Mertes: Also mich würde eine historische Aufarbeitung interessieren. Ich rede mal fürs Canisius-Kolleg. Man müsste sich nochmal die Geschichte der Ostprovinz anschauen. Manche Mitbrüder waren nicht Täter, aber ihrerseits Opfer von Übergriffigkeiten. Die ganze Schwierigkeit, zu sprechen, hängt ja auch mit der eigenen Herkunftskultur zusammen. In diesem Sinne fand ich das Modell der Aufarbeitung, das in Münster mit einem Kirchenhistoriker gelaufen ist, wirklich eine sehr hilfreiche Zusatzarbeit. Eine weitere Sache, die mich sehr interessieren würde. Das ist das Verhältnis von Leitung und Therapie: Werksleiter haben sich mehr als Therapeuten ihrer Mitbrüder verstanden. Da steckt, glaube ich, gar nicht im Sinne einer Schuldzuweisung, eine kulturelle Bewegung dahinter, die zum eklatanten Fehlverhalten von Leitungen geführt hat. Das sind Fragen, die könnte man historisch aufarbeiten.

Beyersdörfer: Ja, welche Narrative gab es damals?  Eine historische Aufarbeitung kann helfen, unsere eigenen Einstellungen aktuell nochmal zu hinterfragen.

Ist es denn denkbar, Herr Beyersdörfer, dass Betroffene in Ihrem Konzept für Safeguarding eine Rolle spielen werden?

Beyersdörfer: Ich halte es schon für denkbar. Es gibt Personen, die wollen Jesuiten nicht persönlich treffen. Aber ich kann mir vorstellen, dass es innerhalb des ignatianischen Kontextes Betroffene gibt, die bereit wären, ihre Geschichte vielleicht anonymisiert zu erzählen, und einverstanden wären, dass man sie so als Fallbeispiele in bestimmten Schulungs-Kontexten verwenden könnte.

Mertes: Nichts ist hilfreicher für die Prävention, als Betroffene sprechen zu lassen. Ich finde schon sehr bedenkenswert, ob wir nicht vielleicht nach zehn Jahren soweit sind, dass wir die Stimme von Betroffenen unter Berücksichtigung ihrer Schutzinteressen integrieren.

Was ist Ihr Ziel, wo muss der Orden in fünf Jahren sein?

Beyersdörfer: Er sollte nochmals viel sensibler geworden sein für die Macht-Asymmetrien. Es müsste ein Bewusstseinswandel spürbar, sichtbar und greifbar sein.

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